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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 53. Edictus Langobardorum.
mit Rat und Zustimmung der Grossen und des Volkes zustande ge-
kommen war, liess er ihn gemäss langobardischer Rechtssitte durch
den Akt des "gairethinx" bekräftigen 2.

Rotharis Edikt ist mit Recht als die hervorragendste legislative
Schöpfung aus der Zeit der Volksrechte bezeichnet worden. Ein
Werk aus einem Gusse ist das Edikt frei von dem kompilatorischen
Charakter der meisten Volksrechte. Die Rechtssätze sind knapp und
scharf formuliert. Der Stoff ist nach bestimmtem Plane verteilt 3. In
dem Texte des Ediktes, der im Vulgarlatein seiner Zeit geschrieben
ist, finden sich zahlreiche technische Ausdrücke, wie sie der Rechts-
sprache der Langobarden eigentümlich waren. Die meisten sind nach-
weisbar deutsch und zwar hochdeutsch 4, andere trotzen bislang jeder
sprachlichen Erklärung 5. Vereinzelte Anklänge an die Lex Wisi-
gothorum 6 scheinen eine freie Benutzung der Gesetze Eurichs voraus-
zusetzen. Dass den Verfassern des Edikts die römischen Rechtsquellen
nicht unbekannt waren, zeigt die schon erwähnte Benutzung der No-
vellen Justinians, die ihnen bereits in der als Authenticum bekannten
Sammlung vorgelegen haben. Um so mehr muss es -- namentlich
im Verhältnis zur Gesetzgebung der Ostgoten, der Westgoten und der
Burgunder -- betont werden, dass der Edictus in seinen Rechtssätzen
dem römischen Rechte gegenüber eine weitgehende Selbständigkeit
bewahrt hat. Fehlt es zwar nicht an Wendungen der römischen
Rechtsterminologie, so ist doch die Zahl der dem römischen Rechte
entlehnten Rechtssätze eine verschwindende. Mit Sicherheit können

2 S. oben S 131. Pappenheim, Launegild u. Garethinx, in Gierkes Unter-
suchungen XIV 28 und Schröder, Z2 f. RG VII 59.
3 Der erste Teil c. 1--152 behandelt die Verbrechen gegen König und Staat
und die an der Person begangenen Unthaten, darunter in c. 45--128 die Wund-
bussen und zwar in drei gesonderten Abschnitten die Verwundungen von Freien,
von Hörigen und Ministerialen und von servi rusticani. Der zweite Teil (c. 153 bis
226) ist dem Erbrechte, dem Familienrechte und der Freilassung gewidmet. Die
Kapitel 227--368, welche Sachen- und Schuldrecht, Verbrechen gegen das Ver-
mögen und beweisrechtliche Grundsätze betreffen, lassen sich als ein dritter Teil
zusammenfassen. Von da ab folgt eine Nachlese vereinzelter Vorschriften, von
welchen eine (c. 387) erst nach Vollendung des Edikts zwischen die Schlusskapitel
desselben eingeschoben wurde, die sich als Epilog des ganzen Werkes darstellen.
4 Bluhme, Die gens Langobardorum, 2. Heft 1874. C. Meyer, Sprache
und Sprachdenkmäler der Langobarden, 1877, ein Werk, das hinsichtlich der
Quellen reiche Nachlese übrig lässt.
5 S. oben S 55.
6 S. oben S 300 f. Anm 44, S 339 Anm 24. Auf diese Verwandtschaft hat
mich Herr Dr. Karl Zeumer aufmerksam gemacht.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 24

§ 53. Edictus Langobardorum.
mit Rat und Zustimmung der Groſsen und des Volkes zustande ge-
kommen war, lieſs er ihn gemäſs langobardischer Rechtssitte durch
den Akt des „gairethinx“ bekräftigen 2.

Rotharis Edikt ist mit Recht als die hervorragendste legislative
Schöpfung aus der Zeit der Volksrechte bezeichnet worden. Ein
Werk aus einem Gusse ist das Edikt frei von dem kompilatorischen
Charakter der meisten Volksrechte. Die Rechtssätze sind knapp und
scharf formuliert. Der Stoff ist nach bestimmtem Plane verteilt 3. In
dem Texte des Ediktes, der im Vulgarlatein seiner Zeit geschrieben
ist, finden sich zahlreiche technische Ausdrücke, wie sie der Rechts-
sprache der Langobarden eigentümlich waren. Die meisten sind nach-
weisbar deutsch und zwar hochdeutsch 4, andere trotzen bislang jeder
sprachlichen Erklärung 5. Vereinzelte Anklänge an die Lex Wisi-
gothorum 6 scheinen eine freie Benutzung der Gesetze Eurichs voraus-
zusetzen. Daſs den Verfassern des Edikts die römischen Rechtsquellen
nicht unbekannt waren, zeigt die schon erwähnte Benutzung der No-
vellen Justinians, die ihnen bereits in der als Authenticum bekannten
Sammlung vorgelegen haben. Um so mehr muſs es — namentlich
im Verhältnis zur Gesetzgebung der Ostgoten, der Westgoten und der
Burgunder — betont werden, daſs der Edictus in seinen Rechtssätzen
dem römischen Rechte gegenüber eine weitgehende Selbständigkeit
bewahrt hat. Fehlt es zwar nicht an Wendungen der römischen
Rechtsterminologie, so ist doch die Zahl der dem römischen Rechte
entlehnten Rechtssätze eine verschwindende. Mit Sicherheit können

2 S. oben S 131. Pappenheim, Launegild u. Garethinx, in Gierkes Unter-
suchungen XIV 28 und Schröder, Z2 f. RG VII 59.
3 Der erste Teil c. 1—152 behandelt die Verbrechen gegen König und Staat
und die an der Person begangenen Unthaten, darunter in c. 45—128 die Wund-
buſsen und zwar in drei gesonderten Abschnitten die Verwundungen von Freien,
von Hörigen und Ministerialen und von servi rusticani. Der zweite Teil (c. 153 bis
226) ist dem Erbrechte, dem Familienrechte und der Freilassung gewidmet. Die
Kapitel 227—368, welche Sachen- und Schuldrecht, Verbrechen gegen das Ver-
mögen und beweisrechtliche Grundsätze betreffen, lassen sich als ein dritter Teil
zusammenfassen. Von da ab folgt eine Nachlese vereinzelter Vorschriften, von
welchen eine (c. 387) erst nach Vollendung des Edikts zwischen die Schluſskapitel
desselben eingeschoben wurde, die sich als Epilog des ganzen Werkes darstellen.
4 Bluhme, Die gens Langobardorum, 2. Heft 1874. C. Meyer, Sprache
und Sprachdenkmäler der Langobarden, 1877, ein Werk, das hinsichtlich der
Quellen reiche Nachlese übrig läſst.
5 S. oben S 55.
6 S. oben S 300 f. Anm 44, S 339 Anm 24. Auf diese Verwandtschaft hat
mich Herr Dr. Karl Zeumer aufmerksam gemacht.
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 24
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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/387>, abgerufen am 30.04.2024.