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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ja wohl, ich begreife es nicht.

Das letzte Mal war der Baron hier an dem Abend, wo du so wüthend tanzest. Erinnerst du dich? Es muß schon damals mit der Verlobung nicht ganz richtig gewesen sein, denn gleich darauf soll der definitive Bruch stattgefunden haben.

Du meinst? sagte Leonie mit aller Ruhe der Unbefangenheit.

Es wäre doch unangenehm, wenn Marie oder sonst Jemand von der Familie den jungen Mann bei uns treffen sollte.

Dafür laß mich sorgen, ich habe meinen Plan, erwiderte Leonie mit einem vielsagenden Lächeln.

Wo ihr Frauen nur eine Herzensgeschichte wittert ! sagte ihr Mann, und hob mit lächelnder Drohung den Finger gegen seine kindlich junge, reizende Frau. Nimm dich in Acht, fuhr er ernster fort, dein guter Wille bringt dir schwerlich etwas Anderes als Verdruss.

Leonie schüttelte schmollend das reichgelockte Köpfchen, dann mit einer plötzlichen Bewegung streifte sie leicht mit der Wange die Haare ihres Mannes, neben dessen Stuhl sie stand. Die kleine Liebkosung brach all seinen wohlarrangirten Vernunftgründen die Spitze ab und endete für heute das Gespräch.

Den folgenden Morgen fuhr sie zum Hause ihres Vaters hinüber, dort selbst nachzusehen, ob Alles für seine Rückkehr in der gewünschten Ordnung sei. Sie fand die Dienerschaft voll Freude, den jungen Herrn bald wiederzusehen, der unter den Augen der meist alten Leute groß geworden, und die Gräfin war am Nachmittage kaum von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt, so stürzte schon Otto in das Gemach. Leonie's Gesicht leuchtete hell auf. Selbst in ihrem dürren Herzen bebte eine kleine Saite der Liebe dem einzigen Bruder entgegen, der ihrem Willen nie das Geringste in den Weg gelegt.

Zerdrücke mich nicht so, sagte sie, als sie sich aus

Ja wohl, ich begreife es nicht.

Das letzte Mal war der Baron hier an dem Abend, wo du so wüthend tanzest. Erinnerst du dich? Es muß schon damals mit der Verlobung nicht ganz richtig gewesen sein, denn gleich darauf soll der definitive Bruch stattgefunden haben.

Du meinst? sagte Leonie mit aller Ruhe der Unbefangenheit.

Es wäre doch unangenehm, wenn Marie oder sonst Jemand von der Familie den jungen Mann bei uns treffen sollte.

Dafür laß mich sorgen, ich habe meinen Plan, erwiderte Leonie mit einem vielsagenden Lächeln.

Wo ihr Frauen nur eine Herzensgeschichte wittert ! sagte ihr Mann, und hob mit lächelnder Drohung den Finger gegen seine kindlich junge, reizende Frau. Nimm dich in Acht, fuhr er ernster fort, dein guter Wille bringt dir schwerlich etwas Anderes als Verdruss.

Leonie schüttelte schmollend das reichgelockte Köpfchen, dann mit einer plötzlichen Bewegung streifte sie leicht mit der Wange die Haare ihres Mannes, neben dessen Stuhl sie stand. Die kleine Liebkosung brach all seinen wohlarrangirten Vernunftgründen die Spitze ab und endete für heute das Gespräch.

Den folgenden Morgen fuhr sie zum Hause ihres Vaters hinüber, dort selbst nachzusehen, ob Alles für seine Rückkehr in der gewünschten Ordnung sei. Sie fand die Dienerschaft voll Freude, den jungen Herrn bald wiederzusehen, der unter den Augen der meist alten Leute groß geworden, und die Gräfin war am Nachmittage kaum von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt, so stürzte schon Otto in das Gemach. Leonie's Gesicht leuchtete hell auf. Selbst in ihrem dürren Herzen bebte eine kleine Saite der Liebe dem einzigen Bruder entgegen, der ihrem Willen nie das Geringste in den Weg gelegt.

Zerdrücke mich nicht so, sagte sie, als sie sich aus

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[0110] Ja wohl, ich begreife es nicht. Das letzte Mal war der Baron hier an dem Abend, wo du so wüthend tanzest. Erinnerst du dich? Es muß schon damals mit der Verlobung nicht ganz richtig gewesen sein, denn gleich darauf soll der definitive Bruch stattgefunden haben. Du meinst? sagte Leonie mit aller Ruhe der Unbefangenheit. Es wäre doch unangenehm, wenn Marie oder sonst Jemand von der Familie den jungen Mann bei uns treffen sollte. Dafür laß mich sorgen, ich habe meinen Plan, erwiderte Leonie mit einem vielsagenden Lächeln. Wo ihr Frauen nur eine Herzensgeschichte wittert ! sagte ihr Mann, und hob mit lächelnder Drohung den Finger gegen seine kindlich junge, reizende Frau. Nimm dich in Acht, fuhr er ernster fort, dein guter Wille bringt dir schwerlich etwas Anderes als Verdruss. Leonie schüttelte schmollend das reichgelockte Köpfchen, dann mit einer plötzlichen Bewegung streifte sie leicht mit der Wange die Haare ihres Mannes, neben dessen Stuhl sie stand. Die kleine Liebkosung brach all seinen wohlarrangirten Vernunftgründen die Spitze ab und endete für heute das Gespräch. Den folgenden Morgen fuhr sie zum Hause ihres Vaters hinüber, dort selbst nachzusehen, ob Alles für seine Rückkehr in der gewünschten Ordnung sei. Sie fand die Dienerschaft voll Freude, den jungen Herrn bald wiederzusehen, der unter den Augen der meist alten Leute groß geworden, und die Gräfin war am Nachmittage kaum von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt, so stürzte schon Otto in das Gemach. Leonie's Gesicht leuchtete hell auf. Selbst in ihrem dürren Herzen bebte eine kleine Saite der Liebe dem einzigen Bruder entgegen, der ihrem Willen nie das Geringste in den Weg gelegt. Zerdrücke mich nicht so, sagte sie, als sie sich aus

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/110>, abgerufen am 29.04.2024.