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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Glück unrettbar zerstört hast? Fühlst du denn nicht die Qual, die mich befällt, wenn ich sehen muß, wie jedes heilige Recht an dich schon vor mir von einem Anderen hingenommen ist? Kann ich die Theilung ertragen, die dich herabwürdigt und meinen Durst nach dir doch nicht löschen kann? Diese wonnigen Lippen, diese Augen, die einen Engel berücken könnten, sind sie nicht mein, und mein allein, da du mich liebst? was hast du aus dir, was hast du aus mir gemacht? Fühlst du denn gar nicht, was du mir bist? Kannst du diese Verstellung ertragen, wenn ich dabei zu Grunde gehe? O diese Verstellung! Fühlst du denn nicht, das sie die Schande unserer Liebe ist?

Sie sah nieder und erbleichte -- sie fürchtete sich vor ihm!

Wir haben ja bis jetzt kein so großes Unrecht begangen, sagte sie sehr still.

Nicht? rief er in wildem Hohne. Er ließ sie los und ging mit stürmischen Schritten auf und ab. Nun ja, rief er endlich sich bezähmend und vor ihr stehen bleibend, aber wird es denn immer so bleiben?

Ich denke -- ja -- vielleicht -- wenn Sie vernünftig sind, sagte sie leise mit noch immer niedergeschlagenen Augen.

Er lachte zornig und nahm seinen heftigen Gang wieder auf.

Was fange ich an? dachte Leonie; wenn mein Mann kommt, sind wir Beide verloren. Sie sann hin und her, was sie thun könne, ihn zu zerstreuen; aber sie hatte nicht den Muth, nur von der Stelle zu gehen. Der Löwe, denn sie gezähmt zu haben glaubte, wandte sich plötzlich gegen sie und drohte sie bei dem geringsten Zeichen von Widerstand, zu zerreißen.

Endlich legte sich der Sturm in seinem Innern von selbst. Er blieb von Neuem stehen und faßte ihre Hand. Nein, Leonie, sagte er, es kann nicht immer so bleiben. Ich bin ein Mensch und werde mich nicht

Glück unrettbar zerstört hast? Fühlst du denn nicht die Qual, die mich befällt, wenn ich sehen muß, wie jedes heilige Recht an dich schon vor mir von einem Anderen hingenommen ist? Kann ich die Theilung ertragen, die dich herabwürdigt und meinen Durst nach dir doch nicht löschen kann? Diese wonnigen Lippen, diese Augen, die einen Engel berücken könnten, sind sie nicht mein, und mein allein, da du mich liebst? was hast du aus dir, was hast du aus mir gemacht? Fühlst du denn gar nicht, was du mir bist? Kannst du diese Verstellung ertragen, wenn ich dabei zu Grunde gehe? O diese Verstellung! Fühlst du denn nicht, das sie die Schande unserer Liebe ist?

Sie sah nieder und erbleichte — sie fürchtete sich vor ihm!

Wir haben ja bis jetzt kein so großes Unrecht begangen, sagte sie sehr still.

Nicht? rief er in wildem Hohne. Er ließ sie los und ging mit stürmischen Schritten auf und ab. Nun ja, rief er endlich sich bezähmend und vor ihr stehen bleibend, aber wird es denn immer so bleiben?

Ich denke — ja — vielleicht — wenn Sie vernünftig sind, sagte sie leise mit noch immer niedergeschlagenen Augen.

Er lachte zornig und nahm seinen heftigen Gang wieder auf.

Was fange ich an? dachte Leonie; wenn mein Mann kommt, sind wir Beide verloren. Sie sann hin und her, was sie thun könne, ihn zu zerstreuen; aber sie hatte nicht den Muth, nur von der Stelle zu gehen. Der Löwe, denn sie gezähmt zu haben glaubte, wandte sich plötzlich gegen sie und drohte sie bei dem geringsten Zeichen von Widerstand, zu zerreißen.

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[0147] Glück unrettbar zerstört hast? Fühlst du denn nicht die Qual, die mich befällt, wenn ich sehen muß, wie jedes heilige Recht an dich schon vor mir von einem Anderen hingenommen ist? Kann ich die Theilung ertragen, die dich herabwürdigt und meinen Durst nach dir doch nicht löschen kann? Diese wonnigen Lippen, diese Augen, die einen Engel berücken könnten, sind sie nicht mein, und mein allein, da du mich liebst? was hast du aus dir, was hast du aus mir gemacht? Fühlst du denn gar nicht, was du mir bist? Kannst du diese Verstellung ertragen, wenn ich dabei zu Grunde gehe? O diese Verstellung! Fühlst du denn nicht, das sie die Schande unserer Liebe ist? Sie sah nieder und erbleichte — sie fürchtete sich vor ihm! Wir haben ja bis jetzt kein so großes Unrecht begangen, sagte sie sehr still. Nicht? rief er in wildem Hohne. Er ließ sie los und ging mit stürmischen Schritten auf und ab. Nun ja, rief er endlich sich bezähmend und vor ihr stehen bleibend, aber wird es denn immer so bleiben? Ich denke — ja — vielleicht — wenn Sie vernünftig sind, sagte sie leise mit noch immer niedergeschlagenen Augen. Er lachte zornig und nahm seinen heftigen Gang wieder auf. Was fange ich an? dachte Leonie; wenn mein Mann kommt, sind wir Beide verloren. Sie sann hin und her, was sie thun könne, ihn zu zerstreuen; aber sie hatte nicht den Muth, nur von der Stelle zu gehen. Der Löwe, denn sie gezähmt zu haben glaubte, wandte sich plötzlich gegen sie und drohte sie bei dem geringsten Zeichen von Widerstand, zu zerreißen. Endlich legte sich der Sturm in seinem Innern von selbst. Er blieb von Neuem stehen und faßte ihre Hand. Nein, Leonie, sagte er, es kann nicht immer so bleiben. Ich bin ein Mensch und werde mich nicht

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/147>, abgerufen am 29.04.2024.