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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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24.
"Ihr seyd, der sprache nach, aus meinem lande; vielleicht
Ists nicht umsonst, daß ihr dem guten herrn so gleicht,
Den ich, in diesem wilden hayne,
So fern von meinem volk, schon sechzehn jahre beweine.
Ach! ihn zu überleben war
Mein schicksal! Diese hand hat ihm die augen geschlossen,
Dies auge sein frühes grab mit treuen zähren begossen,
Und izt ihn wieder in euch zu sehn, wie wunderbar!"
25.
Der zufall spielt zuweilen solche spiele,
Versezt der Jüngling. Sey es dann,
Fährt jener fort; genug, mein wackrer junger mann,
Die liebe, womit ich mich zu euch gezogen fühle,
Ist traun! kein wahn -- Und gönnet ihr den lohn
Daß Scherasmin bey euerm namen euch nenne?
"Mein nam ist Hüon, erb und sohn
"Des braven Siegewin, einst herzogs von Guyenne."
26.
O! ruft der Alte, der ihm zu füßen fällt,
So log mein herz mir nicht! O tausendmal willkommen
In diesem einsamen unwirthbarn theil der welt,
Willkommen, sohn des ritterlichen, frommen,
Preiswerthen herrn, mit dem in meiner bessern zeit
Ich manches abenteu'r in schimpf und ernst bestanden!
Ihr hüpftet noch im ersten flügelkleid
Als wir zum heil'gen grab zu fahren uns verbanden.
27. Wer
24.
Ihr ſeyd, der ſprache nach, aus meinem lande; vielleicht
Iſts nicht umſonſt, daß ihr dem guten herrn ſo gleicht,
Den ich, in dieſem wilden hayne,
So fern von meinem volk, ſchon ſechzehn jahre beweine.
Ach! ihn zu uͤberleben war
Mein ſchickſal! Dieſe hand hat ihm die augen geſchloſſen,
Dies auge ſein fruͤhes grab mit treuen zaͤhren begoſſen,
Und izt ihn wieder in euch zu ſehn, wie wunderbar!“
25.
Der zufall ſpielt zuweilen ſolche ſpiele,
Verſezt der Juͤngling. Sey es dann,
Faͤhrt jener fort; genug, mein wackrer junger mann,
Die liebe, womit ich mich zu euch gezogen fuͤhle,
Iſt traun! kein wahn — Und goͤnnet ihr den lohn
Daß Scherasmin bey euerm namen euch nenne?
„Mein nam iſt Huͤon, erb und ſohn
„Des braven Siegewin, einſt herzogs von Guyenne.“
26.
O! ruft der Alte, der ihm zu fuͤßen faͤllt,
So log mein herz mir nicht! O tauſendmal willkommen
In dieſem einſamen unwirthbarn theil der welt,
Willkommen, ſohn des ritterlichen, frommen,
Preiswerthen herrn, mit dem in meiner beſſern zeit
Ich manches abenteu'r in ſchimpf und ernſt beſtanden!
Ihr huͤpftet noch im erſten fluͤgelkleid
Als wir zum heil'gen grab zu fahren uns verbanden.
27. Wer
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[0017] 24. „Ihr ſeyd, der ſprache nach, aus meinem lande; vielleicht Iſts nicht umſonſt, daß ihr dem guten herrn ſo gleicht, Den ich, in dieſem wilden hayne, So fern von meinem volk, ſchon ſechzehn jahre beweine. Ach! ihn zu uͤberleben war Mein ſchickſal! Dieſe hand hat ihm die augen geſchloſſen, Dies auge ſein fruͤhes grab mit treuen zaͤhren begoſſen, Und izt ihn wieder in euch zu ſehn, wie wunderbar!“ 25. Der zufall ſpielt zuweilen ſolche ſpiele, Verſezt der Juͤngling. Sey es dann, Faͤhrt jener fort; genug, mein wackrer junger mann, Die liebe, womit ich mich zu euch gezogen fuͤhle, Iſt traun! kein wahn — Und goͤnnet ihr den lohn Daß Scherasmin bey euerm namen euch nenne? „Mein nam iſt Huͤon, erb und ſohn „Des braven Siegewin, einſt herzogs von Guyenne.“ 26. O! ruft der Alte, der ihm zu fuͤßen faͤllt, So log mein herz mir nicht! O tauſendmal willkommen In dieſem einſamen unwirthbarn theil der welt, Willkommen, ſohn des ritterlichen, frommen, Preiswerthen herrn, mit dem in meiner beſſern zeit Ich manches abenteu'r in ſchimpf und ernſt beſtanden! Ihr huͤpftet noch im erſten fluͤgelkleid Als wir zum heil'gen grab zu fahren uns verbanden. 27. Wer

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/17>, abgerufen am 26.04.2024.