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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Man muß auch ein wenig für sich leben, erwiderte sie mit einem müden Lächeln auf seine Bemerkung; man kann nicht immer gutherzig sein. Wenn du willst, lade ich ihn nächstens einmal ein -- vielleicht zu einer Soiree.

Wie du willst, mein Kind, thue was du willst! und er nahm seinen Hut, um zu gehen.

Aber ich will thun, was du willst, schmollte Leonie.

Nun gut, so lade ihn ein. Du weißt, mir ist der junge Mann ganz angenehm; -- und damit ging er fort. Noch in derselben Stunde setzte sich die Gräfin nieder und schrieb ihre Einladung an den Marquis.

Du weißt nicht, was ich für dich thue, dachte sie, nachdem sie ihr Billet überlesen und es nun träumerisch einen Augenblick vor sich niederhielt. Nein, du wirst niemals wissen, was ich für dich wage, gewagt habe und vielleicht noch wagen werde, um nur einige Augenblicke in deiner Nähe mich des Bewußtseins eines Glückes zu erfreuen, das ich doch nie von deinen Lippen hören darf -- sie erschrak über ihr eigenes Wort -- wenigstens jetzt nicht, setzte sie rasch hinzu. -- O jetzt nicht -- es wäre der Tod! -- Sie verhüllte schaudernd das Gesicht mit ihren Händen. Und wirst du ausharren? frug sie nach einer Pause fort, wirst du geduldig warten können, bis das Ferne nahe kommt und uns in seine berauschenden Wellen schließt? O Louis, ich habe zu viel auf dich gebaut! -- wenn der Faden reißt, der uns an einander knüpft, wer bewahrt mich da vor dem Untergang?

Sie kreuzte die Arme über die Brust, als wollte sie damit das drängende Wogen des Lebens zusammenhalten, von dem der junge Busen überquoll. Ihre erwachte Seele schlug die bunten Schmetterlingsflügel um sich und wollte sich nicht mehr einzwängen lassen in die alte, kalte, berechnete Vergangenheit. Wie war Alles so ganz anders geworden, als sie es sich gedacht!

Man muß auch ein wenig für sich leben, erwiderte sie mit einem müden Lächeln auf seine Bemerkung; man kann nicht immer gutherzig sein. Wenn du willst, lade ich ihn nächstens einmal ein — vielleicht zu einer Soirée.

Wie du willst, mein Kind, thue was du willst! und er nahm seinen Hut, um zu gehen.

Aber ich will thun, was du willst, schmollte Leonie.

Nun gut, so lade ihn ein. Du weißt, mir ist der junge Mann ganz angenehm; — und damit ging er fort. Noch in derselben Stunde setzte sich die Gräfin nieder und schrieb ihre Einladung an den Marquis.

Du weißt nicht, was ich für dich thue, dachte sie, nachdem sie ihr Billet überlesen und es nun träumerisch einen Augenblick vor sich niederhielt. Nein, du wirst niemals wissen, was ich für dich wage, gewagt habe und vielleicht noch wagen werde, um nur einige Augenblicke in deiner Nähe mich des Bewußtseins eines Glückes zu erfreuen, das ich doch nie von deinen Lippen hören darf — sie erschrak über ihr eigenes Wort — wenigstens jetzt nicht, setzte sie rasch hinzu. — O jetzt nicht — es wäre der Tod! — Sie verhüllte schaudernd das Gesicht mit ihren Händen. Und wirst du ausharren? frug sie nach einer Pause fort, wirst du geduldig warten können, bis das Ferne nahe kommt und uns in seine berauschenden Wellen schließt? O Louis, ich habe zu viel auf dich gebaut! — wenn der Faden reißt, der uns an einander knüpft, wer bewahrt mich da vor dem Untergang?

Sie kreuzte die Arme über die Brust, als wollte sie damit das drängende Wogen des Lebens zusammenhalten, von dem der junge Busen überquoll. Ihre erwachte Seele schlug die bunten Schmetterlingsflügel um sich und wollte sich nicht mehr einzwängen lassen in die alte, kalte, berechnete Vergangenheit. Wie war Alles so ganz anders geworden, als sie es sich gedacht!

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[0114] Man muß auch ein wenig für sich leben, erwiderte sie mit einem müden Lächeln auf seine Bemerkung; man kann nicht immer gutherzig sein. Wenn du willst, lade ich ihn nächstens einmal ein — vielleicht zu einer Soirée. Wie du willst, mein Kind, thue was du willst! und er nahm seinen Hut, um zu gehen. Aber ich will thun, was du willst, schmollte Leonie. Nun gut, so lade ihn ein. Du weißt, mir ist der junge Mann ganz angenehm; — und damit ging er fort. Noch in derselben Stunde setzte sich die Gräfin nieder und schrieb ihre Einladung an den Marquis. Du weißt nicht, was ich für dich thue, dachte sie, nachdem sie ihr Billet überlesen und es nun träumerisch einen Augenblick vor sich niederhielt. Nein, du wirst niemals wissen, was ich für dich wage, gewagt habe und vielleicht noch wagen werde, um nur einige Augenblicke in deiner Nähe mich des Bewußtseins eines Glückes zu erfreuen, das ich doch nie von deinen Lippen hören darf — sie erschrak über ihr eigenes Wort — wenigstens jetzt nicht, setzte sie rasch hinzu. — O jetzt nicht — es wäre der Tod! — Sie verhüllte schaudernd das Gesicht mit ihren Händen. Und wirst du ausharren? frug sie nach einer Pause fort, wirst du geduldig warten können, bis das Ferne nahe kommt und uns in seine berauschenden Wellen schließt? O Louis, ich habe zu viel auf dich gebaut! — wenn der Faden reißt, der uns an einander knüpft, wer bewahrt mich da vor dem Untergang? Sie kreuzte die Arme über die Brust, als wollte sie damit das drängende Wogen des Lebens zusammenhalten, von dem der junge Busen überquoll. Ihre erwachte Seele schlug die bunten Schmetterlingsflügel um sich und wollte sich nicht mehr einzwängen lassen in die alte, kalte, berechnete Vergangenheit. Wie war Alles so ganz anders geworden, als sie es sich gedacht!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/114>, abgerufen am 29.04.2024.