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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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verwebt; und übermüthig sprach sie diesen Schatten Hohn und störte die Ruhe der Nacht durch Musik und Lichterglanz, und, die lauten Freuden des Tages wurden am Abend in den bunten Ringen des Tanzes fortgesetzt.

Du kehrst mir das ganze Haus um, sagte Otto, der ein Freund der Ordnung war, einmal mürrisch zu ihr. Aber sie lachte ihn nur aus, und selbst ihr Vater schien es gern zu sehen, wie toll sie es auch trieb, und legte ihr nichts in den Weg.

Aber wenn der ruhelose Wirbel sich endlich gelegt, wenn die beneidete Herrscherin dieses Treibens sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und entkleidet, ihre Kammerfrau von sich gelassen hat, ist es da noch dieselbe Leonie? Da sehen wir ein bleiches junges Weib, die Brauen zusammengezogen, wie in brütendem Denken, Abspannung, Zorn und Groll in allen Zügen und jenen bitteren Zug, welcher die Frucht unbefriedigter Erwartung ist.

Leonie ist weit gekommen in einer kurzen Zeit, weit in Gedanken wenigstens, und freilich noch immer in Gedanken nur drängt ihnen die That ungeduldig nah. Die von allen Seiten so sorgsam eingedämmte Leidenschaft hat nach und nach jedes andere Bedenken in ihr zerstört und steht nun allein auf den Trümmern, riesengroß und stark. Wie sie so da liegt auf der prachtvollen Ottomane, von deren dunklem Samt die schneeigen zarten Füße und Arme mit lockendem Glanze sich abheben, schwellen tiefe Seufzer ihre Brust, über welche das leichte Nachtgewand nur in leichter Verhüllung fällt.

O Wahn! murmelt sie mit geschlossenen Zähnen und gerungenen Händen. Wahn, Wahn, Wahn! Nicht den Schatten eines Argwohns hat er nur gehabt! Ließe er mich sonst so frei hier, wo Louis, mein Louis mir hinter jedem Busche, in jedem grünen Pfade, sobald er will, begegnen kann? Und mit diesen leeren Spielereien will er mich vertrösten, wenn ich das Glück so vieler Tage und Nächte hingeopfert habe für einen Wahn!

verwebt; und übermüthig sprach sie diesen Schatten Hohn und störte die Ruhe der Nacht durch Musik und Lichterglanz, und, die lauten Freuden des Tages wurden am Abend in den bunten Ringen des Tanzes fortgesetzt.

Du kehrst mir das ganze Haus um, sagte Otto, der ein Freund der Ordnung war, einmal mürrisch zu ihr. Aber sie lachte ihn nur aus, und selbst ihr Vater schien es gern zu sehen, wie toll sie es auch trieb, und legte ihr nichts in den Weg.

Aber wenn der ruhelose Wirbel sich endlich gelegt, wenn die beneidete Herrscherin dieses Treibens sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und entkleidet, ihre Kammerfrau von sich gelassen hat, ist es da noch dieselbe Leonie? Da sehen wir ein bleiches junges Weib, die Brauen zusammengezogen, wie in brütendem Denken, Abspannung, Zorn und Groll in allen Zügen und jenen bitteren Zug, welcher die Frucht unbefriedigter Erwartung ist.

Leonie ist weit gekommen in einer kurzen Zeit, weit in Gedanken wenigstens, und freilich noch immer in Gedanken nur drängt ihnen die That ungeduldig nah. Die von allen Seiten so sorgsam eingedämmte Leidenschaft hat nach und nach jedes andere Bedenken in ihr zerstört und steht nun allein auf den Trümmern, riesengroß und stark. Wie sie so da liegt auf der prachtvollen Ottomane, von deren dunklem Samt die schneeigen zarten Füße und Arme mit lockendem Glanze sich abheben, schwellen tiefe Seufzer ihre Brust, über welche das leichte Nachtgewand nur in leichter Verhüllung fällt.

O Wahn! murmelt sie mit geschlossenen Zähnen und gerungenen Händen. Wahn, Wahn, Wahn! Nicht den Schatten eines Argwohns hat er nur gehabt! Ließe er mich sonst so frei hier, wo Louis, mein Louis mir hinter jedem Busche, in jedem grünen Pfade, sobald er will, begegnen kann? Und mit diesen leeren Spielereien will er mich vertrösten, wenn ich das Glück so vieler Tage und Nächte hingeopfert habe für einen Wahn!

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[0186] verwebt; und übermüthig sprach sie diesen Schatten Hohn und störte die Ruhe der Nacht durch Musik und Lichterglanz, und, die lauten Freuden des Tages wurden am Abend in den bunten Ringen des Tanzes fortgesetzt. Du kehrst mir das ganze Haus um, sagte Otto, der ein Freund der Ordnung war, einmal mürrisch zu ihr. Aber sie lachte ihn nur aus, und selbst ihr Vater schien es gern zu sehen, wie toll sie es auch trieb, und legte ihr nichts in den Weg. Aber wenn der ruhelose Wirbel sich endlich gelegt, wenn die beneidete Herrscherin dieses Treibens sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und entkleidet, ihre Kammerfrau von sich gelassen hat, ist es da noch dieselbe Leonie? Da sehen wir ein bleiches junges Weib, die Brauen zusammengezogen, wie in brütendem Denken, Abspannung, Zorn und Groll in allen Zügen und jenen bitteren Zug, welcher die Frucht unbefriedigter Erwartung ist. Leonie ist weit gekommen in einer kurzen Zeit, weit in Gedanken wenigstens, und freilich noch immer in Gedanken nur drängt ihnen die That ungeduldig nah. Die von allen Seiten so sorgsam eingedämmte Leidenschaft hat nach und nach jedes andere Bedenken in ihr zerstört und steht nun allein auf den Trümmern, riesengroß und stark. Wie sie so da liegt auf der prachtvollen Ottomane, von deren dunklem Samt die schneeigen zarten Füße und Arme mit lockendem Glanze sich abheben, schwellen tiefe Seufzer ihre Brust, über welche das leichte Nachtgewand nur in leichter Verhüllung fällt. O Wahn! murmelt sie mit geschlossenen Zähnen und gerungenen Händen. Wahn, Wahn, Wahn! Nicht den Schatten eines Argwohns hat er nur gehabt! Ließe er mich sonst so frei hier, wo Louis, mein Louis mir hinter jedem Busche, in jedem grünen Pfade, sobald er will, begegnen kann? Und mit diesen leeren Spielereien will er mich vertrösten, wenn ich das Glück so vieler Tage und Nächte hingeopfert habe für einen Wahn!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/186>, abgerufen am 28.04.2024.