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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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24.
Allein der vorrath schwand; ein Jahr, ein jahr mit bley
An füßen, braucht's ihn wieder zu ersetzen,
Und, ach! mit jedem tag wird ihr bedürfnis neu.
Arm kann die liebe sich bey wenig glüklich schätzen,
Bedarf nichts außer sich, als was Natur bedarf
Den lebensfaden fortzuspinnen;
Doch, fehlt auch dies, dann nagt der Mangel doppelt scharf.
Und die allmächtigste bezaubrung muß zerrinnen.
25.
Mit wurzeln, die allein der hunger eßbar macht,
Sind sie oft manchen tag genötigt sich zu nähren.
Oft, wenn, vom suchen matt, der junge mann bey nacht
Zur höle wiederkehrt, ist eine handvoll beeren,
Ein Möwen-ey, geraubt im steilen nest,
Ein halbverzehrter fisch, vom gier'gen Wasserraben
Erbeutet, alles, was das glük ihn finden läßt,
Sie, die seyn elend theilt, im drang der noth zu laben.
26.
Doch dieser mangel ists nicht einzig der sie kränkt.
Es fehlt bey tag und nacht an tausend kleinen dingen,
An deren werth man im besiz nicht denkt,
Wiewohl wir ohne sie mit tausend nöthen ringen.
Und dann, so leicht bekleidet wie sie sind,
Wo sollen sie vor regen, sturm und wind,
Vor jedem ungemach des wetters sicher bleiben,
Und wie des winters frost fünf monden von sich treiben?
27. Schon
24.
Allein der vorrath ſchwand; ein Jahr, ein jahr mit bley
An fuͤßen, braucht's ihn wieder zu erſetzen,
Und, ach! mit jedem tag wird ihr beduͤrfnis neu.
Arm kann die liebe ſich bey wenig gluͤklich ſchaͤtzen,
Bedarf nichts außer ſich, als was Natur bedarf
Den lebensfaden fortzuſpinnen;
Doch, fehlt auch dies, dann nagt der Mangel doppelt ſcharf.
Und die allmaͤchtigſte bezaubrung muß zerrinnen.
25.
Mit wurzeln, die allein der hunger eßbar macht,
Sind ſie oft manchen tag genoͤtigt ſich zu naͤhren.
Oft, wenn, vom ſuchen matt, der junge mann bey nacht
Zur hoͤle wiederkehrt, iſt eine handvoll beeren,
Ein Moͤwen-ey, geraubt im ſteilen neſt,
Ein halbverzehrter fiſch, vom gier'gen Waſſerraben
Erbeutet, alles, was das gluͤk ihn finden laͤßt,
Sie, die ſeyn elend theilt, im drang der noth zu laben.
26.
Doch dieſer mangel iſts nicht einzig der ſie kraͤnkt.
Es fehlt bey tag und nacht an tauſend kleinen dingen,
An deren werth man im beſiz nicht denkt,
Wiewohl wir ohne ſie mit tauſend noͤthen ringen.
Und dann, ſo leicht bekleidet wie ſie ſind,
Wo ſollen ſie vor regen, ſturm und wind,
Vor jedem ungemach des wetters ſicher bleiben,
Und wie des winters froſt fuͤnf monden von ſich treiben?
27. Schon
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[0192] 24. Allein der vorrath ſchwand; ein Jahr, ein jahr mit bley An fuͤßen, braucht's ihn wieder zu erſetzen, Und, ach! mit jedem tag wird ihr beduͤrfnis neu. Arm kann die liebe ſich bey wenig gluͤklich ſchaͤtzen, Bedarf nichts außer ſich, als was Natur bedarf Den lebensfaden fortzuſpinnen; Doch, fehlt auch dies, dann nagt der Mangel doppelt ſcharf. Und die allmaͤchtigſte bezaubrung muß zerrinnen. 25. Mit wurzeln, die allein der hunger eßbar macht, Sind ſie oft manchen tag genoͤtigt ſich zu naͤhren. Oft, wenn, vom ſuchen matt, der junge mann bey nacht Zur hoͤle wiederkehrt, iſt eine handvoll beeren, Ein Moͤwen-ey, geraubt im ſteilen neſt, Ein halbverzehrter fiſch, vom gier'gen Waſſerraben Erbeutet, alles, was das gluͤk ihn finden laͤßt, Sie, die ſeyn elend theilt, im drang der noth zu laben. 26. Doch dieſer mangel iſts nicht einzig der ſie kraͤnkt. Es fehlt bey tag und nacht an tauſend kleinen dingen, An deren werth man im beſiz nicht denkt, Wiewohl wir ohne ſie mit tauſend noͤthen ringen. Und dann, ſo leicht bekleidet wie ſie ſind, Wo ſollen ſie vor regen, ſturm und wind, Vor jedem ungemach des wetters ſicher bleiben, Und wie des winters froſt fuͤnf monden von ſich treiben? 27. Schon

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/192>, abgerufen am 05.05.2024.