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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Freundschaft übersehen, und wenn sich un-
sre Spekulation über ihn hinauswagt, mit
Medardus Auge alles anschaun, in der Ab-
sicht alles gut zu finden: sich so belügen,
ist eine Pflicht, die unsre Zufriedenheit
fodert.

Belph. Oft war dieß meine Rede.
Glückliche Menschen, ihr Unwissende, ihr,
denen der Himmel bloß schlichten Menschen-
verstand und keinen forschenden grübelnden
Geist gab! Ihr schleicht den Pfad eures
Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch
die Umstände gebieten, ihr laßt euch gewisse
für eure Ruhe heilsame Meinungen ein-
pfropfen, sie durch die Länge der Zeit zum
festen unverwelkenden Glauben aufwachsen,
ohne zu untersuchen; und wohl euch! Da
euer Auge nicht weit reicht, so erblickt es in
dem kleinen Horizonte wenig Böses, von
der Unordnung der Erde nur kleine einzelne
Fragmente, die euch nicht eher stark rüh-
ren, als bis sie auf euern Scheitel fallen.
Freund, wenn es möglich wäre, den lästi-
gen Plunder der Erfahrung von uns zu
werfen, das Auge unsers Geistes zu stüm-

pfen

Freundſchaft uͤberſehen, und wenn ſich un-
ſre Spekulation uͤber ihn hinauswagt, mit
Medardus Auge alles anſchaun, in der Ab-
ſicht alles gut zu finden: ſich ſo beluͤgen,
iſt eine Pflicht, die unſre Zufriedenheit
fodert.

Belph. Oft war dieß meine Rede.
Gluͤckliche Menſchen, ihr Unwiſſende, ihr,
denen der Himmel bloß ſchlichten Menſchen-
verſtand und keinen forſchenden gruͤbelnden
Geiſt gab! Ihr ſchleicht den Pfad eures
Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch
die Umſtaͤnde gebieten, ihr laßt euch gewiſſe
fuͤr eure Ruhe heilſame Meinungen ein-
pfropfen, ſie durch die Laͤnge der Zeit zum
feſten unverwelkenden Glauben aufwachſen,
ohne zu unterſuchen; und wohl euch! Da
euer Auge nicht weit reicht, ſo erblickt es in
dem kleinen Horizonte wenig Boͤſes, von
der Unordnung der Erde nur kleine einzelne
Fragmente, die euch nicht eher ſtark ruͤh-
ren, als bis ſie auf euern Scheitel fallen.
Freund, wenn es moͤglich waͤre, den laͤſti-
gen Plunder der Erfahrung von uns zu
werfen, das Auge unſers Geiſtes zu ſtuͤm-

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[299/0305] Freundſchaft uͤberſehen, und wenn ſich un- ſre Spekulation uͤber ihn hinauswagt, mit Medardus Auge alles anſchaun, in der Ab- ſicht alles gut zu finden: ſich ſo beluͤgen, iſt eine Pflicht, die unſre Zufriedenheit fodert. Belph. Oft war dieß meine Rede. Gluͤckliche Menſchen, ihr Unwiſſende, ihr, denen der Himmel bloß ſchlichten Menſchen- verſtand und keinen forſchenden gruͤbelnden Geiſt gab! Ihr ſchleicht den Pfad eures Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch die Umſtaͤnde gebieten, ihr laßt euch gewiſſe fuͤr eure Ruhe heilſame Meinungen ein- pfropfen, ſie durch die Laͤnge der Zeit zum feſten unverwelkenden Glauben aufwachſen, ohne zu unterſuchen; und wohl euch! Da euer Auge nicht weit reicht, ſo erblickt es in dem kleinen Horizonte wenig Boͤſes, von der Unordnung der Erde nur kleine einzelne Fragmente, die euch nicht eher ſtark ruͤh- ren, als bis ſie auf euern Scheitel fallen. Freund, wenn es moͤglich waͤre, den laͤſti- gen Plunder der Erfahrung von uns zu werfen, das Auge unſers Geiſtes zu ſtuͤm- pfen

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/305>, abgerufen am 29.04.2024.