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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
so nothwendig zum Wesen des Menschen, daß die Frage, ob der
Zusammenhang dieses Menschen, der Staub von der Erde ist, mit
dieser Erde, durch die Form eines vorausgegangenen thierischen
Organismus vermittelt ist oder nicht, gar keine Bedeutung mehr
hat." Das Sichsträuben gegen eine thierische Ahnenschaft des Menschen
erscheint ihm als gegenstandslos, als durch die Bibel keineswegs
geboten; auch verlange ja die biblische Urgeschichts-Ueberlieferung
"durchaus nicht die Annahme einer allmähligen Depravation unsres
Geschlechts."1) Ein andrer evangelisch-theologischer Conciliator von
Bibel und Darwinismus ist in dem zuletzt berührten Punkte noch
weiter gegangen und hat kühnlich behauptet: "die Depravations-
hypothese habe sogar weniger Boden in der Bibel, als die entgegen-
gesetzte Annahme"!2)

Muß man wirklich so weitgehende Zugeständnisse machen? Muß
in der That, modernen wissenschaftlichen Entdeckungen zulieb, die
Aussage der Schrift dermaßen einseitig aufgefaßt und umgedeutet
werden, daß sie überwiegend gegen die Annahme eines Herab-
gesunkenseins unsres Geschlechts von einem höheren und besseren
Urzustande lautete, statt, wie unsre frühere Betrachtung dieß gelehrt
hat, vielmehr überwiegend für diese Annahme zu zeugen? -- Sind
es auch wirkliche Entdeckungen der Wissenschaft, die zu einem
solchen Verlassen des Schriftgrundes -- denn darauf liefe jene
Umdeutung eigentlich hinaus -- nöthigen? Jst es in der That, um
mit Brugsch zu reden, eine "breite Grundlage von Thatsachen", auf
welcher jene Hypothesen-Pyramide mit dem Bilde des Menschen-
Affen auf nebelumhüllter Spitze sich aufbaut? Oder sind sie beide
gleich nebelhaft: die Spitze der Pyramide wie ihr Grund, die that-
sächlichen Prämissen wie das aus ihnen Gefolgerte?

Die zunächst folgenden Abschnitte werden diese Fragen zu beant-
worten haben. Vor allem sind diejenigen Thatsachen der modernen

1) R. Schmid, Die darwinschen Theorien etc., Stuttgart 1876, S. 304.
2) Gustav Zart, Naturwissenschaft und Bibel etc., 1878, S. 76.

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
ſo nothwendig zum Weſen des Menſchen, daß die Frage, ob der
Zuſammenhang dieſes Menſchen, der Staub von der Erde iſt, mit
dieſer Erde, durch die Form eines vorausgegangenen thieriſchen
Organismus vermittelt iſt oder nicht, gar keine Bedeutung mehr
hat.‟ Das Sichſträuben gegen eine thieriſche Ahnenſchaft des Menſchen
erſcheint ihm als gegenſtandslos, als durch die Bibel keineswegs
geboten; auch verlange ja die bibliſche Urgeſchichts-Ueberlieferung
„durchaus nicht die Annahme einer allmähligen Depravation unſres
Geſchlechts.‟1) Ein andrer evangeliſch-theologiſcher Conciliator von
Bibel und Darwinismus iſt in dem zuletzt berührten Punkte noch
weiter gegangen und hat kühnlich behauptet: „die Depravations-
hypotheſe habe ſogar weniger Boden in der Bibel, als die entgegen-
geſetzte Annahme‟!2)

Muß man wirklich ſo weitgehende Zugeſtändniſſe machen? Muß
in der That, modernen wiſſenſchaftlichen Entdeckungen zulieb, die
Ausſage der Schrift dermaßen einſeitig aufgefaßt und umgedeutet
werden, daß ſie überwiegend gegen die Annahme eines Herab-
geſunkenſeins unſres Geſchlechts von einem höheren und beſſeren
Urzuſtande lautete, ſtatt, wie unſre frühere Betrachtung dieß gelehrt
hat, vielmehr überwiegend für dieſe Annahme zu zeugen? — Sind
es auch wirkliche Entdeckungen der Wiſſenſchaft, die zu einem
ſolchen Verlaſſen des Schriftgrundes — denn darauf liefe jene
Umdeutung eigentlich hinaus — nöthigen? Jſt es in der That, um
mit Brugſch zu reden, eine „breite Grundlage von Thatſachen‟, auf
welcher jene Hypotheſen-Pyramide mit dem Bilde des Menſchen-
Affen auf nebelumhüllter Spitze ſich aufbaut? Oder ſind ſie beide
gleich nebelhaft: die Spitze der Pyramide wie ihr Grund, die that-
ſächlichen Prämiſſen wie das aus ihnen Gefolgerte?

Die zunächſt folgenden Abſchnitte werden dieſe Fragen zu beant-
worten haben. Vor allem ſind diejenigen Thatſachen der modernen

1) R. Schmid, Die darwinſchen Theorien ꝛc., Stuttgart 1876, S. 304.
2) Guſtav Zart, Naturwiſſenſchaft und Bibel ꝛc., 1878, S. 76.
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[150/0160] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. ſo nothwendig zum Weſen des Menſchen, daß die Frage, ob der Zuſammenhang dieſes Menſchen, der Staub von der Erde iſt, mit dieſer Erde, durch die Form eines vorausgegangenen thieriſchen Organismus vermittelt iſt oder nicht, gar keine Bedeutung mehr hat.‟ Das Sichſträuben gegen eine thieriſche Ahnenſchaft des Menſchen erſcheint ihm als gegenſtandslos, als durch die Bibel keineswegs geboten; auch verlange ja die bibliſche Urgeſchichts-Ueberlieferung „durchaus nicht die Annahme einer allmähligen Depravation unſres Geſchlechts.‟ 1) Ein andrer evangeliſch-theologiſcher Conciliator von Bibel und Darwinismus iſt in dem zuletzt berührten Punkte noch weiter gegangen und hat kühnlich behauptet: „die Depravations- hypotheſe habe ſogar weniger Boden in der Bibel, als die entgegen- geſetzte Annahme‟! 2) Muß man wirklich ſo weitgehende Zugeſtändniſſe machen? Muß in der That, modernen wiſſenſchaftlichen Entdeckungen zulieb, die Ausſage der Schrift dermaßen einſeitig aufgefaßt und umgedeutet werden, daß ſie überwiegend gegen die Annahme eines Herab- geſunkenſeins unſres Geſchlechts von einem höheren und beſſeren Urzuſtande lautete, ſtatt, wie unſre frühere Betrachtung dieß gelehrt hat, vielmehr überwiegend für dieſe Annahme zu zeugen? — Sind es auch wirkliche Entdeckungen der Wiſſenſchaft, die zu einem ſolchen Verlaſſen des Schriftgrundes — denn darauf liefe jene Umdeutung eigentlich hinaus — nöthigen? Jſt es in der That, um mit Brugſch zu reden, eine „breite Grundlage von Thatſachen‟, auf welcher jene Hypotheſen-Pyramide mit dem Bilde des Menſchen- Affen auf nebelumhüllter Spitze ſich aufbaut? Oder ſind ſie beide gleich nebelhaft: die Spitze der Pyramide wie ihr Grund, die that- ſächlichen Prämiſſen wie das aus ihnen Gefolgerte? Die zunächſt folgenden Abſchnitte werden dieſe Fragen zu beant- worten haben. Vor allem ſind diejenigen Thatſachen der modernen 1) R. Schmid, Die darwinſchen Theorien ꝛc., Stuttgart 1876, S. 304. 2) Guſtav Zart, Naturwiſſenſchaft und Bibel ꝛc., 1878, S. 76.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/160>, abgerufen am 28.04.2024.