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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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39.
Erstiegen war nunmehr der erste von den gipfeln,
Und vor ihm liegt, gleich einem felsensaal,
Hoch überwölbt von alten tannenwipfeln,
In stiller dämmerung, ein kleines schmales thal.
Ein schauder überfällt den matten
Erschöpften wanderer, indem sein wankender schritt
Dies düstre Heiligthum der Einsamkeit betritt,
Ihm ist, er tret' ins Reich der Schatten.
40.
Bald leitet ihn ein sanftgekrümmter pfad,
Der sich allmählich senkt, zu einer schmalen brücke.
Tief unter ihr rollt über felsenstücke
Ein weißbeschäumter strom, gleich einem wasserrad.
Herr Hüon schreitet unverdrossen
Den berg hinan, auf den die brücke führt,
Und sieht sich unvermerkt in felsen eingeschlossen
Wo bald die möglichkeit des auswegs sich verliert.
41.
Der pfad auf dem er hergekommen
Wird, wie durch zauberey, aus seinem aug' entrükt!
Lang irrt er suchend um, von stummer angst beklommen,
Bis durchs gesträuch, das aus den spalten nikt,
Sich eine öfnung zeigt, die (wie er bald befindet)
Der anfang ist von einem schmalen gang
Der durch den felsen sich um eine spindel windet,
Fast senkrecht, mehr als hundert stufen lang.
42. Kaum
39.
Erſtiegen war nunmehr der erſte von den gipfeln,
Und vor ihm liegt, gleich einem felſenſaal,
Hoch uͤberwoͤlbt von alten tannenwipfeln,
In ſtiller daͤmmerung, ein kleines ſchmales thal.
Ein ſchauder uͤberfaͤllt den matten
Erſchoͤpften wanderer, indem ſein wankender ſchritt
Dies duͤſtre Heiligthum der Einſamkeit betritt,
Ihm iſt, er tret' ins Reich der Schatten.
40.
Bald leitet ihn ein ſanftgekruͤmmter pfad,
Der ſich allmaͤhlich ſenkt, zu einer ſchmalen bruͤcke.
Tief unter ihr rollt uͤber felſenſtuͤcke
Ein weißbeſchaͤumter ſtrom, gleich einem waſſerrad.
Herr Huͤon ſchreitet unverdroſſen
Den berg hinan, auf den die bruͤcke fuͤhrt,
Und ſieht ſich unvermerkt in felſen eingeſchloſſen
Wo bald die moͤglichkeit des auswegs ſich verliert.
41.
Der pfad auf dem er hergekommen
Wird, wie durch zauberey, aus ſeinem aug' entruͤkt!
Lang irrt er ſuchend um, von ſtummer angſt beklommen,
Bis durchs geſtraͤuch, das aus den ſpalten nikt,
Sich eine oͤfnung zeigt, die (wie er bald befindet)
Der anfang iſt von einem ſchmalen gang
Der durch den felſen ſich um eine ſpindel windet,
Faſt ſenkrecht, mehr als hundert ſtufen lang.
42. Kaum
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[0197] 39. Erſtiegen war nunmehr der erſte von den gipfeln, Und vor ihm liegt, gleich einem felſenſaal, Hoch uͤberwoͤlbt von alten tannenwipfeln, In ſtiller daͤmmerung, ein kleines ſchmales thal. Ein ſchauder uͤberfaͤllt den matten Erſchoͤpften wanderer, indem ſein wankender ſchritt Dies duͤſtre Heiligthum der Einſamkeit betritt, Ihm iſt, er tret' ins Reich der Schatten. 40. Bald leitet ihn ein ſanftgekruͤmmter pfad, Der ſich allmaͤhlich ſenkt, zu einer ſchmalen bruͤcke. Tief unter ihr rollt uͤber felſenſtuͤcke Ein weißbeſchaͤumter ſtrom, gleich einem waſſerrad. Herr Huͤon ſchreitet unverdroſſen Den berg hinan, auf den die bruͤcke fuͤhrt, Und ſieht ſich unvermerkt in felſen eingeſchloſſen Wo bald die moͤglichkeit des auswegs ſich verliert. 41. Der pfad auf dem er hergekommen Wird, wie durch zauberey, aus ſeinem aug' entruͤkt! Lang irrt er ſuchend um, von ſtummer angſt beklommen, Bis durchs geſtraͤuch, das aus den ſpalten nikt, Sich eine oͤfnung zeigt, die (wie er bald befindet) Der anfang iſt von einem ſchmalen gang Der durch den felſen ſich um eine ſpindel windet, Faſt ſenkrecht, mehr als hundert ſtufen lang. 42. Kaum

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/197>, abgerufen am 05.05.2024.