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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wiedersehen. Ich dulde es nicht, daß dein Name zum Stadtgespött werde.

Sie lachte gereizt auf. Ruf es lauter, sagte sie. Es wäre Schade, wenn nicht ein Dritter und Vierter erführe, welche Meinung du von deiner Schwester hast. Geh doch zu meinem Mann, oder lieber gleich zu meinem Vater; er wird sich freuen, wenn du ihm eine Gelegenheit giebst, seine alten Verfolgungen zu erneuern. Du hast es doch nur auf die Störung meiner Ruhe abgesehen.

Wenn ich zu deinem Mann oder zum Vater gehen wollte, käme ich nicht zu dir. Versprich mir, den Marquis nicht mehr zu sehen, und es soll nicht mehr die Rede davon sein.

Ich bin Herrin in meinem Hause, versetzte sie stolz. Nur meinem Manne brauche ich zu gehorchen, und weder du noch der Vater habt mir etwas vorzuschreiben, wenn nur er zufrieden ist. Denkst du unwürdig von mir, so mache es mit dir selber ab, bloß deiner Narrheiten wegen werde ich keinen Menschen beleidigen. Nein, unterbrach sie sich plötzlich und schlug mit einer wilden Gebärde des Jammers die Hände über den Kopf zusammen, nie hätte ich geglaubt, das mich so etwas von meinem eigenen Bruder treffen könne.

Sie warf sich auf das Sofa, verbarg das Gesicht in die Kissen und brach in lautes Weinen aus.

Otto war bewegt; ein junger Mann bleibt selten ungerührt von den Thränen einer Frau, und wäre diese Frau auch zehnmal seine Schwester, und wir wissen es, Otto hatte für die seinige ein besonders weiches Herz. Er fing an, seine Hitze zu bereuen, und fürchtete den Eintritt seines Schwagers oder gar den seines Vaters, der, wie er wohl wußte, Leonie nie gewogen war. Sie hatte auch recht gut gewußt, was sie that, als sie diesen Schatten ihrer Kinderzeit wieder vor seine Seele rief. Sein Zorn fing an in Mitleid und Sorge überzugehen; er trat zu ihr und faßte ihre Hand.

wiedersehen. Ich dulde es nicht, daß dein Name zum Stadtgespött werde.

Sie lachte gereizt auf. Ruf es lauter, sagte sie. Es wäre Schade, wenn nicht ein Dritter und Vierter erführe, welche Meinung du von deiner Schwester hast. Geh doch zu meinem Mann, oder lieber gleich zu meinem Vater; er wird sich freuen, wenn du ihm eine Gelegenheit giebst, seine alten Verfolgungen zu erneuern. Du hast es doch nur auf die Störung meiner Ruhe abgesehen.

Wenn ich zu deinem Mann oder zum Vater gehen wollte, käme ich nicht zu dir. Versprich mir, den Marquis nicht mehr zu sehen, und es soll nicht mehr die Rede davon sein.

Ich bin Herrin in meinem Hause, versetzte sie stolz. Nur meinem Manne brauche ich zu gehorchen, und weder du noch der Vater habt mir etwas vorzuschreiben, wenn nur er zufrieden ist. Denkst du unwürdig von mir, so mache es mit dir selber ab, bloß deiner Narrheiten wegen werde ich keinen Menschen beleidigen. Nein, unterbrach sie sich plötzlich und schlug mit einer wilden Gebärde des Jammers die Hände über den Kopf zusammen, nie hätte ich geglaubt, das mich so etwas von meinem eigenen Bruder treffen könne.

Sie warf sich auf das Sofa, verbarg das Gesicht in die Kissen und brach in lautes Weinen aus.

Otto war bewegt; ein junger Mann bleibt selten ungerührt von den Thränen einer Frau, und wäre diese Frau auch zehnmal seine Schwester, und wir wissen es, Otto hatte für die seinige ein besonders weiches Herz. Er fing an, seine Hitze zu bereuen, und fürchtete den Eintritt seines Schwagers oder gar den seines Vaters, der, wie er wohl wußte, Leonie nie gewogen war. Sie hatte auch recht gut gewußt, was sie that, als sie diesen Schatten ihrer Kinderzeit wieder vor seine Seele rief. Sein Zorn fing an in Mitleid und Sorge überzugehen; er trat zu ihr und faßte ihre Hand.

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[0139] wiedersehen. Ich dulde es nicht, daß dein Name zum Stadtgespött werde. Sie lachte gereizt auf. Ruf es lauter, sagte sie. Es wäre Schade, wenn nicht ein Dritter und Vierter erführe, welche Meinung du von deiner Schwester hast. Geh doch zu meinem Mann, oder lieber gleich zu meinem Vater; er wird sich freuen, wenn du ihm eine Gelegenheit giebst, seine alten Verfolgungen zu erneuern. Du hast es doch nur auf die Störung meiner Ruhe abgesehen. Wenn ich zu deinem Mann oder zum Vater gehen wollte, käme ich nicht zu dir. Versprich mir, den Marquis nicht mehr zu sehen, und es soll nicht mehr die Rede davon sein. Ich bin Herrin in meinem Hause, versetzte sie stolz. Nur meinem Manne brauche ich zu gehorchen, und weder du noch der Vater habt mir etwas vorzuschreiben, wenn nur er zufrieden ist. Denkst du unwürdig von mir, so mache es mit dir selber ab, bloß deiner Narrheiten wegen werde ich keinen Menschen beleidigen. Nein, unterbrach sie sich plötzlich und schlug mit einer wilden Gebärde des Jammers die Hände über den Kopf zusammen, nie hätte ich geglaubt, das mich so etwas von meinem eigenen Bruder treffen könne. Sie warf sich auf das Sofa, verbarg das Gesicht in die Kissen und brach in lautes Weinen aus. Otto war bewegt; ein junger Mann bleibt selten ungerührt von den Thränen einer Frau, und wäre diese Frau auch zehnmal seine Schwester, und wir wissen es, Otto hatte für die seinige ein besonders weiches Herz. Er fing an, seine Hitze zu bereuen, und fürchtete den Eintritt seines Schwagers oder gar den seines Vaters, der, wie er wohl wußte, Leonie nie gewogen war. Sie hatte auch recht gut gewußt, was sie that, als sie diesen Schatten ihrer Kinderzeit wieder vor seine Seele rief. Sein Zorn fing an in Mitleid und Sorge überzugehen; er trat zu ihr und faßte ihre Hand.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/139>, abgerufen am 29.04.2024.