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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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50.
Das unbegreifliche des zufalls, daß ein kind
Von seinem alter sich verliere,
An einem ort, wo weder wilde thiere
Noch menschen (wilder oft als jene) furchtbar sind,
Mehrt ihre angst; doch nährt es auch ihr hoffen:
"Es kann nicht anders seyn, er hat sich nur verloffen,
Und schlief vielleicht, auf irgend einem stein,
Vom wandern müd, in seiner unschuld ein."
51.
Aufs neue wird der ganze felsenrücken,
Wird jeder winkel, jeder strauch
Der ihn vielleicht verstekt, durchsucht mit Falkenblicken.
Die unruh treibt sogar, wie unwahrscheinlich auch
Die Hofnung ist ihn dort lebendig aufzuspüren,
Sie bis zum strand herab, wo, unter dem gemisch
Von aufgethürmtem sand und sumpfichtem gebüsch,
Sie endlich unvermerkt einander selbst verlieren.
52.
Auf einmal schrekt Amandens stilles ohr
Ein ungewohnter Ton: ihr däucht, es glich dem schalle
Von stimmen; doch, weil's wieder sich verlohr,
Und sie bey einem wasserfalle,
Der mit betäubendem getöse übern rand
Von einem hohen felsenbogen
Herunterstürzt, sich ziemlich nah befand,
Glaubt sie, sie habe sich betrogen.
53. Ihr
50.
Das unbegreifliche des zufalls, daß ein kind
Von ſeinem alter ſich verliere,
An einem ort, wo weder wilde thiere
Noch menſchen (wilder oft als jene) furchtbar ſind,
Mehrt ihre angſt; doch naͤhrt es auch ihr hoffen:
„Es kann nicht anders ſeyn, er hat ſich nur verloffen,
Und ſchlief vielleicht, auf irgend einem ſtein,
Vom wandern muͤd, in ſeiner unſchuld ein.“
51.
Aufs neue wird der ganze felſenruͤcken,
Wird jeder winkel, jeder ſtrauch
Der ihn vielleicht verſtekt, durchſucht mit Falkenblicken.
Die unruh treibt ſogar, wie unwahrſcheinlich auch
Die Hofnung iſt ihn dort lebendig aufzuſpuͤren,
Sie bis zum ſtrand herab, wo, unter dem gemiſch
Von aufgethuͤrmtem ſand und ſumpfichtem gebuͤſch,
Sie endlich unvermerkt einander ſelbſt verlieren.
52.
Auf einmal ſchrekt Amandens ſtilles ohr
Ein ungewohnter Ton: ihr daͤucht, es glich dem ſchalle
Von ſtimmen; doch, weil's wieder ſich verlohr,
Und ſie bey einem waſſerfalle,
Der mit betaͤubendem getoͤſe uͤbern rand
Von einem hohen felſenbogen
Herunterſtuͤrzt, ſich ziemlich nah befand,
Glaubt ſie, ſie habe ſich betrogen.
53. Ihr
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[0241] 50. Das unbegreifliche des zufalls, daß ein kind Von ſeinem alter ſich verliere, An einem ort, wo weder wilde thiere Noch menſchen (wilder oft als jene) furchtbar ſind, Mehrt ihre angſt; doch naͤhrt es auch ihr hoffen: „Es kann nicht anders ſeyn, er hat ſich nur verloffen, Und ſchlief vielleicht, auf irgend einem ſtein, Vom wandern muͤd, in ſeiner unſchuld ein.“ 51. Aufs neue wird der ganze felſenruͤcken, Wird jeder winkel, jeder ſtrauch Der ihn vielleicht verſtekt, durchſucht mit Falkenblicken. Die unruh treibt ſogar, wie unwahrſcheinlich auch Die Hofnung iſt ihn dort lebendig aufzuſpuͤren, Sie bis zum ſtrand herab, wo, unter dem gemiſch Von aufgethuͤrmtem ſand und ſumpfichtem gebuͤſch, Sie endlich unvermerkt einander ſelbſt verlieren. 52. Auf einmal ſchrekt Amandens ſtilles ohr Ein ungewohnter Ton: ihr daͤucht, es glich dem ſchalle Von ſtimmen; doch, weil's wieder ſich verlohr, Und ſie bey einem waſſerfalle, Der mit betaͤubendem getoͤſe uͤbern rand Von einem hohen felſenbogen Herunterſtuͤrzt, ſich ziemlich nah befand, Glaubt ſie, ſie habe ſich betrogen. 53. Ihr

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/241>, abgerufen am 03.05.2024.