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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Nach und nach trafen einige Familien aus der Nachbarschaft ein; ein kleiner Kreis sammelte sich um die reizende Gräfin, die in den dunklen Hallen wie eine feenhafte Erscheinung der Jugend und Anmuth aufgegangen war. Die alten Mauern wiederhallten von geräuschvollem Leben. Ausflüge zu Wasser, zu Wagen und zu Pferde wurden unternommen, und ihr Vater sorgte selbst für das sanfteste Thier und ritt es zur Probe, bevor er es seiner Tochter zum Gebrauch überwies.

Alle diese Veränderungen, die sie so wenig erwartet, wirkten offenbar wohlthätig auf die junge Gräfin ein. Sie führte mit bezaubernder Grazie und Gefälligkeit das Scepter der Freude in den nicht eben zahlreichen, aber gewählten Reihen, deren Mittelpunkt sie durch ihre Liebenswürdigkeit geworden, und wenn ja noch hier und da eine Wolke auf der blendenden Reinheit ihrer Stirn lag, so schrieben Jene, die sie bemerkten, es der verlängerten Abwesenheit ihres Mannes zu; denn von der Liebe, welche das Ehepaar mit einander verband, hatte man auch hier schon gar Manches gehört.

Unter dem erheiternden Einfluße dieser Umgebung wich die Blässe bald von Leonie's Wangen, ihre Augen strahlten in erneuertem Glanze, und sie hatte Anfälle ausgelassener Lustigkeit, bei denen alle Instinkte wieder auftauchten, die ihr als Kind ein solches Übergewicht über alle andern Kinder verliehen. Sie war die kühnste Reiterin, die unermüdlichste Fußgängerin, und kein Berg war ihrem schwanken Schritte zu steil oder zu hoch. Dann pflegte sie bei der Rückkehr von solchen Expeditionen, wenn sie die Zinnen des väterlichen Schlosses am Horizont auftauchen sah, wohl plötzlich laut aufzulachen über die Furcht, die es ihr von Ferne eingelöst.

Was war denn Unheimliches an diesen alten Mauern? Nichts als ihre eigene Phantasie, welche die dunklen Schatten ihrer Kindheit mit dem Gebäude selbst

Nach und nach trafen einige Familien aus der Nachbarschaft ein; ein kleiner Kreis sammelte sich um die reizende Gräfin, die in den dunklen Hallen wie eine feenhafte Erscheinung der Jugend und Anmuth aufgegangen war. Die alten Mauern wiederhallten von geräuschvollem Leben. Ausflüge zu Wasser, zu Wagen und zu Pferde wurden unternommen, und ihr Vater sorgte selbst für das sanfteste Thier und ritt es zur Probe, bevor er es seiner Tochter zum Gebrauch überwies.

Alle diese Veränderungen, die sie so wenig erwartet, wirkten offenbar wohlthätig auf die junge Gräfin ein. Sie führte mit bezaubernder Grazie und Gefälligkeit das Scepter der Freude in den nicht eben zahlreichen, aber gewählten Reihen, deren Mittelpunkt sie durch ihre Liebenswürdigkeit geworden, und wenn ja noch hier und da eine Wolke auf der blendenden Reinheit ihrer Stirn lag, so schrieben Jene, die sie bemerkten, es der verlängerten Abwesenheit ihres Mannes zu; denn von der Liebe, welche das Ehepaar mit einander verband, hatte man auch hier schon gar Manches gehört.

Unter dem erheiternden Einfluße dieser Umgebung wich die Blässe bald von Leonie's Wangen, ihre Augen strahlten in erneuertem Glanze, und sie hatte Anfälle ausgelassener Lustigkeit, bei denen alle Instinkte wieder auftauchten, die ihr als Kind ein solches Übergewicht über alle andern Kinder verliehen. Sie war die kühnste Reiterin, die unermüdlichste Fußgängerin, und kein Berg war ihrem schwanken Schritte zu steil oder zu hoch. Dann pflegte sie bei der Rückkehr von solchen Expeditionen, wenn sie die Zinnen des väterlichen Schlosses am Horizont auftauchen sah, wohl plötzlich laut aufzulachen über die Furcht, die es ihr von Ferne eingelöst.

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[0185] Nach und nach trafen einige Familien aus der Nachbarschaft ein; ein kleiner Kreis sammelte sich um die reizende Gräfin, die in den dunklen Hallen wie eine feenhafte Erscheinung der Jugend und Anmuth aufgegangen war. Die alten Mauern wiederhallten von geräuschvollem Leben. Ausflüge zu Wasser, zu Wagen und zu Pferde wurden unternommen, und ihr Vater sorgte selbst für das sanfteste Thier und ritt es zur Probe, bevor er es seiner Tochter zum Gebrauch überwies. Alle diese Veränderungen, die sie so wenig erwartet, wirkten offenbar wohlthätig auf die junge Gräfin ein. Sie führte mit bezaubernder Grazie und Gefälligkeit das Scepter der Freude in den nicht eben zahlreichen, aber gewählten Reihen, deren Mittelpunkt sie durch ihre Liebenswürdigkeit geworden, und wenn ja noch hier und da eine Wolke auf der blendenden Reinheit ihrer Stirn lag, so schrieben Jene, die sie bemerkten, es der verlängerten Abwesenheit ihres Mannes zu; denn von der Liebe, welche das Ehepaar mit einander verband, hatte man auch hier schon gar Manches gehört. Unter dem erheiternden Einfluße dieser Umgebung wich die Blässe bald von Leonie's Wangen, ihre Augen strahlten in erneuertem Glanze, und sie hatte Anfälle ausgelassener Lustigkeit, bei denen alle Instinkte wieder auftauchten, die ihr als Kind ein solches Übergewicht über alle andern Kinder verliehen. Sie war die kühnste Reiterin, die unermüdlichste Fußgängerin, und kein Berg war ihrem schwanken Schritte zu steil oder zu hoch. Dann pflegte sie bei der Rückkehr von solchen Expeditionen, wenn sie die Zinnen des väterlichen Schlosses am Horizont auftauchen sah, wohl plötzlich laut aufzulachen über die Furcht, die es ihr von Ferne eingelöst. Was war denn Unheimliches an diesen alten Mauern? Nichts als ihre eigene Phantasie, welche die dunklen Schatten ihrer Kindheit mit dem Gebäude selbst

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/185>, abgerufen am 29.04.2024.