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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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3.
Die unruh treibt sie auf. Sie läuft, mit hastigen schritten
Und suchendem blik, durch busch und blumengefild,
Eilt athemlos zu allen grünen hütten,
Zu allen grotten hin; ihr auge, zärtlich wild
Und thränenvoll, scheint das geliebte bild
Von allen wesen zu erbitten.
Oft steht sie ängstlich still und lauscht,
Wenn nur ein schatten wankt, nur eine pappel rauscht.
4.
Zulezt, indem sie sich nach einer stelle wendet
Wo durch der büsche nacht ein heller mondschein bricht,
Glaubt sie -- O wonne! wofern kein falsches schattenlicht
Ihr gernbetrognes auge blendet --
Zu sehen was sie sucht. Sie sieht und wird gesehn;
Sein feuerblik begegnet ihren blicken.
Sie eilt ihm zu, und bleibt, in schauerndem entzücken,
Wie zwischen scham und liebe, zweifelnd stehn.
5.
Mit ofnen armen fliegt er ihr entgegen.
Sie will entfliehn, und kann die kniee nicht bewegen,
Mit müh verbirgt sie noch sich hinter einen baum,
Und in der süßen angst zerplazt der schöne traum.
Wie gerne hätte sie zurück ihn rufen mögen!
Sie zürnt sich selbst und dem verhaßten baum.
Umsonst bemüht, sich wieder einzuwiegen,
Muß sie am schatten nun des schattens sich vergnügen.
6. Die
3.
Die unruh treibt ſie auf. Sie laͤuft, mit haſtigen ſchritten
Und ſuchendem blik, durch buſch und blumengefild,
Eilt athemlos zu allen gruͤnen huͤtten,
Zu allen grotten hin; ihr auge, zaͤrtlich wild
Und thraͤnenvoll, ſcheint das geliebte bild
Von allen weſen zu erbitten.
Oft ſteht ſie aͤngſtlich ſtill und lauſcht,
Wenn nur ein ſchatten wankt, nur eine pappel rauſcht.
4.
Zulezt, indem ſie ſich nach einer ſtelle wendet
Wo durch der buͤſche nacht ein heller mondſchein bricht,
Glaubt ſie — O wonne! wofern kein falſches ſchattenlicht
Ihr gernbetrognes auge blendet —
Zu ſehen was ſie ſucht. Sie ſieht und wird geſehn;
Sein feuerblik begegnet ihren blicken.
Sie eilt ihm zu, und bleibt, in ſchauerndem entzuͤcken,
Wie zwiſchen ſcham und liebe, zweifelnd ſtehn.
5.
Mit ofnen armen fliegt er ihr entgegen.
Sie will entfliehn, und kann die kniee nicht bewegen,
Mit muͤh verbirgt ſie noch ſich hinter einen baum,
Und in der ſuͤßen angſt zerplazt der ſchoͤne traum.
Wie gerne haͤtte ſie zuruͤck ihn rufen moͤgen!
Sie zuͤrnt ſich ſelbſt und dem verhaßten baum.
Umſonſt bemuͤht, ſich wieder einzuwiegen,
Muß ſie am ſchatten nun des ſchattens ſich vergnuͤgen.
6. Die
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[0099] 3. Die unruh treibt ſie auf. Sie laͤuft, mit haſtigen ſchritten Und ſuchendem blik, durch buſch und blumengefild, Eilt athemlos zu allen gruͤnen huͤtten, Zu allen grotten hin; ihr auge, zaͤrtlich wild Und thraͤnenvoll, ſcheint das geliebte bild Von allen weſen zu erbitten. Oft ſteht ſie aͤngſtlich ſtill und lauſcht, Wenn nur ein ſchatten wankt, nur eine pappel rauſcht. 4. Zulezt, indem ſie ſich nach einer ſtelle wendet Wo durch der buͤſche nacht ein heller mondſchein bricht, Glaubt ſie — O wonne! wofern kein falſches ſchattenlicht Ihr gernbetrognes auge blendet — Zu ſehen was ſie ſucht. Sie ſieht und wird geſehn; Sein feuerblik begegnet ihren blicken. Sie eilt ihm zu, und bleibt, in ſchauerndem entzuͤcken, Wie zwiſchen ſcham und liebe, zweifelnd ſtehn. 5. Mit ofnen armen fliegt er ihr entgegen. Sie will entfliehn, und kann die kniee nicht bewegen, Mit muͤh verbirgt ſie noch ſich hinter einen baum, Und in der ſuͤßen angſt zerplazt der ſchoͤne traum. Wie gerne haͤtte ſie zuruͤck ihn rufen moͤgen! Sie zuͤrnt ſich ſelbſt und dem verhaßten baum. Umſonſt bemuͤht, ſich wieder einzuwiegen, Muß ſie am ſchatten nun des ſchattens ſich vergnuͤgen. 6. Die

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/99>, abgerufen am 28.04.2024.