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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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für die Ueberzeugung ergiebt; sie spricht aus, was bei jenem Zwiegespräche pwa_301.002
streitender Gedanken zuletzt ist erkriegt und ersiegt worden: pwa_301.003
diess ersiegte Resultat ist aber eben wiederum das Thema, wie pwa_301.004
es schon drüben in der Exposition aufgestellt war, vielleicht auch wieder pwa_301.005
in derselben Mehrtheiligkeit untergeordneter Gedanken und verschiedener pwa_301.006
Standpuncte, wie sie in der Partition waren angegeben pwa_301.007
worden. Auf diess Letztere geht eigentlich auch allein die Benennung pwa_301.008
recapitulatio, d. h. Wiederholung der einzelnen capitula, der hauptsächlichen pwa_301.009
Puncte. Es ist also mit der Recapitulation das Werk des pwa_301.010
Verstandes abgethan; bei diesem Gliede der Rede heisst es zum letzten pwa_301.011
Male docet, wie bei der Exposition zum ersten Male; was des pwa_301.012
Zweckes der Ueberzeugung wegen geschehen konnte, ist nun geschehen pwa_301.013
und beendet.

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Nun der pathetische Theil, welcher der narratio facti symmetrisch pwa_301.015
correspondierend gegenüber liegt. Die narratio facti deutete zurück pwa_301.016
auf den thatsächlichen Anlass der ganzen rednerischen Handlung und pwa_301.017
nahm, indem sie diesen berichtete, die Einbildung in Anspruch (permovit). pwa_301.018
An eben diese wendet sich auch der pathetische Theil, auch pwa_301.019
er permovet, aber, da er eben ein Theil des Beschlusses ist, so deutet pwa_301.020
er über diesen hinaus und vorwärts auf den practischen Zweck der pwa_301.021
Rede, der sich zu jenem factischen Anlass verhält wie die Wirkung pwa_301.022
zur Ursache. Diesen practischen Zweck legt hier der Redner den pwa_301.023
Zuhörern ans Herz, er fordert sie auf, der gewonnenen Ueberzeugung pwa_301.024
gemäss zu wollen und zu handeln. Da es aber eben nur noch ein pwa_301.025
Zweck ist, da es also jetzt nur gilt, den Willen für eine noch zukünftige pwa_301.026
Wirklichkeit zu bestimmen, so wird von der Einbildung eine viel pwa_301.027
grössere und wirksamere Thätigkeit gefordert als dort in der narratio pwa_301.028
facti, wo es etwas bereits in die Wirklichkeit Eingetretenes bloss zu pwa_301.029
berichten gab, wo vielleicht bloss die Erinnerung in Anspruch genommen pwa_301.030
ward. Hier hat sie dagegen eine nur noch gewünschte Wirklichkeit pwa_301.031
auszumalen, und mit Hilfe der Phantasie so lebhaft auszumalen, pwa_301.032
dass der Zuhörer dadurch in eine Aufregung der Empfindung versetzt pwa_301.033
wird, die ihn zu der bezweckten Willensäusserung hintreiben muss. pwa_301.034
Von dieser mit den Schöpfungen der Einbildungskraft unmittelbar verbundenen pwa_301.035
Aufregung des Gefühls pflegt man nun das zweite Glied der pwa_301.036
conclusio eben den pathetischen Theil zu nennen: ein Ausdruck, an pwa_301.037
dem man sich schon mannigfach gestossen hat, aber eigentlich ohne pwa_301.038
rechte Noth. Man hat nämlich geglaubt, bei dem Worte pathetisch pwa_301.039
an unser deutsches Wort Leidenschaft und zwar in seinem gewöhnlichen pwa_301.040
übeln Sinne denken zu müssen, und nun eingewendet, der pwa_301.041
Redner dürfe für seinen Zweck keine Unterstützung bei den Leidenschaften

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für die Ueberzeugung ergiebt; sie spricht aus, was bei jenem Zwiegespräche pwa_301.002
streitender Gedanken zuletzt ist erkriegt und ersiegt worden: pwa_301.003
diess ersiegte Resultat ist aber eben wiederum das Thema, wie pwa_301.004
es schon drüben in der Exposition aufgestellt war, vielleicht auch wieder pwa_301.005
in derselben Mehrtheiligkeit untergeordneter Gedanken und verschiedener pwa_301.006
Standpuncte, wie sie in der Partition waren angegeben pwa_301.007
worden. Auf diess Letztere geht eigentlich auch allein die Benennung pwa_301.008
recapitulatio, d. h. Wiederholung der einzelnen capitula, der hauptsächlichen pwa_301.009
Puncte. Es ist also mit der Recapitulation das Werk des pwa_301.010
Verstandes abgethan; bei diesem Gliede der Rede heisst es zum letzten pwa_301.011
Male docet, wie bei der Exposition zum ersten Male; was des pwa_301.012
Zweckes der Ueberzeugung wegen geschehen konnte, ist nun geschehen pwa_301.013
und beendet.

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Nun der pathetische Theil, welcher der narratio facti symmetrisch pwa_301.015
correspondierend gegenüber liegt. Die narratio facti deutete zurück pwa_301.016
auf den thatsächlichen Anlass der ganzen rednerischen Handlung und pwa_301.017
nahm, indem sie diesen berichtete, die Einbildung in Anspruch (permovit). pwa_301.018
An eben diese wendet sich auch der pathetische Theil, auch pwa_301.019
er permovet, aber, da er eben ein Theil des Beschlusses ist, so deutet pwa_301.020
er über diesen hinaus und vorwärts auf den practischen Zweck der pwa_301.021
Rede, der sich zu jenem factischen Anlass verhält wie die Wirkung pwa_301.022
zur Ursache. Diesen practischen Zweck legt hier der Redner den pwa_301.023
Zuhörern ans Herz, er fordert sie auf, der gewonnenen Ueberzeugung pwa_301.024
gemäss zu wollen und zu handeln. Da es aber eben nur noch ein pwa_301.025
Zweck ist, da es also jetzt nur gilt, den Willen für eine noch zukünftige pwa_301.026
Wirklichkeit zu bestimmen, so wird von der Einbildung eine viel pwa_301.027
grössere und wirksamere Thätigkeit gefordert als dort in der narratio pwa_301.028
facti, wo es etwas bereits in die Wirklichkeit Eingetretenes bloss zu pwa_301.029
berichten gab, wo vielleicht bloss die Erinnerung in Anspruch genommen pwa_301.030
ward. Hier hat sie dagegen eine nur noch gewünschte Wirklichkeit pwa_301.031
auszumalen, und mit Hilfe der Phantasie so lebhaft auszumalen, pwa_301.032
dass der Zuhörer dadurch in eine Aufregung der Empfindung versetzt pwa_301.033
wird, die ihn zu der bezweckten Willensäusserung hintreiben muss. pwa_301.034
Von dieser mit den Schöpfungen der Einbildungskraft unmittelbar verbundenen pwa_301.035
Aufregung des Gefühls pflegt man nun das zweite Glied der pwa_301.036
conclusio eben den pathetischen Theil zu nennen: ein Ausdruck, an pwa_301.037
dem man sich schon mannigfach gestossen hat, aber eigentlich ohne pwa_301.038
rechte Noth. Man hat nämlich geglaubt, bei dem Worte pathetisch pwa_301.039
an unser deutsches Wort Leidenschaft und zwar in seinem gewöhnlichen pwa_301.040
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Redner dürfe für seinen Zweck keine Unterstützung bei den Leidenschaften

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/319>, abgerufen am 01.11.2024.