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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

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Gedancken über ein Perspectiv.
Gedancken über ein Perspectiv.
Wenn wir durch schattigter Alleen
Gerade Länge vorwärts sehen,
Jst unser Auge so formirt,
Daß es, was oberwärts, herabwärts führt,
Was unterwärts, hinauf: wodurch es denn geschieht,
Daß alles sich zuletzt in ein klein Pünctchen zieht.
Der Himmel und die Erde scheinen
Sich in dem äussersten Gesicht-Punct zu vereinen.
Dieß sah ich jüngst aufmercksam an, und dachte:
Je mehr ich diesen Grund des Perspectivs betrachte;
Je mehr kann ich, was mir und andern nützt,
Aus der verkleinten Grösse lernen:
Je weiter sich von mir die Linien entfernen,
Und alles sich in ein klein Pünctchen spitzt,
Je mehr werd ich gewahr,
Daß alles sich aus einem Pünctchen zieht.
Hierüber stutzte mein Gemüth,
Und fielen mir die Puncte jener Sternen
Jm tieffen Firmament darüber ein,
Die mir, also zu dencken, Anlaß gaben:
Was müssen das für Perspective seyn,

Die solche grosse Centra haben!
2. Wenn
Gedancken uͤber ein Perſpectiv.
Gedancken uͤber ein Perſpectiv.
Wenn wir durch ſchattigter Alleen
Gerade Laͤnge vorwaͤrts ſehen,
Jſt unſer Auge ſo formirt,
Daß es, was oberwaͤrts, herabwaͤrts fuͤhrt,
Was unterwaͤrts, hinauf: wodurch es denn geſchieht,
Daß alles ſich zuletzt in ein klein Puͤnctchen zieht.
Der Himmel und die Erde ſcheinen
Sich in dem aͤuſſerſten Geſicht-Punct zu vereinen.
Dieß ſah ich juͤngſt aufmerckſam an, und dachte:
Je mehr ich dieſen Grund des Perſpectivs betrachte;
Je mehr kann ich, was mir und andern nuͤtzt,
Aus der verkleinten Groͤſſe lernen:
Je weiter ſich von mir die Linien entfernen,
Und alles ſich in ein klein Puͤnctchen ſpitzt,
Je mehr werd ich gewahr,
Daß alles ſich aus einem Puͤnctchen zieht.
Hieruͤber ſtutzte mein Gemuͤth,
Und fielen mir die Puncte jener Sternen
Jm tieffen Firmament daruͤber ein,
Die mir, alſo zu dencken, Anlaß gaben:
Was muͤſſen das fuͤr Perſpective ſeyn,

Die ſolche groſſe Centra haben!
2. Wenn
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[287/0319] Gedancken uͤber ein Perſpectiv. Gedancken uͤber ein Perſpectiv. Wenn wir durch ſchattigter Alleen Gerade Laͤnge vorwaͤrts ſehen, Jſt unſer Auge ſo formirt, Daß es, was oberwaͤrts, herabwaͤrts fuͤhrt, Was unterwaͤrts, hinauf: wodurch es denn geſchieht, Daß alles ſich zuletzt in ein klein Puͤnctchen zieht. Der Himmel und die Erde ſcheinen Sich in dem aͤuſſerſten Geſicht-Punct zu vereinen. Dieß ſah ich juͤngſt aufmerckſam an, und dachte: Je mehr ich dieſen Grund des Perſpectivs betrachte; Je mehr kann ich, was mir und andern nuͤtzt, Aus der verkleinten Groͤſſe lernen: Je weiter ſich von mir die Linien entfernen, Und alles ſich in ein klein Puͤnctchen ſpitzt, Je mehr werd ich gewahr, Daß alles ſich aus einem Puͤnctchen zieht. Hieruͤber ſtutzte mein Gemuͤth, Und fielen mir die Puncte jener Sternen Jm tieffen Firmament daruͤber ein, Die mir, alſo zu dencken, Anlaß gaben: Was muͤſſen das fuͤr Perſpective ſeyn, Die ſolche groſſe Centra haben! 2. Wenn

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/319>, abgerufen am 30.04.2024.