Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

-- einen Augenblick noch -- und die schreckliche That wäre geschehen gewesen.

Aber es war ein Kind -- ein hilfloses Kind! ich konnte kein Kind tödten, und vielleicht -- vielleicht war es ja doch das meinige! Ich floh auf mein Zimmer zurück. Furien verfolgten mich, ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich schloß mich ein und warf den Schlüssel zum Fenster hinaus. Nun erst dachte ich daran, was ich beginnen sollte. Was sollte ich noch auf dieser Welt? Das Paradies, das ich in blühender Herrlichkeit um mich gesehen, war mit einem Hauch vernichtet. Alles war Nacht und Tod.

O Wahnsinn der Verzweiflung! der wirkliche Wahnsinn ist eine milde Schickung gegen dich.

Ich öffnete meinen Schreibtisch und zog ein Paar Pistolen heraus. Ihr Vater selbst hatte mir sie ausgesucht und Tags vorher erst gebracht. Es ist das nämliche Kästchen, welches Sie hier sehen. Diese nahm ich nun aus dem Fache, lud sie und legte sie auf den Tisch. Das die Erlösung so leicht war, so nahe, so ganz in meiner Hand, beruhigte mich. Ich trat an das Fenster und blickte zum Himmel auf, zum letzten Male, wie ich glaubte; -- allein mit diesem Blick kehrte meine Überlegung zurück. Ich hatte Pflichten, Herr Marquis. Zum ersten Male in meinem Leben fühlte ich, was das kleine Wort zu bedeuten hat -- und es stand mir nicht zu, freiwillig und feige ihnen zu entgehen: Pflichten als Vater und als Träger eines Namens, der, so lang ich lebte, frei bleiben sollte von jeglicher Schmach. Ich ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, schloß die Pistolen wieder ein und überlegte, was nun das Beste sei zu thun.

Das war klar genug. Ihr Vater mußte fallen, denn von der Laune seines Übermutes hing die Ehre meines Hauses ab, die, wenn er sie auch befleckt, doch wenigstens vor der Welt noch rein dastand. Fallen mußte er also, bevor er noch den letzten Verrath geübt,

— einen Augenblick noch — und die schreckliche That wäre geschehen gewesen.

Aber es war ein Kind — ein hilfloses Kind! ich konnte kein Kind tödten, und vielleicht — vielleicht war es ja doch das meinige! Ich floh auf mein Zimmer zurück. Furien verfolgten mich, ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich schloß mich ein und warf den Schlüssel zum Fenster hinaus. Nun erst dachte ich daran, was ich beginnen sollte. Was sollte ich noch auf dieser Welt? Das Paradies, das ich in blühender Herrlichkeit um mich gesehen, war mit einem Hauch vernichtet. Alles war Nacht und Tod.

O Wahnsinn der Verzweiflung! der wirkliche Wahnsinn ist eine milde Schickung gegen dich.

Ich öffnete meinen Schreibtisch und zog ein Paar Pistolen heraus. Ihr Vater selbst hatte mir sie ausgesucht und Tags vorher erst gebracht. Es ist das nämliche Kästchen, welches Sie hier sehen. Diese nahm ich nun aus dem Fache, lud sie und legte sie auf den Tisch. Das die Erlösung so leicht war, so nahe, so ganz in meiner Hand, beruhigte mich. Ich trat an das Fenster und blickte zum Himmel auf, zum letzten Male, wie ich glaubte; — allein mit diesem Blick kehrte meine Überlegung zurück. Ich hatte Pflichten, Herr Marquis. Zum ersten Male in meinem Leben fühlte ich, was das kleine Wort zu bedeuten hat — und es stand mir nicht zu, freiwillig und feige ihnen zu entgehen: Pflichten als Vater und als Träger eines Namens, der, so lang ich lebte, frei bleiben sollte von jeglicher Schmach. Ich ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, schloß die Pistolen wieder ein und überlegte, was nun das Beste sei zu thun.

Das war klar genug. Ihr Vater mußte fallen, denn von der Laune seines Übermutes hing die Ehre meines Hauses ab, die, wenn er sie auch befleckt, doch wenigstens vor der Welt noch rein dastand. Fallen mußte er also, bevor er noch den letzten Verrath geübt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0199"/>
&#x2014; einen Augenblick noch &#x2014; und die schreckliche That wäre geschehen gewesen.</p><lb/>
        <p>Aber es war ein Kind &#x2014; ein hilfloses Kind! ich konnte kein Kind tödten, und vielleicht &#x2014;      vielleicht war es ja doch das meinige! Ich floh auf mein Zimmer zurück. Furien verfolgten mich,      ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich schloß mich ein und warf den Schlüssel zum Fenster      hinaus. Nun erst dachte ich daran, was ich beginnen sollte. Was sollte ich noch auf dieser      Welt? Das Paradies, das ich in blühender Herrlichkeit um mich gesehen, war mit einem Hauch      vernichtet. Alles war Nacht und Tod.</p><lb/>
        <p>O Wahnsinn der Verzweiflung! der wirkliche Wahnsinn ist eine milde Schickung gegen dich.</p><lb/>
        <p>Ich öffnete meinen Schreibtisch und zog ein Paar Pistolen heraus. Ihr Vater selbst hatte mir      sie ausgesucht und Tags vorher erst gebracht. Es ist das nämliche Kästchen, welches Sie hier      sehen. Diese nahm ich nun aus dem Fache, lud sie und legte sie auf den Tisch. Das die Erlösung      so leicht war, so nahe, so ganz in meiner Hand, beruhigte mich. Ich trat an das Fenster und      blickte zum Himmel auf, zum letzten Male, wie ich glaubte; &#x2014; allein mit diesem Blick kehrte      meine Überlegung zurück. Ich hatte Pflichten, Herr Marquis. Zum ersten Male in meinem Leben      fühlte ich, was das kleine Wort zu bedeuten hat &#x2014; und es stand mir nicht zu, freiwillig und      feige ihnen zu entgehen: Pflichten als Vater und als Träger eines Namens, der, so lang ich      lebte, frei bleiben sollte von jeglicher Schmach. Ich ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab,      schloß die Pistolen wieder ein und überlegte, was nun das Beste sei zu thun.</p><lb/>
        <p>Das war klar genug. Ihr Vater mußte fallen, denn von der Laune seines Übermutes hing die Ehre      meines Hauses ab, die, wenn er sie auch befleckt, doch wenigstens vor der Welt noch rein      dastand. Fallen mußte er also, bevor er noch den letzten Verrath geübt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] — einen Augenblick noch — und die schreckliche That wäre geschehen gewesen. Aber es war ein Kind — ein hilfloses Kind! ich konnte kein Kind tödten, und vielleicht — vielleicht war es ja doch das meinige! Ich floh auf mein Zimmer zurück. Furien verfolgten mich, ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich schloß mich ein und warf den Schlüssel zum Fenster hinaus. Nun erst dachte ich daran, was ich beginnen sollte. Was sollte ich noch auf dieser Welt? Das Paradies, das ich in blühender Herrlichkeit um mich gesehen, war mit einem Hauch vernichtet. Alles war Nacht und Tod. O Wahnsinn der Verzweiflung! der wirkliche Wahnsinn ist eine milde Schickung gegen dich. Ich öffnete meinen Schreibtisch und zog ein Paar Pistolen heraus. Ihr Vater selbst hatte mir sie ausgesucht und Tags vorher erst gebracht. Es ist das nämliche Kästchen, welches Sie hier sehen. Diese nahm ich nun aus dem Fache, lud sie und legte sie auf den Tisch. Das die Erlösung so leicht war, so nahe, so ganz in meiner Hand, beruhigte mich. Ich trat an das Fenster und blickte zum Himmel auf, zum letzten Male, wie ich glaubte; — allein mit diesem Blick kehrte meine Überlegung zurück. Ich hatte Pflichten, Herr Marquis. Zum ersten Male in meinem Leben fühlte ich, was das kleine Wort zu bedeuten hat — und es stand mir nicht zu, freiwillig und feige ihnen zu entgehen: Pflichten als Vater und als Träger eines Namens, der, so lang ich lebte, frei bleiben sollte von jeglicher Schmach. Ich ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, schloß die Pistolen wieder ein und überlegte, was nun das Beste sei zu thun. Das war klar genug. Ihr Vater mußte fallen, denn von der Laune seines Übermutes hing die Ehre meines Hauses ab, die, wenn er sie auch befleckt, doch wenigstens vor der Welt noch rein dastand. Fallen mußte er also, bevor er noch den letzten Verrath geübt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/199
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/199>, abgerufen am 29.04.2024.