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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 108. Das Beweisverfahren.
geführt wurde, um Meineide zu verhüten 76. Bei zweiseitigen Ordalien
schwuren beide Teile. Was das einseitige Ordal betrifft, so war ent-
weder dem Beweisvertrage ein vom Gegner des Beweisführers ab-
gelegter Voreid nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorausgegangen 77,
oder es wurde wohl auch ein Voreid unmittelbar vor der Ordalhand-
lung geleistet 78. Der Eid des Beweisführers fiel selbstverständlich
aus, wenn Knechte, für die der Herr nicht schwören wollte, oder freie
Leute, denen das Eidesrecht fehlte, sich durch ein Ordal zu reinigen
hatten.

Die liturgischen Formeln, die uns für die Elementordalien über-
liefert sind, haben alle ein ziemlich gleichartiges Gepräge. Der Vor-
nahme des Ordals ging regelmässig eine kirchliche Messe voraus, bei
welcher der Beweisführer das Abendmahl nahm. Aus der Fülle von
Gebeten und Ceremonien, die bei dem Ordal zur Anwendung kamen,
ragen als rechtsgeschichtlich bedeutsam drei Handlungen des dem
Ordal assistierenden Geistlichen hervor. Erstens: die adiuratio hominis,
durch die der Beweisführer beschworen wird, die Schuld zu ge-
stehen, wenn er sich schuldig wisse. Zweitens: der Exorcismus, welcher
die bösen Geister und die 'Trugnis der Teufel' aus den Elementen
vertreibt, ein Vorgang, der die Ansicht von dem heidnischen Ursprung
der Ordalien unterstützt, da es die nach heidnischer Auffassung in
den Elementen wirksamen, durch das Christentum zu Teufeln de-
gradierten Heidengötter waren, die durch den Exorcismus aus-
getrieben werden mussten. Drittens: die benedictio und coniuratio,
darin bestehend, dass die Elemente, beim Kesselfang der Kessel, ge-
segnet, mit Weihwasser besprengt und mit Weihrauch eingeräuchert
wurden und Gott angerufen ward, durch sie die Schuld oder die
Unschuld an den Tag zu bringen.

Bei der Ordalhandlung ist der Gegner des Beweisführers nicht
nur persönlich gegenwärtig und zwar begleitet von Genossen, deren
Zahl manche Rechte beschränken 79, sondern er hat nach älterem Rechte
wenigstens bei den Feuerordalien das Ordal vorzubereiten. So ist es

76 Zeumer, Formulae S. 619: inventum est et institutum, ut nulli liceat super
sanctum altare manum ponere neque super reliquias vel sanctorum corpora iurare.
S. 622: ne periuri super reliquias sanctorum perdant suas animas in malum con-
sentientes. Vgl. v. Amira, Germania XX 64, Patetta S. 344.
77 Lex Sal. 106, 6. Aethelstan II 23, § 2. Liu. 71. 118. Siehe oben S. 344.
78 Lex Fris. 3, 8. Zeumer, Formulae S. 628: den voreit den wil ich ver-
chisen durch Got, daz er mir deste gnadiger si ze diseme mineme rechte. Su-
nesen 92: forma iuramenti (actoris), quod candentis ferri iudicio antecedit ...
79 Nur zwölf auf Seite des Klägers und des Beklagten nach Aethelstan
II 23, § 2. Sechs oder je drei bei dem salischen Loosordal. Siehe unten Anm. 86 f.

§ 108. Das Beweisverfahren.
geführt wurde, um Meineide zu verhüten 76. Bei zweiseitigen Ordalien
schwuren beide Teile. Was das einseitige Ordal betrifft, so war ent-
weder dem Beweisvertrage ein vom Gegner des Beweisführers ab-
gelegter Voreid nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorausgegangen 77,
oder es wurde wohl auch ein Voreid unmittelbar vor der Ordalhand-
lung geleistet 78. Der Eid des Beweisführers fiel selbstverständlich
aus, wenn Knechte, für die der Herr nicht schwören wollte, oder freie
Leute, denen das Eidesrecht fehlte, sich durch ein Ordal zu reinigen
hatten.

Die liturgischen Formeln, die uns für die Elementordalien über-
liefert sind, haben alle ein ziemlich gleichartiges Gepräge. Der Vor-
nahme des Ordals ging regelmäſsig eine kirchliche Messe voraus, bei
welcher der Beweisführer das Abendmahl nahm. Aus der Fülle von
Gebeten und Ceremonien, die bei dem Ordal zur Anwendung kamen,
ragen als rechtsgeschichtlich bedeutsam drei Handlungen des dem
Ordal assistierenden Geistlichen hervor. Erstens: die adiuratio hominis,
durch die der Beweisführer beschworen wird, die Schuld zu ge-
stehen, wenn er sich schuldig wisse. Zweitens: der Exorcismus, welcher
die bösen Geister und die ‘Trugnis der Teufel’ aus den Elementen
vertreibt, ein Vorgang, der die Ansicht von dem heidnischen Ursprung
der Ordalien unterstützt, da es die nach heidnischer Auffassung in
den Elementen wirksamen, durch das Christentum zu Teufeln de-
gradierten Heidengötter waren, die durch den Exorcismus aus-
getrieben werden muſsten. Drittens: die benedictio und coniuratio,
darin bestehend, daſs die Elemente, beim Kesselfang der Kessel, ge-
segnet, mit Weihwasser besprengt und mit Weihrauch eingeräuchert
wurden und Gott angerufen ward, durch sie die Schuld oder die
Unschuld an den Tag zu bringen.

Bei der Ordalhandlung ist der Gegner des Beweisführers nicht
nur persönlich gegenwärtig und zwar begleitet von Genossen, deren
Zahl manche Rechte beschränken 79, sondern er hat nach älterem Rechte
wenigstens bei den Feuerordalien das Ordal vorzubereiten. So ist es

76 Zeumer, Formulae S. 619: inventum est et institutum, ut nulli liceat super
sanctum altare manum ponere neque super reliquias vel sanctorum corpora iurare.
S. 622: ne periuri super reliquias sanctorum perdant suas animas in malum con-
sentientes. Vgl. v. Amira, Germania XX 64, Patetta S. 344.
77 Lex Sal. 106, 6. Aethelstan II 23, § 2. Liu. 71. 118. Siehe oben S. 344.
78 Lex Fris. 3, 8. Zeumer, Formulae S. 628: den voreit den wil ich ver-
chisen durch Got, daz er mir deste gnadiger si ze diseme mineme rechte. Su-
nesen 92: forma iuramenti (actoris), quod candentis ferri iudicio antecedit …
79 Nur zwölf auf Seite des Klägers und des Beklagten nach Aethelstan
II 23, § 2. Sechs oder je drei bei dem salischen Loosordal. Siehe unten Anm. 86 f.
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[438/0456] § 108. Das Beweisverfahren. geführt wurde, um Meineide zu verhüten 76. Bei zweiseitigen Ordalien schwuren beide Teile. Was das einseitige Ordal betrifft, so war ent- weder dem Beweisvertrage ein vom Gegner des Beweisführers ab- gelegter Voreid nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorausgegangen 77, oder es wurde wohl auch ein Voreid unmittelbar vor der Ordalhand- lung geleistet 78. Der Eid des Beweisführers fiel selbstverständlich aus, wenn Knechte, für die der Herr nicht schwören wollte, oder freie Leute, denen das Eidesrecht fehlte, sich durch ein Ordal zu reinigen hatten. Die liturgischen Formeln, die uns für die Elementordalien über- liefert sind, haben alle ein ziemlich gleichartiges Gepräge. Der Vor- nahme des Ordals ging regelmäſsig eine kirchliche Messe voraus, bei welcher der Beweisführer das Abendmahl nahm. Aus der Fülle von Gebeten und Ceremonien, die bei dem Ordal zur Anwendung kamen, ragen als rechtsgeschichtlich bedeutsam drei Handlungen des dem Ordal assistierenden Geistlichen hervor. Erstens: die adiuratio hominis, durch die der Beweisführer beschworen wird, die Schuld zu ge- stehen, wenn er sich schuldig wisse. Zweitens: der Exorcismus, welcher die bösen Geister und die ‘Trugnis der Teufel’ aus den Elementen vertreibt, ein Vorgang, der die Ansicht von dem heidnischen Ursprung der Ordalien unterstützt, da es die nach heidnischer Auffassung in den Elementen wirksamen, durch das Christentum zu Teufeln de- gradierten Heidengötter waren, die durch den Exorcismus aus- getrieben werden muſsten. Drittens: die benedictio und coniuratio, darin bestehend, daſs die Elemente, beim Kesselfang der Kessel, ge- segnet, mit Weihwasser besprengt und mit Weihrauch eingeräuchert wurden und Gott angerufen ward, durch sie die Schuld oder die Unschuld an den Tag zu bringen. Bei der Ordalhandlung ist der Gegner des Beweisführers nicht nur persönlich gegenwärtig und zwar begleitet von Genossen, deren Zahl manche Rechte beschränken 79, sondern er hat nach älterem Rechte wenigstens bei den Feuerordalien das Ordal vorzubereiten. So ist es 76 Zeumer, Formulae S. 619: inventum est et institutum, ut nulli liceat super sanctum altare manum ponere neque super reliquias vel sanctorum corpora iurare. S. 622: ne periuri super reliquias sanctorum perdant suas animas in malum con- sentientes. Vgl. v. Amira, Germania XX 64, Patetta S. 344. 77 Lex Sal. 106, 6. Aethelstan II 23, § 2. Liu. 71. 118. Siehe oben S. 344. 78 Lex Fris. 3, 8. Zeumer, Formulae S. 628: den voreit den wil ich ver- chisen durch Got, daz er mir deste gnadiger si ze diseme mineme rechte. Su- nesen 92: forma iuramenti (actoris), quod candentis ferri iudicio antecedit … 79 Nur zwölf auf Seite des Klägers und des Beklagten nach Aethelstan II 23, § 2. Sechs oder je drei bei dem salischen Loosordal. Siehe unten Anm. 86 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/456>, abgerufen am 30.04.2024.