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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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36.
Noch irrten sie in seinen ersten gassen
Unkundig in der dämmrung hin und her,
Als Fremde, die sich bloß vom zufall leiten lassen:
Da kam des wegs von ungefähr
An ihrem stab ein Mütterchen gegangen,
Mit grauem haar und längstverwelkten wangen.
He, Mutter, seyd so gut, schreyt Scherasmin sie an,
Und weiset uns den weg zu einem Han.
37.
Die Alte bleibt gestüzt auf ihre krücke stehen,
Und hebt ihr wankend haupt die Fremden anzusehen.
Herr Fremdling, spricht sie drauf, von hier ists ziemlich weit
Zum nächsten Han; doch, wenn ihr müde seyd
Und wenig euch genügt, so kommt in meine hütte;
Da steht euch milch und brod, und eine gute schütte
Von frischem stroh zu dienst, und gras für euer vieh;
Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen früh.
38.
Mit großem dank für dies erbieten
Folgt ihr Herr Hüon nach. Ihn däucht kein lager schlecht
Wo freundlichkeit und treu der offnen thüre hüten.
Die neue Bauzis macht in eil die streu zurecht,
Wirft quendel und orangenblüthen
Aus ihrem gärtchen drauf, trägt fette milch voll schaum
Und saftge pfirschen auf, und feigen frisch vom baum,
Beklagend, daß ihr fern' die mandeln nicht geriethen.
39. Dem
36.
Noch irrten ſie in ſeinen erſten gaſſen
Unkundig in der daͤmmrung hin und her,
Als Fremde, die ſich bloß vom zufall leiten laſſen:
Da kam des wegs von ungefaͤhr
An ihrem ſtab ein Muͤtterchen gegangen,
Mit grauem haar und laͤngſtverwelkten wangen.
He, Mutter, ſeyd ſo gut, ſchreyt Scherasmin ſie an,
Und weiſet uns den weg zu einem Han.
37.
Die Alte bleibt geſtuͤzt auf ihre kruͤcke ſtehen,
Und hebt ihr wankend haupt die Fremden anzuſehen.
Herr Fremdling, ſpricht ſie drauf, von hier iſts ziemlich weit
Zum naͤchſten Han; doch, wenn ihr muͤde ſeyd
Und wenig euch genuͤgt, ſo kommt in meine huͤtte;
Da ſteht euch milch und brod, und eine gute ſchuͤtte
Von friſchem ſtroh zu dienſt, und gras fuͤr euer vieh;
Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen fruͤh.
38.
Mit großem dank fuͤr dies erbieten
Folgt ihr Herr Huͤon nach. Ihn daͤucht kein lager ſchlecht
Wo freundlichkeit und treu der offnen thuͤre huͤten.
Die neue Bauzis macht in eil die ſtreu zurecht,
Wirft quendel und orangenbluͤthen
Aus ihrem gaͤrtchen drauf, traͤgt fette milch voll ſchaum
Und ſaftge pfirſchen auf, und feigen friſch vom baum,
Beklagend, daß ihr fern' die mandeln nicht geriethen.
39. Dem
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[0088] 36. Noch irrten ſie in ſeinen erſten gaſſen Unkundig in der daͤmmrung hin und her, Als Fremde, die ſich bloß vom zufall leiten laſſen: Da kam des wegs von ungefaͤhr An ihrem ſtab ein Muͤtterchen gegangen, Mit grauem haar und laͤngſtverwelkten wangen. He, Mutter, ſeyd ſo gut, ſchreyt Scherasmin ſie an, Und weiſet uns den weg zu einem Han. 37. Die Alte bleibt geſtuͤzt auf ihre kruͤcke ſtehen, Und hebt ihr wankend haupt die Fremden anzuſehen. Herr Fremdling, ſpricht ſie drauf, von hier iſts ziemlich weit Zum naͤchſten Han; doch, wenn ihr muͤde ſeyd Und wenig euch genuͤgt, ſo kommt in meine huͤtte; Da ſteht euch milch und brod, und eine gute ſchuͤtte Von friſchem ſtroh zu dienſt, und gras fuͤr euer vieh; Ihr ruhet aus, und zieht dann weiter morgen fruͤh. 38. Mit großem dank fuͤr dies erbieten Folgt ihr Herr Huͤon nach. Ihn daͤucht kein lager ſchlecht Wo freundlichkeit und treu der offnen thuͤre huͤten. Die neue Bauzis macht in eil die ſtreu zurecht, Wirft quendel und orangenbluͤthen Aus ihrem gaͤrtchen drauf, traͤgt fette milch voll ſchaum Und ſaftge pfirſchen auf, und feigen friſch vom baum, Beklagend, daß ihr fern' die mandeln nicht geriethen. 39. Dem

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/88>, abgerufen am 29.04.2024.