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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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33.
Er sieht mit ihren goldnen zinnen,
Gleich einer Götterburg, in furchtbarstolzer pracht,
Der Emirn Burg, den Thron, der Asien zittern macht;
Und du, spricht er zu sich, was gebst du zu beginnen?
Er stuzt. Doch bald stärkt wieder seine sinnen
Des glaubens mut, der ihn so weit gebracht,
Und eine stimme scheint ihm leise zuzuwehen,
Er werde die er liebt in jenen mauern sehen.
34.
Auf, ruft er, Scherasmin, spann alle segel auf!
Du siehst das ziel von meinem langen lauf,
Wir müssen Bagdad noch vor dunkler nacht erreichen.
Nun gehts im schärfsten trott, daß roß und reiter keuchen.
Der Knapp gießt seinem thier mitleidig etwas wein
Aus Ob'rons becher auf die zunge;
Da, spricht er, trink, du guter treuer junge,
Der becher troknet nicht für deinesgleichen ein.
35.
Er hatte recht. Kaum saugt des maulthiers zunge
So lechzend als ein ausgebrannter stein
Den süßen thau des zaubergoldes ein,
So schießt mit allbelebendem schwunge
Ein feuerstrom durch adern und gebein;
Von neuer kraft gespannt, erfrischt an herz und lunge,
Läufts, einem Windspiel gleich, mit ihm davon,
Und eh der tag erlischt sind sie in Babylon.
36. Noch
F
33.
Er ſieht mit ihren goldnen zinnen,
Gleich einer Goͤtterburg, in furchtbarſtolzer pracht,
Der Emirn Burg, den Thron, der Aſien zittern macht;
Und du, ſpricht er zu ſich, was gebſt du zu beginnen?
Er ſtuzt. Doch bald ſtaͤrkt wieder ſeine ſinnen
Des glaubens mut, der ihn ſo weit gebracht,
Und eine ſtimme ſcheint ihm leiſe zuzuwehen,
Er werde die er liebt in jenen mauern ſehen.
34.
Auf, ruft er, Scherasmin, ſpann alle ſegel auf!
Du ſiehſt das ziel von meinem langen lauf,
Wir muͤſſen Bagdad noch vor dunkler nacht erreichen.
Nun gehts im ſchaͤrfſten trott, daß roß und reiter keuchen.
Der Knapp gießt ſeinem thier mitleidig etwas wein
Aus Ob'rons becher auf die zunge;
Da, ſpricht er, trink, du guter treuer junge,
Der becher troknet nicht fuͤr deinesgleichen ein.
35.
Er hatte recht. Kaum ſaugt des maulthiers zunge
So lechzend als ein ausgebrannter ſtein
Den ſuͤßen thau des zaubergoldes ein,
So ſchießt mit allbelebendem ſchwunge
Ein feuerſtrom durch adern und gebein;
Von neuer kraft geſpannt, erfriſcht an herz und lunge,
Laͤufts, einem Windſpiel gleich, mit ihm davon,
Und eh der tag erliſcht ſind ſie in Babylon.
36. Noch
F
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[0087] 33. Er ſieht mit ihren goldnen zinnen, Gleich einer Goͤtterburg, in furchtbarſtolzer pracht, Der Emirn Burg, den Thron, der Aſien zittern macht; Und du, ſpricht er zu ſich, was gebſt du zu beginnen? Er ſtuzt. Doch bald ſtaͤrkt wieder ſeine ſinnen Des glaubens mut, der ihn ſo weit gebracht, Und eine ſtimme ſcheint ihm leiſe zuzuwehen, Er werde die er liebt in jenen mauern ſehen. 34. Auf, ruft er, Scherasmin, ſpann alle ſegel auf! Du ſiehſt das ziel von meinem langen lauf, Wir muͤſſen Bagdad noch vor dunkler nacht erreichen. Nun gehts im ſchaͤrfſten trott, daß roß und reiter keuchen. Der Knapp gießt ſeinem thier mitleidig etwas wein Aus Ob'rons becher auf die zunge; Da, ſpricht er, trink, du guter treuer junge, Der becher troknet nicht fuͤr deinesgleichen ein. 35. Er hatte recht. Kaum ſaugt des maulthiers zunge So lechzend als ein ausgebrannter ſtein Den ſuͤßen thau des zaubergoldes ein, So ſchießt mit allbelebendem ſchwunge Ein feuerſtrom durch adern und gebein; Von neuer kraft geſpannt, erfriſcht an herz und lunge, Laͤufts, einem Windſpiel gleich, mit ihm davon, Und eh der tag erliſcht ſind ſie in Babylon. 36. Noch F

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/87>, abgerufen am 28.04.2024.