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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Phaethon lag vor ihr, bedeckte ihr bleiches
Angesicht mit seinen wilden Locken, küßte sie wüth-
end.

Er sprach kein verständliches Wort. Nur fürch-
terliche Seufzer stöhnt' er aus.

Sie wand sich los mit schwachen Kräften und
erhob sich etwas, und neigte sich gegen den Knie-
enden.

Gott! du hast Menschen, die dir gleichen!

Dieses Auge! ach dieses überschwängliche Auge,
mit dem sie ihn ansah! so unendlich wunderbar-
schauernd! so voll Trauer; voll Milde! halb ver-
letzt und doch voll unaussprechlicher göttlicher Liebe!

Er aber glühte: sein Blick rollte wild. Aber
er fühlte doch die Seele in dem Auge, die Fülle,
die Liebe!

Der große Mann gieng ans Fenster. Es war,
als ob er's nicht mehr aushalten könnte!

Atalanta ergriff halb zitternd Phaethons Hand.
Eine Thräne glänzt' in ihrem Auge. Der junge
zarte Busen hob sich, voll Lieb' anschwellend, un-

Phaethon lag vor ihr, bedeckte ihr bleiches
Angeſicht mit ſeinen wilden Locken, kuͤßte ſie wuͤth-
end.

Er ſprach kein verſtaͤndliches Wort. Nur fuͤrch-
terliche Seufzer ſtoͤhnt’ er aus.

Sie wand ſich los mit ſchwachen Kraͤften und
erhob ſich etwas, und neigte ſich gegen den Knie-
enden.

Gott! du haſt Menſchen, die dir gleichen!

Dieſes Auge! ach dieſes uͤberſchwaͤngliche Auge,
mit dem ſie ihn anſah! ſo unendlich wunderbar-
ſchauernd! ſo voll Trauer; voll Milde! halb ver-
letzt und doch voll unausſprechlicher goͤttlicher Liebe!

Er aber gluͤhte: ſein Blick rollte wild. Aber
er fuͤhlte doch die Seele in dem Auge, die Fuͤlle,
die Liebe!

Der große Mann gieng ans Fenſter. Es war,
als ob er’s nicht mehr aushalten koͤnnte!

Atalanta ergriff halb zitternd Phaethons Hand.
Eine Thraͤne glaͤnzt’ in ihrem Auge. Der junge
zarte Buſen hob ſich, voll Lieb’ anſchwellend, un-

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[144/0144] Phaethon lag vor ihr, bedeckte ihr bleiches Angeſicht mit ſeinen wilden Locken, kuͤßte ſie wuͤth- end. Er ſprach kein verſtaͤndliches Wort. Nur fuͤrch- terliche Seufzer ſtoͤhnt’ er aus. Sie wand ſich los mit ſchwachen Kraͤften und erhob ſich etwas, und neigte ſich gegen den Knie- enden. Gott! du haſt Menſchen, die dir gleichen! Dieſes Auge! ach dieſes uͤberſchwaͤngliche Auge, mit dem ſie ihn anſah! ſo unendlich wunderbar- ſchauernd! ſo voll Trauer; voll Milde! halb ver- letzt und doch voll unausſprechlicher goͤttlicher Liebe! Er aber gluͤhte: ſein Blick rollte wild. Aber er fuͤhlte doch die Seele in dem Auge, die Fuͤlle, die Liebe! Der große Mann gieng ans Fenſter. Es war, als ob er’s nicht mehr aushalten koͤnnte! Atalanta ergriff halb zitternd Phaethons Hand. Eine Thraͤne glaͤnzt’ in ihrem Auge. Der junge zarte Buſen hob ſich, voll Lieb’ anſchwellend, un-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/144>, abgerufen am 26.04.2024.