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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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63.
Er hört ihr ängstlich schreyn, will nach -- o höllenpein!
Und kann nicht! Steht entseelt vor schrecken
Als wie ein bild auf einem leichenstein.
Vergebens strebt er, keucht und ficht mit arm und bein,
Er glaubt in eis bis an den hals zu stecken,
Sieht aus den wellen sie die arme bittend strecken,
Und kann nicht schreyn, nicht, wie der liebe wut
Ihn spornt, zu ihr sich stürzen in die flut.
64.
Herr, ruft ihm Scherasmin, da er sein banges schnauben
Vernimmt, erwacht, erwacht! Ein böser traum
Schnürt euch die kehle zu -- Fort, Geister, macht mir raum,
Schreyt Hüon, wollt ihr mir auch ihren schatten rauben?
Und wütend fährt er auf aus seinem traumgesicht;
Noch klopft von todesangst umfangen
Sein stockend herz, er starrt ins tageslicht
Hinaus, und kalter schweiß liegt auf den bleichen wangen.
65.
Das war ein schwerer traum, ruft ihm der Alte zu:
Ihr lagt vermuthlich wohl zu lange auf dem rücken?
Ein traum? seufzt Siegwins Sohn mit minder wilden blicken,
Das war's! allein ein traum, der meines herzens ruh
Auf ewig raubt! -- "Das wolle Gott verhüten,
Mein bester Herr!" -- Sag mir im ernste (spricht
Der Ritter ernstvoll) glaubst du nicht
Daß Träum' uns dann und wann was künftig ist entbieten?
66. Man
63.
Er hoͤrt ihr aͤngſtlich ſchreyn, will nach — o hoͤllenpein!
Und kann nicht! Steht entſeelt vor ſchrecken
Als wie ein bild auf einem leichenſtein.
Vergebens ſtrebt er, keucht und ficht mit arm und bein,
Er glaubt in eis bis an den hals zu ſtecken,
Sieht aus den wellen ſie die arme bittend ſtrecken,
Und kann nicht ſchreyn, nicht, wie der liebe wut
Ihn ſpornt, zu ihr ſich ſtuͤrzen in die flut.
64.
Herr, ruft ihm Scherasmin, da er ſein banges ſchnauben
Vernimmt, erwacht, erwacht! Ein boͤſer traum
Schnuͤrt euch die kehle zu — Fort, Geiſter, macht mir raum,
Schreyt Huͤon, wollt ihr mir auch ihren ſchatten rauben?
Und wuͤtend faͤhrt er auf aus ſeinem traumgeſicht;
Noch klopft von todesangſt umfangen
Sein ſtockend herz, er ſtarrt ins tageslicht
Hinaus, und kalter ſchweiß liegt auf den bleichen wangen.
65.
Das war ein ſchwerer traum, ruft ihm der Alte zu:
Ihr lagt vermuthlich wohl zu lange auf dem ruͤcken?
Ein traum? ſeufzt Siegwins Sohn mit minder wilden blicken,
Das war's! allein ein traum, der meines herzens ruh
Auf ewig raubt! — „Das wolle Gott verhuͤten,
Mein beſter Herr!“ — Sag mir im ernſte (ſpricht
Der Ritter ernſtvoll) glaubſt du nicht
Daß Traͤum' uns dann und wann was kuͤnftig iſt entbieten?
66. Man
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[0074] 63. Er hoͤrt ihr aͤngſtlich ſchreyn, will nach — o hoͤllenpein! Und kann nicht! Steht entſeelt vor ſchrecken Als wie ein bild auf einem leichenſtein. Vergebens ſtrebt er, keucht und ficht mit arm und bein, Er glaubt in eis bis an den hals zu ſtecken, Sieht aus den wellen ſie die arme bittend ſtrecken, Und kann nicht ſchreyn, nicht, wie der liebe wut Ihn ſpornt, zu ihr ſich ſtuͤrzen in die flut. 64. Herr, ruft ihm Scherasmin, da er ſein banges ſchnauben Vernimmt, erwacht, erwacht! Ein boͤſer traum Schnuͤrt euch die kehle zu — Fort, Geiſter, macht mir raum, Schreyt Huͤon, wollt ihr mir auch ihren ſchatten rauben? Und wuͤtend faͤhrt er auf aus ſeinem traumgeſicht; Noch klopft von todesangſt umfangen Sein ſtockend herz, er ſtarrt ins tageslicht Hinaus, und kalter ſchweiß liegt auf den bleichen wangen. 65. Das war ein ſchwerer traum, ruft ihm der Alte zu: Ihr lagt vermuthlich wohl zu lange auf dem ruͤcken? Ein traum? ſeufzt Siegwins Sohn mit minder wilden blicken, Das war's! allein ein traum, der meines herzens ruh Auf ewig raubt! — „Das wolle Gott verhuͤten, Mein beſter Herr!“ — Sag mir im ernſte (ſpricht Der Ritter ernſtvoll) glaubſt du nicht Daß Traͤum' uns dann und wann was kuͤnftig iſt entbieten? 66. Man

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/74>, abgerufen am 28.04.2024.