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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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II. 10. Diobelie.
Symposion hineingebracht hat. da sagt Charmides, Platons onkel, den
er nicht ohne bosheit mit der rolle ausgestattet hat, die armut zu loben
"als ich reich war, phoron apepheron to demo (wie ein doulos khoris
oikon, nämlich durch die liturgien, wie er vorher ausgeführt hat), nun
de e polis telos pherousa trephei me (4, 32)". die sache ist vollkommen
evident.

Das ist der rückschlag gegen die aufhebung des soldes von 411,
und schon vom jahre des Glaukippos 410/9 ab hat die allgemeine be-
soldung bestanden, die doch noch etwas ganz anderes ist als das ekkle-
siastikon des Agyrrhios. und als der demos eine drittel drachme hatte,
fand sich bald ein demagoge, der ihm eine halbe versprach, und als
er das nicht halten konnte, mit dem kopfe zahlte.3) dass darnach nicht
etwa die diobelie dauernd beseitigt ist, wie der ungenaue ausdruck des
Aristoteles nahe legt, folgt aus den Fröschen.

So sehr man das princip verdammen mag: die billigkeit fordert für
jene schreckliche zeit den demagogen einige berechtigung zuzuerkennen.
die armen Athener sassen in einer belagerten stadt; ihre äcker konnten
sie nicht bestellen, handel und gewerbe lagen darnieder, wer die waffen
tragen konnte, musste dienen, und dann hatte er wenigstens anspruch
auf sold und verpflegung. aber der landsturm auf den mauern bekam
schwerlich sold wie die hopliten, und die greise und jünglinge, und
weiber und kinder? die menge des volkes, auch der proletarier, hat
wahrhaftig damals nicht geschlemmt (das imputirt ihnen die haltlose deu-
tung der diobelie auf spielgelder), sondern bitter gedarbt, und hat 404
bewiesen, dass sie für die freiheit gern hungerte. die politischen rechte
mochte an der zeit sein ihnen zu nehmen: dass sie sich nicht nur
nicht das bischen brot, das sie bisher für ihre dienste erhielten, haben
entziehen lassen, sondern brot von dem vaterlande gefordert haben, soll
ihnen niemand verdenken. Kleophon mag nicht gut haben attisch reden

3) Das gedächtnis dieses unglücksmenschen, Kallikrates aus Paiania, ist ausser
durch Aristoteles noch in zwei sprüchwörtern erhalten, obolon eure Parnopis
(Zenob. II 91 des Athous, im Parisinus nicht erhalten, daher im Göttinger Corpus
Append. 4, 11; ein par wertlose worte bei Hesych parnope aus Zenobius), richtig
behandelt von Meineke Com. IV 700, dessen emendation Parnopis durch Parnoites
des Athous, Parnope des Hesych gesichert ist, und ebenso seine herstellung von
Kallikrates für Kallistratos durch Aristoteles. er stützte sich auf das sprüch-
wort uper ta Kallikratous, Zenob. Ath. III 151, Paris. VI 29, Phot. Suid., das
Klearchos auf einen Karystier des namens falsch, irgend jemand anderes nach unserer
Aristotelesstelle richtig, aber indem er diese falsch deutete, auf den Athener be-
zogen hat.

II. 10. Diobelie.
Symposion hineingebracht hat. da sagt Charmides, Platons onkel, den
er nicht ohne bosheit mit der rolle ausgestattet hat, die armut zu loben
“als ich reich war, φόϱον ἀπέφεϱον τῷ δήμῳ (wie ein δοῦλος χωϱὶς
οἰκῶν, nämlich durch die liturgien, wie er vorher ausgeführt hat), νῦν
δὲ ἡ πόλις τέλος φέϱουσα τϱέφει με (4, 32)”. die sache ist vollkommen
evident.

Das ist der rückschlag gegen die aufhebung des soldes von 411,
und schon vom jahre des Glaukippos 410/9 ab hat die allgemeine be-
soldung bestanden, die doch noch etwas ganz anderes ist als das ekkle-
siastikon des Agyrrhios. und als der demos eine drittel drachme hatte,
fand sich bald ein demagoge, der ihm eine halbe versprach, und als
er das nicht halten konnte, mit dem kopfe zahlte.3) daſs darnach nicht
etwa die diobelie dauernd beseitigt ist, wie der ungenaue ausdruck des
Aristoteles nahe legt, folgt aus den Fröschen.

So sehr man das princip verdammen mag: die billigkeit fordert für
jene schreckliche zeit den demagogen einige berechtigung zuzuerkennen.
die armen Athener saſsen in einer belagerten stadt; ihre äcker konnten
sie nicht bestellen, handel und gewerbe lagen darnieder, wer die waffen
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auf sold und verpflegung. aber der landsturm auf den mauern bekam
schwerlich sold wie die hopliten, und die greise und jünglinge, und
weiber und kinder? die menge des volkes, auch der proletarier, hat
wahrhaftig damals nicht geschlemmt (das imputirt ihnen die haltlose deu-
tung der diobelie auf spielgelder), sondern bitter gedarbt, und hat 404
bewiesen, daſs sie für die freiheit gern hungerte. die politischen rechte
mochte an der zeit sein ihnen zu nehmen: daſs sie sich nicht nur
nicht das bischen brot, das sie bisher für ihre dienste erhielten, haben
entziehen lassen, sondern brot von dem vaterlande gefordert haben, soll
ihnen niemand verdenken. Kleophon mag nicht gut haben attisch reden

3) Das gedächtnis dieses unglücksmenschen, Kallikrates aus Paiania, ist auſser
durch Aristoteles noch in zwei sprüchwörtern erhalten, ὀβολὸν ηὗϱε Παϱνοπίς
(Zenob. II 91 des Athous, im Parisinus nicht erhalten, daher im Göttinger Corpus
Append. 4, 11; ein par wertlose worte bei Hesych παϱνόπη aus Zenobius), richtig
behandelt von Meineke Com. IV 700, dessen emendation Παϱνοπίς durch Παϱνοίτης
des Athous, Παϱνόπη des Hesych gesichert ist, und ebenso seine herstellung von
Καλλικϱάτης für Καλλίστϱατος durch Aristoteles. er stützte sich auf das sprüch-
wort ὑπὲϱ τὰ Καλλικϱάτους, Zenob. Ath. III 151, Paris. VI 29, Phot. Suid., das
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zogen hat.
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[214/0224] II. 10. Diobelie. Symposion hineingebracht hat. da sagt Charmides, Platons onkel, den er nicht ohne bosheit mit der rolle ausgestattet hat, die armut zu loben “als ich reich war, φόϱον ἀπέφεϱον τῷ δήμῳ (wie ein δοῦλος χωϱὶς οἰκῶν, nämlich durch die liturgien, wie er vorher ausgeführt hat), νῦν δὲ ἡ πόλις τέλος φέϱουσα τϱέφει με (4, 32)”. die sache ist vollkommen evident. Das ist der rückschlag gegen die aufhebung des soldes von 411, und schon vom jahre des Glaukippos 410/9 ab hat die allgemeine be- soldung bestanden, die doch noch etwas ganz anderes ist als das ekkle- siastikon des Agyrrhios. und als der demos eine drittel drachme hatte, fand sich bald ein demagoge, der ihm eine halbe versprach, und als er das nicht halten konnte, mit dem kopfe zahlte. 3) daſs darnach nicht etwa die diobelie dauernd beseitigt ist, wie der ungenaue ausdruck des Aristoteles nahe legt, folgt aus den Fröschen. So sehr man das princip verdammen mag: die billigkeit fordert für jene schreckliche zeit den demagogen einige berechtigung zuzuerkennen. die armen Athener saſsen in einer belagerten stadt; ihre äcker konnten sie nicht bestellen, handel und gewerbe lagen darnieder, wer die waffen tragen konnte, muſste dienen, und dann hatte er wenigstens anspruch auf sold und verpflegung. aber der landsturm auf den mauern bekam schwerlich sold wie die hopliten, und die greise und jünglinge, und weiber und kinder? die menge des volkes, auch der proletarier, hat wahrhaftig damals nicht geschlemmt (das imputirt ihnen die haltlose deu- tung der diobelie auf spielgelder), sondern bitter gedarbt, und hat 404 bewiesen, daſs sie für die freiheit gern hungerte. die politischen rechte mochte an der zeit sein ihnen zu nehmen: daſs sie sich nicht nur nicht das bischen brot, das sie bisher für ihre dienste erhielten, haben entziehen lassen, sondern brot von dem vaterlande gefordert haben, soll ihnen niemand verdenken. Kleophon mag nicht gut haben attisch reden 3) Das gedächtnis dieses unglücksmenschen, Kallikrates aus Paiania, ist auſser durch Aristoteles noch in zwei sprüchwörtern erhalten, ὀβολὸν ηὗϱε Παϱνοπίς (Zenob. II 91 des Athous, im Parisinus nicht erhalten, daher im Göttinger Corpus Append. 4, 11; ein par wertlose worte bei Hesych παϱνόπη aus Zenobius), richtig behandelt von Meineke Com. IV 700, dessen emendation Παϱνοπίς durch Παϱνοίτης des Athous, Παϱνόπη des Hesych gesichert ist, und ebenso seine herstellung von Καλλικϱάτης für Καλλίστϱατος durch Aristoteles. er stützte sich auf das sprüch- wort ὑπὲϱ τὰ Καλλικϱάτους, Zenob. Ath. III 151, Paris. VI 29, Phot. Suid., das Klearchos auf einen Karystier des namens falsch, irgend jemand anderes nach unserer Aristotelesstelle richtig, aber indem er diese falsch deutete, auf den Athener be- zogen hat.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/224>, abgerufen am 26.04.2024.