Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich habe ja nicht gesagt, daß du dir wirklich etwas vorzuwerfen hast, aber selbst der Schein schadet einer jungen Frau, und besonders in einer Stellung, wo sie die Augen so Vieler auf sich zieht. Wird Marie jemals meine Frau, so weiß ich, daß ich unglücklich wäre, haftete der geringste Schein einer unrechten Handlung an ihr. Darum sei mein gut lieb Schwesterchen und versprich es mir, das du den Marquis wenigstens nicht mehr allein unter vier Augen sehen willst.

Kann ich das? versetzte sie. Mir selbst ist der Marquis weiter nichts; mein Mann hat den jungen Mann gern, das ist die ganze Beziehung zwischen uns. Ich habe für sein Unglück Theilnahme gefühlt, das ist wahr; er kann es noch immer nicht vergessen, daß Marie ihn verworfen hat, und ich hatte ihm versprochen, mein Möglichstes für ihn zu thun. Zufällig hast du jetzt Absichten auf sie, du bist mein Bruder, und ich bin zu deiner Partei übergegangen. Er hat eine Ahnung davon und sieht ein, daß er Marie nicht das bieten kann, was sie in einer Ehe mit dir finden wird. Du sprichst von Schein, aber wenn ich von allen Männern, die mein Haus besuchen, nur ihn allein so ängstlich vermeide, welchen Schein lade ich dann auf mich, und was soll ich meinem Mann antworten, wenn er mich über den Grund einer so auffallenden Abneigung fragt, gegen einen Menschen, den er besonders schätzt und der ja Keinem von uns etwas zu Leide gethan? Frage ihn selbst; denkst du denn, ich habe es nicht schon versucht?

Katze! sagte Otto, der nichts zu erwidern fand und doch nicht überzeugt war, und sonderbarer Weise in seinem Kopfe immer dasselbe Bild für seine Schwester fand, mochte es nun in Zorn oder Freude sein.

Sie erhob sich in aller Würde gekränkter Weiblichkeit. Du beleidigst mich fort und fort, sagte sie. Wenn ich auch deine Schwester bin, ich bin, selbst für dich, noch immer eine Frau und habe Anspruch als

Ich habe ja nicht gesagt, daß du dir wirklich etwas vorzuwerfen hast, aber selbst der Schein schadet einer jungen Frau, und besonders in einer Stellung, wo sie die Augen so Vieler auf sich zieht. Wird Marie jemals meine Frau, so weiß ich, daß ich unglücklich wäre, haftete der geringste Schein einer unrechten Handlung an ihr. Darum sei mein gut lieb Schwesterchen und versprich es mir, das du den Marquis wenigstens nicht mehr allein unter vier Augen sehen willst.

Kann ich das? versetzte sie. Mir selbst ist der Marquis weiter nichts; mein Mann hat den jungen Mann gern, das ist die ganze Beziehung zwischen uns. Ich habe für sein Unglück Theilnahme gefühlt, das ist wahr; er kann es noch immer nicht vergessen, daß Marie ihn verworfen hat, und ich hatte ihm versprochen, mein Möglichstes für ihn zu thun. Zufällig hast du jetzt Absichten auf sie, du bist mein Bruder, und ich bin zu deiner Partei übergegangen. Er hat eine Ahnung davon und sieht ein, daß er Marie nicht das bieten kann, was sie in einer Ehe mit dir finden wird. Du sprichst von Schein, aber wenn ich von allen Männern, die mein Haus besuchen, nur ihn allein so ängstlich vermeide, welchen Schein lade ich dann auf mich, und was soll ich meinem Mann antworten, wenn er mich über den Grund einer so auffallenden Abneigung fragt, gegen einen Menschen, den er besonders schätzt und der ja Keinem von uns etwas zu Leide gethan? Frage ihn selbst; denkst du denn, ich habe es nicht schon versucht?

Katze! sagte Otto, der nichts zu erwidern fand und doch nicht überzeugt war, und sonderbarer Weise in seinem Kopfe immer dasselbe Bild für seine Schwester fand, mochte es nun in Zorn oder Freude sein.

Sie erhob sich in aller Würde gekränkter Weiblichkeit. Du beleidigst mich fort und fort, sagte sie. Wenn ich auch deine Schwester bin, ich bin, selbst für dich, noch immer eine Frau und habe Anspruch als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0140"/>
        <p>Ich habe ja nicht gesagt, daß du dir wirklich etwas vorzuwerfen hast, aber selbst der Schein      schadet einer jungen Frau, und besonders in einer Stellung, wo sie die Augen so Vieler auf sich      zieht. Wird Marie jemals meine Frau, so weiß ich, daß ich unglücklich wäre, haftete der      geringste Schein einer unrechten Handlung an ihr. Darum sei mein gut lieb Schwesterchen und      versprich es mir, das du den Marquis wenigstens nicht mehr allein unter vier Augen sehen      willst.</p><lb/>
        <p>Kann ich das? versetzte sie. Mir selbst ist der Marquis weiter nichts; mein Mann hat den      jungen Mann gern, das ist die ganze Beziehung zwischen uns. Ich habe für sein Unglück      Theilnahme gefühlt, das ist wahr; er kann es noch immer nicht vergessen, daß Marie ihn      verworfen hat, und ich hatte ihm versprochen, mein Möglichstes für ihn zu thun. Zufällig hast      du jetzt Absichten auf sie, du bist mein Bruder, und ich bin zu deiner Partei übergegangen. Er      hat eine Ahnung davon und sieht ein, daß er Marie nicht das bieten kann, was sie in einer Ehe      mit dir finden wird. Du sprichst von Schein, aber wenn ich von allen Männern, die mein Haus      besuchen, nur ihn allein so ängstlich vermeide, welchen Schein lade ich dann auf mich, und was      soll ich meinem Mann antworten, wenn er mich über den Grund einer so auffallenden Abneigung      fragt, gegen einen Menschen, den er besonders schätzt und der ja Keinem von uns etwas zu Leide      gethan? Frage ihn selbst; denkst du denn, ich habe es nicht schon versucht?</p><lb/>
        <p>Katze! sagte Otto, der nichts zu erwidern fand und doch nicht überzeugt war, und sonderbarer      Weise in seinem Kopfe immer dasselbe Bild für seine Schwester fand, mochte es nun in Zorn oder      Freude sein.</p><lb/>
        <p>Sie erhob sich in aller Würde gekränkter Weiblichkeit. Du beleidigst mich fort und fort,      sagte sie. Wenn ich auch deine Schwester bin, ich bin, selbst für dich, noch immer eine Frau      und habe Anspruch als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Ich habe ja nicht gesagt, daß du dir wirklich etwas vorzuwerfen hast, aber selbst der Schein schadet einer jungen Frau, und besonders in einer Stellung, wo sie die Augen so Vieler auf sich zieht. Wird Marie jemals meine Frau, so weiß ich, daß ich unglücklich wäre, haftete der geringste Schein einer unrechten Handlung an ihr. Darum sei mein gut lieb Schwesterchen und versprich es mir, das du den Marquis wenigstens nicht mehr allein unter vier Augen sehen willst. Kann ich das? versetzte sie. Mir selbst ist der Marquis weiter nichts; mein Mann hat den jungen Mann gern, das ist die ganze Beziehung zwischen uns. Ich habe für sein Unglück Theilnahme gefühlt, das ist wahr; er kann es noch immer nicht vergessen, daß Marie ihn verworfen hat, und ich hatte ihm versprochen, mein Möglichstes für ihn zu thun. Zufällig hast du jetzt Absichten auf sie, du bist mein Bruder, und ich bin zu deiner Partei übergegangen. Er hat eine Ahnung davon und sieht ein, daß er Marie nicht das bieten kann, was sie in einer Ehe mit dir finden wird. Du sprichst von Schein, aber wenn ich von allen Männern, die mein Haus besuchen, nur ihn allein so ängstlich vermeide, welchen Schein lade ich dann auf mich, und was soll ich meinem Mann antworten, wenn er mich über den Grund einer so auffallenden Abneigung fragt, gegen einen Menschen, den er besonders schätzt und der ja Keinem von uns etwas zu Leide gethan? Frage ihn selbst; denkst du denn, ich habe es nicht schon versucht? Katze! sagte Otto, der nichts zu erwidern fand und doch nicht überzeugt war, und sonderbarer Weise in seinem Kopfe immer dasselbe Bild für seine Schwester fand, mochte es nun in Zorn oder Freude sein. Sie erhob sich in aller Würde gekränkter Weiblichkeit. Du beleidigst mich fort und fort, sagte sie. Wenn ich auch deine Schwester bin, ich bin, selbst für dich, noch immer eine Frau und habe Anspruch als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/140
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/140>, abgerufen am 29.04.2024.