Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

vielleicht diese Neigung die rasche Thatkraft in ihm untergrub, die der eigentliche Nerv alles sittlichen Lebens ist.

Ihn vor jedem Einflüsse zu bewahren, der diese Neigung beeinträchtigen konnte, riß sie sich, als er die hohen Schulen besuchen mußte, los aus der ihr zum Bedürfnis gewordenen Ruhe und begleitete ihn nach Paris. Und sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Zwar erröthete er wohl ein wenig, wenn seine Gefährten ihren Spott an dem empfindsamen Muttersöhnchen übten, und sein Herz schlug auch wohl hier und da in verhaltener Sehnsucht nach den verbotenen Freuden der Jugend, die in seinem Wörterbuche nur Kinder der Sünde waren, und denen er die Anderen mit so unverhohlenem Lebensgenus sich hingeben sah; aber die Liebe zur Mutter war stärker, als falsche Scham und Verführung und der Gedanke, daß diese erste Entsagung auch der erste Schritt zu jener großen des ganzen Lebens sei, die ihn einst den Heiligen, von denen er träumte, zur Seite stellen sollte, erhöhte noch den Durst nach Aufopferung in ihm, der jungen Gemüthern so natürlich ist.

Dennoch konnte es nicht fehlen, das trotz der rettenden Insel, die der Einfluss seiner Mutter für ihn war, das frische Leben von außen, das ihn hier von so vielen Seiten mächtig umströmte, manche Bresche riß in die frommen Überzeugungen, die man mit solcher Sorgfalt um ihn aufgebaut, und deren Grundfesten mehr auf dem beweglichen Boden seiner Phantasie ruhten, als auf dem festen Grunde einer gesunden Kraft. Seine Mutter hatte nicht allein Theil an ihm gehabt, er war auch seines Vaters Sohn und sah ihm nicht umsonst so ähnlich, daß ihr Herz manchmal darüber erschrak.

Aus dem schönen Knaben war mit der Zeit ein schöner, schlanker Jüngling geworden, der dem thätigen Leben des Mannes mit raschen Schritten entgegenging.

vielleicht diese Neigung die rasche Thatkraft in ihm untergrub, die der eigentliche Nerv alles sittlichen Lebens ist.

Ihn vor jedem Einflüsse zu bewahren, der diese Neigung beeinträchtigen konnte, riß sie sich, als er die hohen Schulen besuchen mußte, los aus der ihr zum Bedürfnis gewordenen Ruhe und begleitete ihn nach Paris. Und sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Zwar erröthete er wohl ein wenig, wenn seine Gefährten ihren Spott an dem empfindsamen Muttersöhnchen übten, und sein Herz schlug auch wohl hier und da in verhaltener Sehnsucht nach den verbotenen Freuden der Jugend, die in seinem Wörterbuche nur Kinder der Sünde waren, und denen er die Anderen mit so unverhohlenem Lebensgenus sich hingeben sah; aber die Liebe zur Mutter war stärker, als falsche Scham und Verführung und der Gedanke, daß diese erste Entsagung auch der erste Schritt zu jener großen des ganzen Lebens sei, die ihn einst den Heiligen, von denen er träumte, zur Seite stellen sollte, erhöhte noch den Durst nach Aufopferung in ihm, der jungen Gemüthern so natürlich ist.

Dennoch konnte es nicht fehlen, das trotz der rettenden Insel, die der Einfluss seiner Mutter für ihn war, das frische Leben von außen, das ihn hier von so vielen Seiten mächtig umströmte, manche Bresche riß in die frommen Überzeugungen, die man mit solcher Sorgfalt um ihn aufgebaut, und deren Grundfesten mehr auf dem beweglichen Boden seiner Phantasie ruhten, als auf dem festen Grunde einer gesunden Kraft. Seine Mutter hatte nicht allein Theil an ihm gehabt, er war auch seines Vaters Sohn und sah ihm nicht umsonst so ähnlich, daß ihr Herz manchmal darüber erschrak.

Aus dem schönen Knaben war mit der Zeit ein schöner, schlanker Jüngling geworden, der dem thätigen Leben des Mannes mit raschen Schritten entgegenging.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0070"/>
vielleicht diese      Neigung die rasche Thatkraft in ihm untergrub, die der eigentliche Nerv alles sittlichen Lebens      ist.</p><lb/>
        <p>Ihn vor jedem Einflüsse zu bewahren, der diese Neigung beeinträchtigen konnte, riß sie sich,      als er die hohen Schulen besuchen mußte, los aus der ihr zum Bedürfnis gewordenen Ruhe und      begleitete ihn nach Paris. Und sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Zwar erröthete er wohl      ein wenig, wenn seine Gefährten ihren Spott an dem empfindsamen Muttersöhnchen übten, und sein      Herz schlug auch wohl hier und da in verhaltener Sehnsucht nach den verbotenen Freuden der      Jugend, die in seinem Wörterbuche nur Kinder der Sünde waren, und denen er die Anderen mit so      unverhohlenem Lebensgenus sich hingeben sah; aber die Liebe zur Mutter war stärker, als falsche      Scham und Verführung und der Gedanke, daß diese erste Entsagung auch der erste Schritt zu jener      großen des ganzen Lebens sei, die ihn einst den Heiligen, von denen er träumte, zur Seite      stellen sollte, erhöhte noch den Durst nach Aufopferung in ihm, der jungen Gemüthern so      natürlich ist.</p><lb/>
        <p>Dennoch konnte es nicht fehlen, das trotz der rettenden Insel, die der Einfluss seiner Mutter      für ihn war, das frische Leben von außen, das ihn hier von so vielen Seiten mächtig umströmte,      manche Bresche riß in die frommen Überzeugungen, die man mit solcher Sorgfalt um ihn aufgebaut,      und deren Grundfesten mehr auf dem beweglichen Boden seiner Phantasie ruhten, als auf dem      festen Grunde einer gesunden Kraft. Seine Mutter hatte nicht allein Theil an ihm gehabt, er war      auch seines Vaters Sohn und sah ihm nicht umsonst so ähnlich, daß ihr Herz manchmal darüber      erschrak.</p><lb/>
        <p>Aus dem schönen Knaben war mit der Zeit ein schöner, schlanker Jüngling geworden, der dem      thätigen Leben des Mannes mit raschen Schritten entgegenging.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] vielleicht diese Neigung die rasche Thatkraft in ihm untergrub, die der eigentliche Nerv alles sittlichen Lebens ist. Ihn vor jedem Einflüsse zu bewahren, der diese Neigung beeinträchtigen konnte, riß sie sich, als er die hohen Schulen besuchen mußte, los aus der ihr zum Bedürfnis gewordenen Ruhe und begleitete ihn nach Paris. Und sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Zwar erröthete er wohl ein wenig, wenn seine Gefährten ihren Spott an dem empfindsamen Muttersöhnchen übten, und sein Herz schlug auch wohl hier und da in verhaltener Sehnsucht nach den verbotenen Freuden der Jugend, die in seinem Wörterbuche nur Kinder der Sünde waren, und denen er die Anderen mit so unverhohlenem Lebensgenus sich hingeben sah; aber die Liebe zur Mutter war stärker, als falsche Scham und Verführung und der Gedanke, daß diese erste Entsagung auch der erste Schritt zu jener großen des ganzen Lebens sei, die ihn einst den Heiligen, von denen er träumte, zur Seite stellen sollte, erhöhte noch den Durst nach Aufopferung in ihm, der jungen Gemüthern so natürlich ist. Dennoch konnte es nicht fehlen, das trotz der rettenden Insel, die der Einfluss seiner Mutter für ihn war, das frische Leben von außen, das ihn hier von so vielen Seiten mächtig umströmte, manche Bresche riß in die frommen Überzeugungen, die man mit solcher Sorgfalt um ihn aufgebaut, und deren Grundfesten mehr auf dem beweglichen Boden seiner Phantasie ruhten, als auf dem festen Grunde einer gesunden Kraft. Seine Mutter hatte nicht allein Theil an ihm gehabt, er war auch seines Vaters Sohn und sah ihm nicht umsonst so ähnlich, daß ihr Herz manchmal darüber erschrak. Aus dem schönen Knaben war mit der Zeit ein schöner, schlanker Jüngling geworden, der dem thätigen Leben des Mannes mit raschen Schritten entgegenging.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/70
Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/70>, abgerufen am 27.04.2024.