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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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15.
Aus eisen schien das ganze werk gegossen,
Und war ringsum so fest verschlossen,
Daß nur ein pförtchen, kaum zween fuß breit, offen stand:
Und vor dem pförtchen stehn, mit flegeln in der hand,
Zween hochgewaltige metallene Kolossen,
Durch zauberey belebt, und dreschen unverdrossen
So hageldicht, daß zwischen schlag und schlag
Sich unzerknickt sogar kein lichtstral drängen mag.
16.
Der Paladin bleibt eine weile stehen,
Und wie er überlegt, was anzufangen sey,
Läßt eine Jungfrau sich an einem fenster sehen,
Die winkt gar züchtiglich ihm mit der hand herbey.
Mein treu! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken:
Ihr werdet doch kein solcher waghals seyn?
Seht ihr die Schweitzer nicht mit ihren langen zinken?
Da kömmt von euch kein knochen ganz hinein!
17.
Doch Hüon hielt getreu an seiner ordensregel,
Dem Satan selber nie den rücken zuzudrehn.
Hier, denkt er, hilft sonst nichts als mitten durch die flegel
Geradezu aufs pförtchen loszugehn.
Den degen hoch, die augen zugeschlossen,
Stürzt er hinein; und wohl ihm! ihn verführt
Sein glaube nicht: die ehernen Kolossen
Stehn regunglos, sobald er sie berührt.
18. Kaum
15.
Aus eiſen ſchien das ganze werk gegoſſen,
Und war ringsum ſo feſt verſchloſſen,
Daß nur ein pfoͤrtchen, kaum zween fuß breit, offen ſtand:
Und vor dem pfoͤrtchen ſtehn, mit flegeln in der hand,
Zween hochgewaltige metallene Koloſſen,
Durch zauberey belebt, und dreſchen unverdroſſen
So hageldicht, daß zwiſchen ſchlag und ſchlag
Sich unzerknickt ſogar kein lichtſtral draͤngen mag.
16.
Der Paladin bleibt eine weile ſtehen,
Und wie er uͤberlegt, was anzufangen ſey,
Laͤßt eine Jungfrau ſich an einem fenſter ſehen,
Die winkt gar zuͤchtiglich ihm mit der hand herbey.
Mein treu! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken:
Ihr werdet doch kein ſolcher waghals ſeyn?
Seht ihr die Schweitzer nicht mit ihren langen zinken?
Da koͤmmt von euch kein knochen ganz hinein!
17.
Doch Huͤon hielt getreu an ſeiner ordensregel,
Dem Satan ſelber nie den ruͤcken zuzudrehn.
Hier, denkt er, hilft ſonſt nichts als mitten durch die flegel
Geradezu aufs pfoͤrtchen loszugehn.
Den degen hoch, die augen zugeſchloſſen,
Stuͤrzt er hinein; und wohl ihm! ihn verfuͤhrt
Sein glaube nicht: die ehernen Koloſſen
Stehn regunglos, ſobald er ſie beruͤhrt.
18. Kaum
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[0058] 15. Aus eiſen ſchien das ganze werk gegoſſen, Und war ringsum ſo feſt verſchloſſen, Daß nur ein pfoͤrtchen, kaum zween fuß breit, offen ſtand: Und vor dem pfoͤrtchen ſtehn, mit flegeln in der hand, Zween hochgewaltige metallene Koloſſen, Durch zauberey belebt, und dreſchen unverdroſſen So hageldicht, daß zwiſchen ſchlag und ſchlag Sich unzerknickt ſogar kein lichtſtral draͤngen mag. 16. Der Paladin bleibt eine weile ſtehen, Und wie er uͤberlegt, was anzufangen ſey, Laͤßt eine Jungfrau ſich an einem fenſter ſehen, Die winkt gar zuͤchtiglich ihm mit der hand herbey. Mein treu! ruft Scherasmin, die Jungfer hat gut winken: Ihr werdet doch kein ſolcher waghals ſeyn? Seht ihr die Schweitzer nicht mit ihren langen zinken? Da koͤmmt von euch kein knochen ganz hinein! 17. Doch Huͤon hielt getreu an ſeiner ordensregel, Dem Satan ſelber nie den ruͤcken zuzudrehn. Hier, denkt er, hilft ſonſt nichts als mitten durch die flegel Geradezu aufs pfoͤrtchen loszugehn. Den degen hoch, die augen zugeſchloſſen, Stuͤrzt er hinein; und wohl ihm! ihn verfuͤhrt Sein glaube nicht: die ehernen Koloſſen Stehn regunglos, ſobald er ſie beruͤhrt. 18. Kaum

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/58>, abgerufen am 29.04.2024.