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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Sei still; ich liebe ja den Grafen nicht.

Du hast ihn doch geliebt?

Sie schüttelte in lächelnder Verneinung den Kopf.

Nur dich habe ich geliebt, vom ersten Augenblicke, wo ich dich sah.

Aber Louis stieß sie fast mit Heftigkeit zurück.

O, warum hast du ihn dann geheirathet? frug er in zornigem Schmerz. Leonie! das hatte Marie nicht gethan!

Sie schnellte in die Höhe, als habe eine Schlange sie gestochen.

Louis! rief sie laut. Sie war blaß, ihre Augen blitzten im wilden Feuer, ihre Lippen zuckten, und die kleinen Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Louis! wiederholte sie mit erstickter Stimme. Ihr ganzer Körper bebte, sie wandte sich ab und brach in Thränen aus.

Er sprang auf und eilte zu ihr. Ihre Heftigkeit hatte ihn erschreckt, ihr Schmerz verscheuchte jedes andere Bedenken. Leonie! bat er flehend, er zog die Widerstrebende an sich und lös'te fast mit Gewalt ihre Hände von dem abgewendeten Gesicht. Meine Leonie, sieh mich an -- verzeihe mir! Er küßte mit bebenden Lippen die Wimpern, an denen noch die warmen Thränen hingen. Meine Leonie! flüsterte er dazwischen, mein einziges, liebstes, theuerstes Gut!

Warum reden Sie denn so, Herr Marquis? frug sie und sah mit mattem Lächeln zu ihm auf, während sie sich müde in seine Arme sinken ließ.

Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen, hob ihr Gesicht empor und sah ihr tief in die feuchten, für ihn so himmlisch schönen Augen.

Warum ich frage? erwiderte er, und die Adern auf seiner Stirne schwollen hoch an in dem Schmerz und Ernst seiner Empfindung, -- o, Leonie, du liebes, sündiges, herrliches, schwaches Weib! Fühlst du denn nicht, daß du mein Glück, dein Glück, unser Beider

Sei still; ich liebe ja den Grafen nicht.

Du hast ihn doch geliebt?

Sie schüttelte in lächelnder Verneinung den Kopf.

Nur dich habe ich geliebt, vom ersten Augenblicke, wo ich dich sah.

Aber Louis stieß sie fast mit Heftigkeit zurück.

O, warum hast du ihn dann geheirathet? frug er in zornigem Schmerz. Leonie! das hatte Marie nicht gethan!

Sie schnellte in die Höhe, als habe eine Schlange sie gestochen.

Louis! rief sie laut. Sie war blaß, ihre Augen blitzten im wilden Feuer, ihre Lippen zuckten, und die kleinen Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Louis! wiederholte sie mit erstickter Stimme. Ihr ganzer Körper bebte, sie wandte sich ab und brach in Thränen aus.

Er sprang auf und eilte zu ihr. Ihre Heftigkeit hatte ihn erschreckt, ihr Schmerz verscheuchte jedes andere Bedenken. Leonie! bat er flehend, er zog die Widerstrebende an sich und lös'te fast mit Gewalt ihre Hände von dem abgewendeten Gesicht. Meine Leonie, sieh mich an — verzeihe mir! Er küßte mit bebenden Lippen die Wimpern, an denen noch die warmen Thränen hingen. Meine Leonie! flüsterte er dazwischen, mein einziges, liebstes, theuerstes Gut!

Warum reden Sie denn so, Herr Marquis? frug sie und sah mit mattem Lächeln zu ihm auf, während sie sich müde in seine Arme sinken ließ.

Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen, hob ihr Gesicht empor und sah ihr tief in die feuchten, für ihn so himmlisch schönen Augen.

Warum ich frage? erwiderte er, und die Adern auf seiner Stirne schwollen hoch an in dem Schmerz und Ernst seiner Empfindung, — o, Leonie, du liebes, sündiges, herrliches, schwaches Weib! Fühlst du denn nicht, daß du mein Glück, dein Glück, unser Beider

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[0146] Sei still; ich liebe ja den Grafen nicht. Du hast ihn doch geliebt? Sie schüttelte in lächelnder Verneinung den Kopf. Nur dich habe ich geliebt, vom ersten Augenblicke, wo ich dich sah. Aber Louis stieß sie fast mit Heftigkeit zurück. O, warum hast du ihn dann geheirathet? frug er in zornigem Schmerz. Leonie! das hatte Marie nicht gethan! Sie schnellte in die Höhe, als habe eine Schlange sie gestochen. Louis! rief sie laut. Sie war blaß, ihre Augen blitzten im wilden Feuer, ihre Lippen zuckten, und die kleinen Hände ballten sich krampfhaft zusammen. Louis! wiederholte sie mit erstickter Stimme. Ihr ganzer Körper bebte, sie wandte sich ab und brach in Thränen aus. Er sprang auf und eilte zu ihr. Ihre Heftigkeit hatte ihn erschreckt, ihr Schmerz verscheuchte jedes andere Bedenken. Leonie! bat er flehend, er zog die Widerstrebende an sich und lös'te fast mit Gewalt ihre Hände von dem abgewendeten Gesicht. Meine Leonie, sieh mich an — verzeihe mir! Er küßte mit bebenden Lippen die Wimpern, an denen noch die warmen Thränen hingen. Meine Leonie! flüsterte er dazwischen, mein einziges, liebstes, theuerstes Gut! Warum reden Sie denn so, Herr Marquis? frug sie und sah mit mattem Lächeln zu ihm auf, während sie sich müde in seine Arme sinken ließ. Er faßte ihren Kopf mit beiden Händen, hob ihr Gesicht empor und sah ihr tief in die feuchten, für ihn so himmlisch schönen Augen. Warum ich frage? erwiderte er, und die Adern auf seiner Stirne schwollen hoch an in dem Schmerz und Ernst seiner Empfindung, — o, Leonie, du liebes, sündiges, herrliches, schwaches Weib! Fühlst du denn nicht, daß du mein Glück, dein Glück, unser Beider

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/146>, abgerufen am 29.04.2024.