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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die stellersche Seekuh oder das nordische Borkenthier.
daß wir selbige vom Lande mit Stöcken schlagen und erreichen konnten. Sie scheuen sich vor dem
Menschen im geringsten nicht, scheinen ihn auch nicht allzuleise zu hören, wie Hernandez gegen
die Erfahrung vorgibt. Zeichen eines bewunderungswürdigen Verstandes konnte ich, was auch Her-
nandez sagen mag, nicht an ihnen wahrnehmen, wohl aber eine ungemeine Liebe gegen einander,
die sich auch soweit erstreckt, daß, wenn eins von ihnen angehauen worden, die anderen alle dar-
auf bedacht waren, dasselbe zu retten. Einige suchten durch einen geschlossenen Kreis den verwun-
deten Kameraden vom Ufer abzuhalten, andere versuchten das Joll umzuwerfen, einige legten sich
auf die Seite oder suchten den Harpun aus dem Leibe zu schlagen, welches ihnen verschiedene Male
auch glücklich gelang. Wir bemerkten auch nicht ohne Verwunderung, daß ein Männlein zu seinem
am Strande liegenden, todten Weiblein zwei Tage nach einander kam, als wenn es sich nach dessen
Zustande erkundigen wollte. Dennoch blieben sie, so viele auch von ihnen verwundet und getödtet
wurden, immer in derselben Gegend. Jhre Begattung geschieht im Junius nach langem Vorspiel.
Das Weiblein flieht langsam vor dem Männlein mit beständigem Umschauen, das Männlein aber
folgt demselben ohne Unterlaß, bis jenes endlich des Sprödethuns überdrüssig ist."

"Wenn diese Thiere auf dem Lande der Ruhe pflegen wollen, so legen sie sich bei einer Ein-
bucht an einem stillen Orte auf den Rücken und lassen sich wie Klötze auf der See treiben."

"Diese Thiere finden sich zu allen Zeiten des Jahres allenthalben um diese Jnsel in größter
Menge, so daß alle Bewohner der Ostküste von Kamtschatka sich davon jährlich zum Ueberfluß mit
Speck und Fleisch versorgen könnten. Die Haut der Seekuh hat ein doppeltes Wesen: die äußerste
Schale der Haut ist schwarz oder schwarzbraun, einen Zoll dick und an Festigkeit fast wie Pantoffel-
holz, um den Kopf voller Gruben, Runzeln und Löcher. Sie besteht aus lauter senkrechten Fasern,
welche wie im Strahlengips hart an einander liegen. Diese äußere Schale, welche sich leicht von
der Haut abschält, ist, meinem Bedünken nach, eine aus an einander stehenden, verwandelten Haaren
zusammengesetzte Decke, die ich ebenso bei Walfischen gefunden habe. Die untere Haut ist etwas
dicker, als eine Ochsenhaut, sehr stark und an Farbe weiß. Unter diesen beiden umgibt den ganzen
Körper des Thieres der Fettlappen oder Speck vier Finger hoch, alsdann folgt das Fleisch. Jch
schätze das Gewicht des Thieres mit Einschluß von Haut, Fett, Speck, Knochen und Gedärmen auf
1200 Pud oder 480 Centner. Das Fett ist nicht öligt oder weichlich, sondern härtlich und drusigt,
schneeweiß, und wenn es einige Tage an der Sonne gelegen, so angenehm gelblich, wie die beste hol-
ländische Butter. An sich selbst gekocht übertrifft es an Süßigkeit und Geschmack das beste Ninds-
fett; ausgesotten ist es an Farbe und Frischheit wie frisches Baumöl, an Geschmack wie süßes Man-
delöl und von ausnehmend gutem Geruch und Nahrung, dergestalt, daß wir solches schalenweise
getrunken, ohne den geringsten Ekel zu empfinden. Der Schwanz besteht fast aus lauter Fett, und
dieses ist noch viel angenehmer, als das an den übrigen Theilen des Körpers befindliche. Das
Fett von den Kälbern vergleicht sich gänzlich dem jungen Schweinefleisch, das Fleisch derselben aber
dem Kalbfleisch. Es quillt dabei dergestalt auf, daß es fast noch ein Mal so viel Raum einnimmt,
und kocht in einer halben Stunde gar. Das Fleisch der alten Thiere ist vom Rindfleisch nicht zu
unterscheiden; es hat aber die ganz besondere Eigenschaft, daß es auch in den heißesten Sommer-
monaten in der freien Luft, ohne stinkend zu werden, zwei volle Wochen und noch länger dauern
kann, ohngeachtet es von den Schmeißfliegen dergestalt verunfläthet wird, daß es allenthalben mit
Würmern verdeckt ist. Es hat auch eine viel höhere Röthe, als aller anderen Thiere Fleisch, und
sieht fast wie von Salpeter geröthet aus. Wie heilsam es zur Nahrung sei, empfanden wir gar
bald Alle, soviel unserer es genossen, indem wir an Kräften und Gesundheit eine merkliche Zu-
nahme spürten. Hauptsächlich erfuhren dies Diejenigen unter den Matrosen, welche bis dahin an
Zahnfäule gelitten und bis auf diese Zeit sich noch nicht hatten erholen können. Mit diesem Fleisch
der Seekühe versorgten wir auch unser Fahrzeug zur Abreise, wozu wir sonst gewiß keinen Rath
zu schaffen gewußt hätten."

Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.
daß wir ſelbige vom Lande mit Stöcken ſchlagen und erreichen konnten. Sie ſcheuen ſich vor dem
Menſchen im geringſten nicht, ſcheinen ihn auch nicht allzuleiſe zu hören, wie Hernandez gegen
die Erfahrung vorgibt. Zeichen eines bewunderungswürdigen Verſtandes konnte ich, was auch Her-
nandez ſagen mag, nicht an ihnen wahrnehmen, wohl aber eine ungemeine Liebe gegen einander,
die ſich auch ſoweit erſtreckt, daß, wenn eins von ihnen angehauen worden, die anderen alle dar-
auf bedacht waren, daſſelbe zu retten. Einige ſuchten durch einen geſchloſſenen Kreis den verwun-
deten Kameraden vom Ufer abzuhalten, andere verſuchten das Joll umzuwerfen, einige legten ſich
auf die Seite oder ſuchten den Harpun aus dem Leibe zu ſchlagen, welches ihnen verſchiedene Male
auch glücklich gelang. Wir bemerkten auch nicht ohne Verwunderung, daß ein Männlein zu ſeinem
am Strande liegenden, todten Weiblein zwei Tage nach einander kam, als wenn es ſich nach deſſen
Zuſtande erkundigen wollte. Dennoch blieben ſie, ſo viele auch von ihnen verwundet und getödtet
wurden, immer in derſelben Gegend. Jhre Begattung geſchieht im Junius nach langem Vorſpiel.
Das Weiblein flieht langſam vor dem Männlein mit beſtändigem Umſchauen, das Männlein aber
folgt demſelben ohne Unterlaß, bis jenes endlich des Sprödethuns überdrüſſig iſt.‟

„Wenn dieſe Thiere auf dem Lande der Ruhe pflegen wollen, ſo legen ſie ſich bei einer Ein-
bucht an einem ſtillen Orte auf den Rücken und laſſen ſich wie Klötze auf der See treiben.‟

„Dieſe Thiere finden ſich zu allen Zeiten des Jahres allenthalben um dieſe Jnſel in größter
Menge, ſo daß alle Bewohner der Oſtküſte von Kamtſchatka ſich davon jährlich zum Ueberfluß mit
Speck und Fleiſch verſorgen könnten. Die Haut der Seekuh hat ein doppeltes Weſen: die äußerſte
Schale der Haut iſt ſchwarz oder ſchwarzbraun, einen Zoll dick und an Feſtigkeit faſt wie Pantoffel-
holz, um den Kopf voller Gruben, Runzeln und Löcher. Sie beſteht aus lauter ſenkrechten Faſern,
welche wie im Strahlengips hart an einander liegen. Dieſe äußere Schale, welche ſich leicht von
der Haut abſchält, iſt, meinem Bedünken nach, eine aus an einander ſtehenden, verwandelten Haaren
zuſammengeſetzte Decke, die ich ebenſo bei Walfiſchen gefunden habe. Die untere Haut iſt etwas
dicker, als eine Ochſenhaut, ſehr ſtark und an Farbe weiß. Unter dieſen beiden umgibt den ganzen
Körper des Thieres der Fettlappen oder Speck vier Finger hoch, alsdann folgt das Fleiſch. Jch
ſchätze das Gewicht des Thieres mit Einſchluß von Haut, Fett, Speck, Knochen und Gedärmen auf
1200 Pud oder 480 Centner. Das Fett iſt nicht öligt oder weichlich, ſondern härtlich und druſigt,
ſchneeweiß, und wenn es einige Tage an der Sonne gelegen, ſo angenehm gelblich, wie die beſte hol-
ländiſche Butter. An ſich ſelbſt gekocht übertrifft es an Süßigkeit und Geſchmack das beſte Ninds-
fett; ausgeſotten iſt es an Farbe und Friſchheit wie friſches Baumöl, an Geſchmack wie ſüßes Man-
delöl und von ausnehmend gutem Geruch und Nahrung, dergeſtalt, daß wir ſolches ſchalenweiſe
getrunken, ohne den geringſten Ekel zu empfinden. Der Schwanz beſteht faſt aus lauter Fett, und
dieſes iſt noch viel angenehmer, als das an den übrigen Theilen des Körpers befindliche. Das
Fett von den Kälbern vergleicht ſich gänzlich dem jungen Schweinefleiſch, das Fleiſch derſelben aber
dem Kalbfleiſch. Es quillt dabei dergeſtalt auf, daß es faſt noch ein Mal ſo viel Raum einnimmt,
und kocht in einer halben Stunde gar. Das Fleiſch der alten Thiere iſt vom Rindfleiſch nicht zu
unterſcheiden; es hat aber die ganz beſondere Eigenſchaft, daß es auch in den heißeſten Sommer-
monaten in der freien Luft, ohne ſtinkend zu werden, zwei volle Wochen und noch länger dauern
kann, ohngeachtet es von den Schmeißfliegen dergeſtalt verunfläthet wird, daß es allenthalben mit
Würmern verdeckt iſt. Es hat auch eine viel höhere Röthe, als aller anderen Thiere Fleiſch, und
ſieht faſt wie von Salpeter geröthet aus. Wie heilſam es zur Nahrung ſei, empfanden wir gar
bald Alle, ſoviel unſerer es genoſſen, indem wir an Kräften und Geſundheit eine merkliche Zu-
nahme ſpürten. Hauptſächlich erfuhren dies Diejenigen unter den Matroſen, welche bis dahin an
Zahnfäule gelitten und bis auf dieſe Zeit ſich noch nicht hatten erholen können. Mit dieſem Fleiſch
der Seekühe verſorgten wir auch unſer Fahrzeug zur Abreiſe, wozu wir ſonſt gewiß keinen Rath
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[824/0872] Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier. daß wir ſelbige vom Lande mit Stöcken ſchlagen und erreichen konnten. Sie ſcheuen ſich vor dem Menſchen im geringſten nicht, ſcheinen ihn auch nicht allzuleiſe zu hören, wie Hernandez gegen die Erfahrung vorgibt. Zeichen eines bewunderungswürdigen Verſtandes konnte ich, was auch Her- nandez ſagen mag, nicht an ihnen wahrnehmen, wohl aber eine ungemeine Liebe gegen einander, die ſich auch ſoweit erſtreckt, daß, wenn eins von ihnen angehauen worden, die anderen alle dar- auf bedacht waren, daſſelbe zu retten. Einige ſuchten durch einen geſchloſſenen Kreis den verwun- deten Kameraden vom Ufer abzuhalten, andere verſuchten das Joll umzuwerfen, einige legten ſich auf die Seite oder ſuchten den Harpun aus dem Leibe zu ſchlagen, welches ihnen verſchiedene Male auch glücklich gelang. Wir bemerkten auch nicht ohne Verwunderung, daß ein Männlein zu ſeinem am Strande liegenden, todten Weiblein zwei Tage nach einander kam, als wenn es ſich nach deſſen Zuſtande erkundigen wollte. Dennoch blieben ſie, ſo viele auch von ihnen verwundet und getödtet wurden, immer in derſelben Gegend. Jhre Begattung geſchieht im Junius nach langem Vorſpiel. Das Weiblein flieht langſam vor dem Männlein mit beſtändigem Umſchauen, das Männlein aber folgt demſelben ohne Unterlaß, bis jenes endlich des Sprödethuns überdrüſſig iſt.‟ „Wenn dieſe Thiere auf dem Lande der Ruhe pflegen wollen, ſo legen ſie ſich bei einer Ein- bucht an einem ſtillen Orte auf den Rücken und laſſen ſich wie Klötze auf der See treiben.‟ „Dieſe Thiere finden ſich zu allen Zeiten des Jahres allenthalben um dieſe Jnſel in größter Menge, ſo daß alle Bewohner der Oſtküſte von Kamtſchatka ſich davon jährlich zum Ueberfluß mit Speck und Fleiſch verſorgen könnten. Die Haut der Seekuh hat ein doppeltes Weſen: die äußerſte Schale der Haut iſt ſchwarz oder ſchwarzbraun, einen Zoll dick und an Feſtigkeit faſt wie Pantoffel- holz, um den Kopf voller Gruben, Runzeln und Löcher. Sie beſteht aus lauter ſenkrechten Faſern, welche wie im Strahlengips hart an einander liegen. Dieſe äußere Schale, welche ſich leicht von der Haut abſchält, iſt, meinem Bedünken nach, eine aus an einander ſtehenden, verwandelten Haaren zuſammengeſetzte Decke, die ich ebenſo bei Walfiſchen gefunden habe. Die untere Haut iſt etwas dicker, als eine Ochſenhaut, ſehr ſtark und an Farbe weiß. Unter dieſen beiden umgibt den ganzen Körper des Thieres der Fettlappen oder Speck vier Finger hoch, alsdann folgt das Fleiſch. Jch ſchätze das Gewicht des Thieres mit Einſchluß von Haut, Fett, Speck, Knochen und Gedärmen auf 1200 Pud oder 480 Centner. Das Fett iſt nicht öligt oder weichlich, ſondern härtlich und druſigt, ſchneeweiß, und wenn es einige Tage an der Sonne gelegen, ſo angenehm gelblich, wie die beſte hol- ländiſche Butter. An ſich ſelbſt gekocht übertrifft es an Süßigkeit und Geſchmack das beſte Ninds- fett; ausgeſotten iſt es an Farbe und Friſchheit wie friſches Baumöl, an Geſchmack wie ſüßes Man- delöl und von ausnehmend gutem Geruch und Nahrung, dergeſtalt, daß wir ſolches ſchalenweiſe getrunken, ohne den geringſten Ekel zu empfinden. Der Schwanz beſteht faſt aus lauter Fett, und dieſes iſt noch viel angenehmer, als das an den übrigen Theilen des Körpers befindliche. Das Fett von den Kälbern vergleicht ſich gänzlich dem jungen Schweinefleiſch, das Fleiſch derſelben aber dem Kalbfleiſch. Es quillt dabei dergeſtalt auf, daß es faſt noch ein Mal ſo viel Raum einnimmt, und kocht in einer halben Stunde gar. Das Fleiſch der alten Thiere iſt vom Rindfleiſch nicht zu unterſcheiden; es hat aber die ganz beſondere Eigenſchaft, daß es auch in den heißeſten Sommer- monaten in der freien Luft, ohne ſtinkend zu werden, zwei volle Wochen und noch länger dauern kann, ohngeachtet es von den Schmeißfliegen dergeſtalt verunfläthet wird, daß es allenthalben mit Würmern verdeckt iſt. Es hat auch eine viel höhere Röthe, als aller anderen Thiere Fleiſch, und ſieht faſt wie von Salpeter geröthet aus. Wie heilſam es zur Nahrung ſei, empfanden wir gar bald Alle, ſoviel unſerer es genoſſen, indem wir an Kräften und Geſundheit eine merkliche Zu- nahme ſpürten. Hauptſächlich erfuhren dies Diejenigen unter den Matroſen, welche bis dahin an Zahnfäule gelitten und bis auf dieſe Zeit ſich noch nicht hatten erholen können. Mit dieſem Fleiſch der Seekühe verſorgten wir auch unſer Fahrzeug zur Abreiſe, wozu wir ſonſt gewiß keinen Rath zu ſchaffen gewußt hätten.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 824. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/872>, abgerufen am 30.04.2024.