Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite
mir meine Mutter einen ganz andern Begrif bei-
gebracht als manche Menschen haben; solche wür-
den sagen, es sei Hoffarth, die sie mir eingepflanzt
hätte, und wo diese obwaltete, fände nie Ehrliebe
statt, weil ein hoffärthiger Mensch eine solche Ein-
bildung von sich hegte, daß er nicht nöthig zu ha-
ben glaubte nach Beifall oder Verdienst zu streben,
indem er außer sich selbst alles gering schätzte und
sich, wie er auch wäre, für gut genug hielt, da-
her er sich auch alles erlaubte. Doch das sind
Klügeleien, womit sich die judiziöse Menschenart
sehr breit weiß. Genug meine Mutter wußte auch
auf Ehre zu halten, und lernte mirs nach ihrer
Weise; denn es giebt ja wohl auch über die Ehr-
begierde verschiedene Begriffe. Ein Felß z. B.
glaubt auch im dürftigsten Zustande nicht kriechen,
in der größten Verlegenheit nicht schwindeln zu
dürfen, glaubt sich lieber alles mögliche abbrechen
zu müssen als diese Verlegenheit zu vermehren und
sich dadurch immer abhängiger zu machen, er glaubt
im Bewußtsein seiner Unbescholtenheit und im Ge-
fühl eines edeln Geistes, durch unverschuldnes Un-
glück, welches Entbehrung jenes blendenden Glan-
zes mitbringt, in welchen die Welt allein einen
Werth setzt, nicht Verachtung zu verdienen und
hält wenn er in der größten Verlegenheit bei einer
Schüssel
mir meine Mutter einen ganz andern Begrif bei-
gebracht als manche Menſchen haben; ſolche wuͤr-
den ſagen, es ſei Hoffarth, die ſie mir eingepflanzt
haͤtte, und wo dieſe obwaltete, faͤnde nie Ehrliebe
ſtatt, weil ein hoffaͤrthiger Menſch eine ſolche Ein-
bildung von ſich hegte, daß er nicht noͤthig zu ha-
ben glaubte nach Beifall oder Verdienſt zu ſtreben,
indem er außer ſich ſelbſt alles gering ſchaͤtzte und
ſich, wie er auch waͤre, fuͤr gut genug hielt, da-
her er ſich auch alles erlaubte. Doch das ſind
Kluͤgeleien, womit ſich die judizioͤſe Menſchenart
ſehr breit weiß. Genug meine Mutter wußte auch
auf Ehre zu halten, und lernte mirs nach ihrer
Weiſe; denn es giebt ja wohl auch uͤber die Ehr-
begierde verſchiedene Begriffe. Ein Felß z. B.
glaubt auch im duͤrftigſten Zuſtande nicht kriechen,
in der groͤßten Verlegenheit nicht ſchwindeln zu
duͤrfen, glaubt ſich lieber alles moͤgliche abbrechen
zu muͤſſen als dieſe Verlegenheit zu vermehren und
ſich dadurch immer abhaͤngiger zu machen, er glaubt
im Bewußtſein ſeiner Unbeſcholtenheit und im Ge-
fuͤhl eines edeln Geiſtes, durch unverſchuldnes Un-
gluͤck, welches Entbehrung jenes blendenden Glan-
zes mitbringt, in welchen die Welt allein einen
Werth ſetzt, nicht Verachtung zu verdienen und
haͤlt wenn er in der groͤßten Verlegenheit bei einer
Schuͤſſel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#SCHNITZ">
          <p><pb facs="#f0230" n="224"/>
mir meine Mutter einen ganz andern Begrif bei-<lb/>
gebracht als manche Men&#x017F;chen haben; &#x017F;olche wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x017F;agen, es &#x017F;ei Hoffarth, die &#x017F;ie mir eingepflanzt<lb/>
ha&#x0364;tte, und wo die&#x017F;e obwaltete, fa&#x0364;nde nie Ehrliebe<lb/>
&#x017F;tatt, weil ein hoffa&#x0364;rthiger Men&#x017F;ch eine &#x017F;olche Ein-<lb/>
bildung von &#x017F;ich hegte, daß er nicht no&#x0364;thig zu ha-<lb/>
ben glaubte nach Beifall oder Verdien&#x017F;t zu &#x017F;treben,<lb/>
indem er außer &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t alles gering &#x017F;cha&#x0364;tzte und<lb/>
&#x017F;ich, wie er auch wa&#x0364;re, fu&#x0364;r gut genug hielt, da-<lb/>
her er &#x017F;ich auch alles erlaubte. Doch das &#x017F;ind<lb/>
Klu&#x0364;geleien, womit &#x017F;ich die judizio&#x0364;&#x017F;e Men&#x017F;chenart<lb/>
&#x017F;ehr breit weiß. Genug meine Mutter wußte auch<lb/>
auf Ehre zu halten, und lernte mirs nach ihrer<lb/>
Wei&#x017F;e; denn es giebt ja wohl auch u&#x0364;ber die Ehr-<lb/>
begierde ver&#x017F;chiedene Begriffe. Ein Felß z. B.<lb/>
glaubt auch im du&#x0364;rftig&#x017F;ten Zu&#x017F;tande nicht kriechen,<lb/>
in der gro&#x0364;ßten Verlegenheit nicht &#x017F;chwindeln zu<lb/>
du&#x0364;rfen, glaubt &#x017F;ich lieber alles mo&#x0364;gliche abbrechen<lb/>
zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en als die&#x017F;e Verlegenheit zu vermehren und<lb/>
&#x017F;ich dadurch immer abha&#x0364;ngiger zu machen, er glaubt<lb/>
im Bewußt&#x017F;ein &#x017F;einer Unbe&#x017F;choltenheit und im Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl eines edeln Gei&#x017F;tes, durch unver&#x017F;chuldnes Un-<lb/>
glu&#x0364;ck, welches Entbehrung jenes blendenden Glan-<lb/>
zes mitbringt, in welchen die Welt allein einen<lb/>
Werth &#x017F;etzt, nicht Verachtung zu verdienen und<lb/>
ha&#x0364;lt wenn er in der gro&#x0364;ßten Verlegenheit bei einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0230] mir meine Mutter einen ganz andern Begrif bei- gebracht als manche Menſchen haben; ſolche wuͤr- den ſagen, es ſei Hoffarth, die ſie mir eingepflanzt haͤtte, und wo dieſe obwaltete, faͤnde nie Ehrliebe ſtatt, weil ein hoffaͤrthiger Menſch eine ſolche Ein- bildung von ſich hegte, daß er nicht noͤthig zu ha- ben glaubte nach Beifall oder Verdienſt zu ſtreben, indem er außer ſich ſelbſt alles gering ſchaͤtzte und ſich, wie er auch waͤre, fuͤr gut genug hielt, da- her er ſich auch alles erlaubte. Doch das ſind Kluͤgeleien, womit ſich die judizioͤſe Menſchenart ſehr breit weiß. Genug meine Mutter wußte auch auf Ehre zu halten, und lernte mirs nach ihrer Weiſe; denn es giebt ja wohl auch uͤber die Ehr- begierde verſchiedene Begriffe. Ein Felß z. B. glaubt auch im duͤrftigſten Zuſtande nicht kriechen, in der groͤßten Verlegenheit nicht ſchwindeln zu duͤrfen, glaubt ſich lieber alles moͤgliche abbrechen zu muͤſſen als dieſe Verlegenheit zu vermehren und ſich dadurch immer abhaͤngiger zu machen, er glaubt im Bewußtſein ſeiner Unbeſcholtenheit und im Ge- fuͤhl eines edeln Geiſtes, durch unverſchuldnes Un- gluͤck, welches Entbehrung jenes blendenden Glan- zes mitbringt, in welchen die Welt allein einen Werth ſetzt, nicht Verachtung zu verdienen und haͤlt wenn er in der groͤßten Verlegenheit bei einer Schuͤſſel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/230
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 1. Gera, 1800, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz01_1800/230>, abgerufen am 15.05.2024.