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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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21.
Jedoch, den ring ihm sicher abzunehmen
Ists iust noch zeit. -- "Wie so?" -- Der schlaf,
Der täglich drey bis viermal ihn zu lähmen
Und zu betäuben pflegt, ist kein natürlicher schlaf.
Ich will euch, weil noch wohl zwoo ganze stunden fehlen
Bis er erwacht, die sache kurz erzählen.
Mein vater, Balazin von Phrygien genannt,
Ist Herr von Jericho im Palästinerland.
22.
Beynah vier jahre sinds, seit mich Alexis liebte,
Der schönste Prinz vom berge Libanon;
Und wenn ihn, wie er sagt, mein sprödethun betrübte,
So wußte, glaubet mir, mein herz kein wort davon:
Es fiel mir schwer genug! Doch, in den ersten wochen
Hatt' ichs der heiligen Alexia versprochen,
Nur, wenn der Prinz drey jahre keusch und rein
Mir diente, anders nicht, die seinige zu seyn.
23.
Ganz heimlich wurd' er mir mit jedem tage lieber;
Lang war die prüfungszeit; jedoch, sie gieng vorüber:
Ich ward ihm angetraut -- und kurz, schon sahen wir
Ins brautgemach zusammen uns verschlossen:
Auf einmal flog im sturm die kammerthür
Erdonnernd auf, der Riese kam geschossen,
Ergriff mich, floh davon, und sieben monden schier
Sind, seit mich dieser thurm gefangen hält, verflossen.
24. Zu
21.
Jedoch, den ring ihm ſicher abzunehmen
Iſts iuſt noch zeit. — „Wie ſo?“ — Der ſchlaf,
Der taͤglich drey bis viermal ihn zu laͤhmen
Und zu betaͤuben pflegt, iſt kein natuͤrlicher ſchlaf.
Ich will euch, weil noch wohl zwoo ganze ſtunden fehlen
Bis er erwacht, die ſache kurz erzaͤhlen.
Mein vater, Balazin von Phrygien genannt,
Iſt Herr von Jericho im Palaͤſtinerland.
22.
Beynah vier jahre ſinds, ſeit mich Alexis liebte,
Der ſchoͤnſte Prinz vom berge Libanon;
Und wenn ihn, wie er ſagt, mein ſproͤdethun betruͤbte,
So wußte, glaubet mir, mein herz kein wort davon:
Es fiel mir ſchwer genug! Doch, in den erſten wochen
Hatt' ichs der heiligen Alexia verſprochen,
Nur, wenn der Prinz drey jahre keuſch und rein
Mir diente, anders nicht, die ſeinige zu ſeyn.
23.
Ganz heimlich wurd' er mir mit jedem tage lieber;
Lang war die pruͤfungszeit; jedoch, ſie gieng voruͤber:
Ich ward ihm angetraut — und kurz, ſchon ſahen wir
Ins brautgemach zuſammen uns verſchloſſen:
Auf einmal flog im ſturm die kammerthuͤr
Erdonnernd auf, der Rieſe kam geſchoſſen,
Ergriff mich, floh davon, und ſieben monden ſchier
Sind, ſeit mich dieſer thurm gefangen haͤlt, verfloſſen.
24. Zu
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[0060] 21. Jedoch, den ring ihm ſicher abzunehmen Iſts iuſt noch zeit. — „Wie ſo?“ — Der ſchlaf, Der taͤglich drey bis viermal ihn zu laͤhmen Und zu betaͤuben pflegt, iſt kein natuͤrlicher ſchlaf. Ich will euch, weil noch wohl zwoo ganze ſtunden fehlen Bis er erwacht, die ſache kurz erzaͤhlen. Mein vater, Balazin von Phrygien genannt, Iſt Herr von Jericho im Palaͤſtinerland. 22. Beynah vier jahre ſinds, ſeit mich Alexis liebte, Der ſchoͤnſte Prinz vom berge Libanon; Und wenn ihn, wie er ſagt, mein ſproͤdethun betruͤbte, So wußte, glaubet mir, mein herz kein wort davon: Es fiel mir ſchwer genug! Doch, in den erſten wochen Hatt' ichs der heiligen Alexia verſprochen, Nur, wenn der Prinz drey jahre keuſch und rein Mir diente, anders nicht, die ſeinige zu ſeyn. 23. Ganz heimlich wurd' er mir mit jedem tage lieber; Lang war die pruͤfungszeit; jedoch, ſie gieng voruͤber: Ich ward ihm angetraut — und kurz, ſchon ſahen wir Ins brautgemach zuſammen uns verſchloſſen: Auf einmal flog im ſturm die kammerthuͤr Erdonnernd auf, der Rieſe kam geſchoſſen, Ergriff mich, floh davon, und ſieben monden ſchier Sind, ſeit mich dieſer thurm gefangen haͤlt, verfloſſen. 24. Zu

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/60>, abgerufen am 28.04.2024.