Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

pwo_247.001
den Vokalismus verschiedener Schallwörter hin, wie flimmen und pwo_247.002
flammen, klippen und klappen, knistern und knastern.

pwo_247.003
§ 97. pwo_247.004
Die unbewußte Freiheit des Dichtergeistes.
pwo_247.005

Der Eindruck der Anschauung ist, wie wir schon am Beginn pwo_247.006
unserer Untersuchungen erfuhren, zunächst durchaus düster und erhaben. pwo_247.007
Das Erhabene ist das Gefühl, einem Ueberragenden gegenüberzustehen. pwo_247.008
Als ursprüngliche Aeußerungsform dieser Anschauung pwo_247.009
des Ueberragenden lernten wir soeben die Furcht kennen. Thatsächlich pwo_247.010
lebt noch ein Bodensatz von Unlust in jeder Empfindung des pwo_247.011
Erhabenen, solange wir nur des Abstandes unserer Winzigkeit von pwo_247.012
dem überragenden Gegenstand der Anschauung gedenken, solange wir pwo_247.013
nicht beflissen sind, diese Winzigkeit zu überwinden. Erst der Künstler pwo_247.014
ist es, der sich zu der Höhe des erhabenen Objektes geistig zu erheben pwo_247.015
sucht und so anstelle des dumpfen Empfindens unserer Niedrigkeit pwo_247.016
den beflügelnden Trieb zum Aufschwung setzt.

pwo_247.017

Nicht anders steht es um jedes Unlustgefühl, das der Rohstoff pwo_247.018
erweckt. Die Dichterseele findet eine höhere, objektivere Anschauungsform, pwo_247.019
die sich auch über das neben uns Stehende erhebt. Nicht länger pwo_247.020
sieht sie den widrigen Gegenstand sich feindlich oder schädlich pwo_247.021
oder auch nur unangenehm gegenüber: sie überwindet Angst und pwo_247.022
Aerger des Jrdischen, indem sie nicht sowohl an diesem Rohstoff haften pwo_247.023
bleibt als vielmehr ihn mit kühnem Flug der Phantasie überfliegt pwo_247.024
und von dieser Sonnenhöhe aus die Dinge der Alltagswelt beleuchtet.

pwo_247.025
§ 98. pwo_247.026
Die bewußte Freiheit des Dichtergeistes.
pwo_247.027

Diese Freiheit des dichterischen Geistes von den Fesseln des pwo_247.028
Objektes bekundet nächst der Erhebung zum Ueberragenden die Erhebung pwo_247.029
über das gleichgestellte Objekt. Solange der Dichter bei alledem pwo_247.030
rein objektiv gestaltet, zeigt er den Stoff unbewußt aus der pwo_247.031
höheren Perspektive, in dem strahlenden Licht seines Geistes.

pwo_247.032

Erst das bewußte Hineintragen der eigenen Jndividualität veranlaßt pwo_247.033
den Dichter, neben die Wiedergabe der Gegenstände seine Empfindungen

pwo_247.001
den Vokalismus verschiedener Schallwörter hin, wie flimmen und pwo_247.002
flammen, klippen und klappen, knistern und knastern.

pwo_247.003
§ 97. pwo_247.004
Die unbewußte Freiheit des Dichtergeistes.
pwo_247.005

  Der Eindruck der Anschauung ist, wie wir schon am Beginn pwo_247.006
unserer Untersuchungen erfuhren, zunächst durchaus düster und erhaben. pwo_247.007
Das Erhabene ist das Gefühl, einem Ueberragenden gegenüberzustehen. pwo_247.008
Als ursprüngliche Aeußerungsform dieser Anschauung pwo_247.009
des Ueberragenden lernten wir soeben die Furcht kennen. Thatsächlich pwo_247.010
lebt noch ein Bodensatz von Unlust in jeder Empfindung des pwo_247.011
Erhabenen, solange wir nur des Abstandes unserer Winzigkeit von pwo_247.012
dem überragenden Gegenstand der Anschauung gedenken, solange wir pwo_247.013
nicht beflissen sind, diese Winzigkeit zu überwinden. Erst der Künstler pwo_247.014
ist es, der sich zu der Höhe des erhabenen Objektes geistig zu erheben pwo_247.015
sucht und so anstelle des dumpfen Empfindens unserer Niedrigkeit pwo_247.016
den beflügelnden Trieb zum Aufschwung setzt.

pwo_247.017

  Nicht anders steht es um jedes Unlustgefühl, das der Rohstoff pwo_247.018
erweckt. Die Dichterseele findet eine höhere, objektivere Anschauungsform, pwo_247.019
die sich auch über das neben uns Stehende erhebt. Nicht länger pwo_247.020
sieht sie den widrigen Gegenstand sich feindlich oder schädlich pwo_247.021
oder auch nur unangenehm gegenüber: sie überwindet Angst und pwo_247.022
Aerger des Jrdischen, indem sie nicht sowohl an diesem Rohstoff haften pwo_247.023
bleibt als vielmehr ihn mit kühnem Flug der Phantasie überfliegt pwo_247.024
und von dieser Sonnenhöhe aus die Dinge der Alltagswelt beleuchtet.

pwo_247.025
§ 98. pwo_247.026
Die bewußte Freiheit des Dichtergeistes.
pwo_247.027

  Diese Freiheit des dichterischen Geistes von den Fesseln des pwo_247.028
Objektes bekundet nächst der Erhebung zum Ueberragenden die Erhebung pwo_247.029
über das gleichgestellte Objekt. Solange der Dichter bei alledem pwo_247.030
rein objektiv gestaltet, zeigt er den Stoff unbewußt aus der pwo_247.031
höheren Perspektive, in dem strahlenden Licht seines Geistes.

pwo_247.032

  Erst das bewußte Hineintragen der eigenen Jndividualität veranlaßt pwo_247.033
den Dichter, neben die Wiedergabe der Gegenstände seine Empfindungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0261" n="247"/><lb n="pwo_247.001"/>
den Vokalismus verschiedener Schallwörter hin, wie flimmen und <lb n="pwo_247.002"/>
flammen, klippen und klappen, knistern und knastern.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="pwo_247.003"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 97. <lb n="pwo_247.004"/>
Die unbewußte Freiheit des Dichtergeistes.</hi> </head>
            <lb n="pwo_247.005"/>
            <p>  Der Eindruck der Anschauung ist, wie wir schon am Beginn <lb n="pwo_247.006"/>
unserer Untersuchungen erfuhren, zunächst durchaus düster und <hi rendition="#g">erhaben.</hi> <lb n="pwo_247.007"/>
Das Erhabene ist das Gefühl, einem Ueberragenden gegenüberzustehen. <lb n="pwo_247.008"/>
Als ursprüngliche Aeußerungsform dieser Anschauung <lb n="pwo_247.009"/>
des Ueberragenden lernten wir soeben die Furcht kennen. Thatsächlich <lb n="pwo_247.010"/>
lebt noch ein Bodensatz von Unlust in jeder Empfindung des <lb n="pwo_247.011"/>
Erhabenen, solange wir nur des Abstandes unserer Winzigkeit von <lb n="pwo_247.012"/>
dem überragenden Gegenstand der Anschauung gedenken, solange wir <lb n="pwo_247.013"/>
nicht beflissen sind, diese Winzigkeit zu überwinden. Erst der Künstler <lb n="pwo_247.014"/>
ist es, der sich zu der Höhe des erhabenen Objektes geistig zu erheben <lb n="pwo_247.015"/>
sucht und so anstelle des dumpfen Empfindens unserer Niedrigkeit <lb n="pwo_247.016"/>
den beflügelnden Trieb zum Aufschwung setzt.</p>
            <lb n="pwo_247.017"/>
            <p>  Nicht anders steht es um jedes Unlustgefühl, das der Rohstoff <lb n="pwo_247.018"/>
erweckt. Die Dichterseele findet eine höhere, objektivere Anschauungsform, <lb n="pwo_247.019"/>
die sich auch über das neben uns Stehende erhebt. Nicht länger <lb n="pwo_247.020"/>
sieht sie den widrigen Gegenstand sich feindlich oder schädlich <lb n="pwo_247.021"/>
oder auch nur unangenehm gegenüber: sie überwindet Angst und <lb n="pwo_247.022"/>
Aerger des Jrdischen, indem sie nicht sowohl an diesem Rohstoff haften <lb n="pwo_247.023"/>
bleibt als vielmehr ihn mit kühnem Flug der Phantasie überfliegt <lb n="pwo_247.024"/>
und von dieser Sonnenhöhe aus die Dinge der Alltagswelt beleuchtet.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="pwo_247.025"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 98. <lb n="pwo_247.026"/>
Die bewußte Freiheit des Dichtergeistes.</hi> </head>
            <lb n="pwo_247.027"/>
            <p>  Diese Freiheit des dichterischen Geistes von den Fesseln des <lb n="pwo_247.028"/>
Objektes bekundet nächst der Erhebung zum Ueberragenden die Erhebung <lb n="pwo_247.029"/>
über das gleichgestellte Objekt. Solange der Dichter bei alledem <lb n="pwo_247.030"/>
rein objektiv gestaltet, zeigt er den Stoff <hi rendition="#g">unbewußt</hi> aus der <lb n="pwo_247.031"/>
höheren Perspektive, in dem strahlenden Licht seines Geistes.</p>
            <lb n="pwo_247.032"/>
            <p>  Erst das bewußte Hineintragen der eigenen Jndividualität veranlaßt <lb n="pwo_247.033"/>
den Dichter, neben die Wiedergabe der Gegenstände seine Empfindungen
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0261] pwo_247.001 den Vokalismus verschiedener Schallwörter hin, wie flimmen und pwo_247.002 flammen, klippen und klappen, knistern und knastern. pwo_247.003 § 97. pwo_247.004 Die unbewußte Freiheit des Dichtergeistes. pwo_247.005   Der Eindruck der Anschauung ist, wie wir schon am Beginn pwo_247.006 unserer Untersuchungen erfuhren, zunächst durchaus düster und erhaben. pwo_247.007 Das Erhabene ist das Gefühl, einem Ueberragenden gegenüberzustehen. pwo_247.008 Als ursprüngliche Aeußerungsform dieser Anschauung pwo_247.009 des Ueberragenden lernten wir soeben die Furcht kennen. Thatsächlich pwo_247.010 lebt noch ein Bodensatz von Unlust in jeder Empfindung des pwo_247.011 Erhabenen, solange wir nur des Abstandes unserer Winzigkeit von pwo_247.012 dem überragenden Gegenstand der Anschauung gedenken, solange wir pwo_247.013 nicht beflissen sind, diese Winzigkeit zu überwinden. Erst der Künstler pwo_247.014 ist es, der sich zu der Höhe des erhabenen Objektes geistig zu erheben pwo_247.015 sucht und so anstelle des dumpfen Empfindens unserer Niedrigkeit pwo_247.016 den beflügelnden Trieb zum Aufschwung setzt. pwo_247.017   Nicht anders steht es um jedes Unlustgefühl, das der Rohstoff pwo_247.018 erweckt. Die Dichterseele findet eine höhere, objektivere Anschauungsform, pwo_247.019 die sich auch über das neben uns Stehende erhebt. Nicht länger pwo_247.020 sieht sie den widrigen Gegenstand sich feindlich oder schädlich pwo_247.021 oder auch nur unangenehm gegenüber: sie überwindet Angst und pwo_247.022 Aerger des Jrdischen, indem sie nicht sowohl an diesem Rohstoff haften pwo_247.023 bleibt als vielmehr ihn mit kühnem Flug der Phantasie überfliegt pwo_247.024 und von dieser Sonnenhöhe aus die Dinge der Alltagswelt beleuchtet. pwo_247.025 § 98. pwo_247.026 Die bewußte Freiheit des Dichtergeistes. pwo_247.027   Diese Freiheit des dichterischen Geistes von den Fesseln des pwo_247.028 Objektes bekundet nächst der Erhebung zum Ueberragenden die Erhebung pwo_247.029 über das gleichgestellte Objekt. Solange der Dichter bei alledem pwo_247.030 rein objektiv gestaltet, zeigt er den Stoff unbewußt aus der pwo_247.031 höheren Perspektive, in dem strahlenden Licht seines Geistes. pwo_247.032   Erst das bewußte Hineintragen der eigenen Jndividualität veranlaßt pwo_247.033 den Dichter, neben die Wiedergabe der Gegenstände seine Empfindungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/261
Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/261>, abgerufen am 15.05.2024.