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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und sie brach plötzlich in ein krampfhaftes Weinen und Zittern aus.

Was fehlt dir? fragte ihr Mann und zog sie in großer Besorgnis an sein Herz.

Ich will nicht sterben, sagte sie, und schlang ihre Arme fester um seinen Hals. Sie sah mit den thränenfeuchten Augen zu ihm empor, ein neuer Schauer überlief sie, und sie schmiegte sich dichter an seine Brust, in welche sie ihr Gesicht verbarg. O versprich mir, flüsterte sie, was auch geschehen möge, wie sehr du mir auch zürnen magst, laß mich nicht sterben -- nicht vor Gram und Elend untergehen!

Was fällt dir ein? rief er erschrocken, du bist krank! Aber sie ließ sich nicht beschwichtigen. Er hob sie in seine Arme wie ein Kind. Sie war so leicht und zart, so weich und schmiegsam wie ein Kind. Er küßte sie wieder und wieder und schloß sie fester an sich. Nun lachte sie unter Thränen zu ihm nieder; es war wie ein Mairegen, der über Blüten fallt.

Liebst du mich? flüsterte sie, seinen Kopf in ihre beiden Hände nehmend. Er sah betheuernd zu ihr auf, aber sie schüttelte verneinend den Kopf. Du sollst reden! sagte sie, und ein wehmüthiger Zug machte die seinen Lippen erbeben.

Wie kannst du zweifeln? erwiderte er, sonderbar von dem Auftritt bewegt. Sie antwortete nicht und lehnte ihre hochgeröthete Wange an die seinige, als wiege dieses Bekenntnis sie beruhigt ein.

Ja, er liebt mich, dachte sie, er liebt mich! Er gäbe sein Herzblut für mich hin. Er ist blind, wenn ich nur vorsichtig bin, und wenn nur der Vater blind bleibt. O Louis -- Louis, ich kann dich nicht aufgeben! -- wie süß der Name klingt! -- Wäre nur der Vater nicht hier -- O ich muß vorsichtig sein.

Und sie war es. Als der Marquis nach einigen Tagen wieder kam, war ihr Mann ganz erstaunt, daß sie sich verleugnet ließ.

und sie brach plötzlich in ein krampfhaftes Weinen und Zittern aus.

Was fehlt dir? fragte ihr Mann und zog sie in großer Besorgnis an sein Herz.

Ich will nicht sterben, sagte sie, und schlang ihre Arme fester um seinen Hals. Sie sah mit den thränenfeuchten Augen zu ihm empor, ein neuer Schauer überlief sie, und sie schmiegte sich dichter an seine Brust, in welche sie ihr Gesicht verbarg. O versprich mir, flüsterte sie, was auch geschehen möge, wie sehr du mir auch zürnen magst, laß mich nicht sterben — nicht vor Gram und Elend untergehen!

Was fällt dir ein? rief er erschrocken, du bist krank! Aber sie ließ sich nicht beschwichtigen. Er hob sie in seine Arme wie ein Kind. Sie war so leicht und zart, so weich und schmiegsam wie ein Kind. Er küßte sie wieder und wieder und schloß sie fester an sich. Nun lachte sie unter Thränen zu ihm nieder; es war wie ein Mairegen, der über Blüten fallt.

Liebst du mich? flüsterte sie, seinen Kopf in ihre beiden Hände nehmend. Er sah betheuernd zu ihr auf, aber sie schüttelte verneinend den Kopf. Du sollst reden! sagte sie, und ein wehmüthiger Zug machte die seinen Lippen erbeben.

Wie kannst du zweifeln? erwiderte er, sonderbar von dem Auftritt bewegt. Sie antwortete nicht und lehnte ihre hochgeröthete Wange an die seinige, als wiege dieses Bekenntnis sie beruhigt ein.

Ja, er liebt mich, dachte sie, er liebt mich! Er gäbe sein Herzblut für mich hin. Er ist blind, wenn ich nur vorsichtig bin, und wenn nur der Vater blind bleibt. O Louis — Louis, ich kann dich nicht aufgeben! — wie süß der Name klingt! — Wäre nur der Vater nicht hier — O ich muß vorsichtig sein.

Und sie war es. Als der Marquis nach einigen Tagen wieder kam, war ihr Mann ganz erstaunt, daß sie sich verleugnet ließ.

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[0113] und sie brach plötzlich in ein krampfhaftes Weinen und Zittern aus. Was fehlt dir? fragte ihr Mann und zog sie in großer Besorgnis an sein Herz. Ich will nicht sterben, sagte sie, und schlang ihre Arme fester um seinen Hals. Sie sah mit den thränenfeuchten Augen zu ihm empor, ein neuer Schauer überlief sie, und sie schmiegte sich dichter an seine Brust, in welche sie ihr Gesicht verbarg. O versprich mir, flüsterte sie, was auch geschehen möge, wie sehr du mir auch zürnen magst, laß mich nicht sterben — nicht vor Gram und Elend untergehen! Was fällt dir ein? rief er erschrocken, du bist krank! Aber sie ließ sich nicht beschwichtigen. Er hob sie in seine Arme wie ein Kind. Sie war so leicht und zart, so weich und schmiegsam wie ein Kind. Er küßte sie wieder und wieder und schloß sie fester an sich. Nun lachte sie unter Thränen zu ihm nieder; es war wie ein Mairegen, der über Blüten fallt. Liebst du mich? flüsterte sie, seinen Kopf in ihre beiden Hände nehmend. Er sah betheuernd zu ihr auf, aber sie schüttelte verneinend den Kopf. Du sollst reden! sagte sie, und ein wehmüthiger Zug machte die seinen Lippen erbeben. Wie kannst du zweifeln? erwiderte er, sonderbar von dem Auftritt bewegt. Sie antwortete nicht und lehnte ihre hochgeröthete Wange an die seinige, als wiege dieses Bekenntnis sie beruhigt ein. Ja, er liebt mich, dachte sie, er liebt mich! Er gäbe sein Herzblut für mich hin. Er ist blind, wenn ich nur vorsichtig bin, und wenn nur der Vater blind bleibt. O Louis — Louis, ich kann dich nicht aufgeben! — wie süß der Name klingt! — Wäre nur der Vater nicht hier — O ich muß vorsichtig sein. Und sie war es. Als der Marquis nach einigen Tagen wieder kam, war ihr Mann ganz erstaunt, daß sie sich verleugnet ließ.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/113>, abgerufen am 29.04.2024.