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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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führt; aber es war nur das Aufflackern der Flamme, bevor sie erlischt. Der nahende Herbst warf sie schnell auf das Lager zurück, und von da an schien nur Eine Sorge noch ihr einen Rest von Kraft zu verleihen. Sorgsam ordnete sie alle Papiere, die sich auf das Vermögen ihres Sohnes bezogen, dann ließ sie sich ein Packet Briefe geben, das in einem verborgenen Fache ihres Schreibtisches aufgehoben war; sie befahl, ein Feuer in dem Kamin anzuzünden, und warf selbst Brief um Brief in die lodernde Flamme hinein. Aufmerksam sah sie die Flammen über sie aufschlagen, züngeln und sie verzehren.

Siehe, mein Sohn, sagte sie dann, so vergeht Alles! Denke daran, wenn Schmerz oder Unglück dich verfolgt. Was auch geschehen möge, thue deine Pflicht; es ist das Einzige, was uns bleibt -- und noch Eines! fügte sie hinzu, indem sie die Augen wie verklärt gen Himmel hob. -- Von da an sprach sie nur noch wenig; eine sanfte Träumerei schien über ihr zu ruhen, aber sie war heiterer, als Louis sie je gesehen. Der Tod nahte ihr ohne Kampf, wie ein geliebter Freund, dessen Nähe man lange ersehnt. Ihre Kräfte nahmen mehr und mehr, doch leise ab, und die zurückkehrenden Schwalben fanden nur noch ihr Grab. Brich nie ein Menschenherz! waren ihre letzten Worte zu ihrem Sohn gewesen, als das Bewusstsein schon halb entflohen war.

Diesen Sohn aber traf ihr Verlust mit einer Schwere, wie nur der Tod einer solchen Mutter unter solchen Verhältnissen treffen kann. Dazu kam, das er erst nach ihrem Tode den ganzen Umfang der Liebe kennen lernte, die bis jetzt über ihn gewacht. Er erfuhr, daß das Haus der Chanteloup eines der ersten im Lande gewesen, daß es sich mit den reichsten und mächtigsten an Glanz und Reichthum messen konnte, bis sein Vater das glänzende Erbe in rücksichtsloser Vergnügungssucht verpraßt und seinem Sohne nichts hinterlassen, als was

führt; aber es war nur das Aufflackern der Flamme, bevor sie erlischt. Der nahende Herbst warf sie schnell auf das Lager zurück, und von da an schien nur Eine Sorge noch ihr einen Rest von Kraft zu verleihen. Sorgsam ordnete sie alle Papiere, die sich auf das Vermögen ihres Sohnes bezogen, dann ließ sie sich ein Packet Briefe geben, das in einem verborgenen Fache ihres Schreibtisches aufgehoben war; sie befahl, ein Feuer in dem Kamin anzuzünden, und warf selbst Brief um Brief in die lodernde Flamme hinein. Aufmerksam sah sie die Flammen über sie aufschlagen, züngeln und sie verzehren.

Siehe, mein Sohn, sagte sie dann, so vergeht Alles! Denke daran, wenn Schmerz oder Unglück dich verfolgt. Was auch geschehen möge, thue deine Pflicht; es ist das Einzige, was uns bleibt — und noch Eines! fügte sie hinzu, indem sie die Augen wie verklärt gen Himmel hob. — Von da an sprach sie nur noch wenig; eine sanfte Träumerei schien über ihr zu ruhen, aber sie war heiterer, als Louis sie je gesehen. Der Tod nahte ihr ohne Kampf, wie ein geliebter Freund, dessen Nähe man lange ersehnt. Ihre Kräfte nahmen mehr und mehr, doch leise ab, und die zurückkehrenden Schwalben fanden nur noch ihr Grab. Brich nie ein Menschenherz! waren ihre letzten Worte zu ihrem Sohn gewesen, als das Bewusstsein schon halb entflohen war.

Diesen Sohn aber traf ihr Verlust mit einer Schwere, wie nur der Tod einer solchen Mutter unter solchen Verhältnissen treffen kann. Dazu kam, das er erst nach ihrem Tode den ganzen Umfang der Liebe kennen lernte, die bis jetzt über ihn gewacht. Er erfuhr, daß das Haus der Chanteloup eines der ersten im Lande gewesen, daß es sich mit den reichsten und mächtigsten an Glanz und Reichthum messen konnte, bis sein Vater das glänzende Erbe in rücksichtsloser Vergnügungssucht verpraßt und seinem Sohne nichts hinterlassen, als was

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[0072] führt; aber es war nur das Aufflackern der Flamme, bevor sie erlischt. Der nahende Herbst warf sie schnell auf das Lager zurück, und von da an schien nur Eine Sorge noch ihr einen Rest von Kraft zu verleihen. Sorgsam ordnete sie alle Papiere, die sich auf das Vermögen ihres Sohnes bezogen, dann ließ sie sich ein Packet Briefe geben, das in einem verborgenen Fache ihres Schreibtisches aufgehoben war; sie befahl, ein Feuer in dem Kamin anzuzünden, und warf selbst Brief um Brief in die lodernde Flamme hinein. Aufmerksam sah sie die Flammen über sie aufschlagen, züngeln und sie verzehren. Siehe, mein Sohn, sagte sie dann, so vergeht Alles! Denke daran, wenn Schmerz oder Unglück dich verfolgt. Was auch geschehen möge, thue deine Pflicht; es ist das Einzige, was uns bleibt — und noch Eines! fügte sie hinzu, indem sie die Augen wie verklärt gen Himmel hob. — Von da an sprach sie nur noch wenig; eine sanfte Träumerei schien über ihr zu ruhen, aber sie war heiterer, als Louis sie je gesehen. Der Tod nahte ihr ohne Kampf, wie ein geliebter Freund, dessen Nähe man lange ersehnt. Ihre Kräfte nahmen mehr und mehr, doch leise ab, und die zurückkehrenden Schwalben fanden nur noch ihr Grab. Brich nie ein Menschenherz! waren ihre letzten Worte zu ihrem Sohn gewesen, als das Bewusstsein schon halb entflohen war. Diesen Sohn aber traf ihr Verlust mit einer Schwere, wie nur der Tod einer solchen Mutter unter solchen Verhältnissen treffen kann. Dazu kam, das er erst nach ihrem Tode den ganzen Umfang der Liebe kennen lernte, die bis jetzt über ihn gewacht. Er erfuhr, daß das Haus der Chanteloup eines der ersten im Lande gewesen, daß es sich mit den reichsten und mächtigsten an Glanz und Reichthum messen konnte, bis sein Vater das glänzende Erbe in rücksichtsloser Vergnügungssucht verpraßt und seinem Sohne nichts hinterlassen, als was

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/72>, abgerufen am 28.04.2024.