Acht ist eine sühnbare Acht. Sie dauert nur so lange, bis der Ächter leistet was Rechtens ist, donec omnia, quae ei legibus inpotatur, con- ponat. Damit ist die Lösung des verwirkten Lebens und die Befriedi- gung des Klägers gemeint. Der Ächter kann sich also nicht etwa da- durch aus der Acht ziehen, dass er sich erbietet, vor Gericht Rede zu stehen, wie er auf die Ladung hin gesollt hätte, oder dass er den Beweis gelobt und antritt, auf welchen das Urteil gelautet hatte, dessen Nichterfüllung ihm die Acht eintrug. Über die Frage, ob das Recht des Ächters, sich aus der Acht herauszuziehen, ein zeitlich unbe- schränktes war, geben die fränkischen Quellen keinen Aufschluss. Immerhin darf es für wahrscheinlich gelten, dass schon in merowin- gischer Zeit eine Frist von Jahr und Tag bestand 12.
Soweit die Acht noch als Folge des Verbrechens eintrat und nicht wegen Contumaz verhängt wurde, blieb die Verhängung auch nach salischem Rechte Sache der Volksgerichte 13. Ebenso das Neh- men des Friedens, das mit der Verurteilung zu Lebens- und Leibes- strafen verbunden war, sofern nicht der König sich in vereinzelten Fällen oder für bestimmte Personenklassen das Strafurteil vorbehalten hatte. Aber abgesehen davon, muss schon in merowingischer Zeit den Volksgerichten die Verhängung einer provisorischen Acht mit ab- geschwächten Wirkungen zugestanden haben. Das Edikt Chilperichs gestattet dem Grafen, sich nach ergebnisloser Auspfändung der Person des säumigen Schuldners zu bemächtigen, der dann dreimal den Ver- wandten zur Auslösung angeboten wird, während der König sich nur die schliessliche Überantwortung der Person des Schuldners in die Gewalt des Verletzten vorbehält. Gegen den flüchtigen Verbrecher, der kein Vermögen hat und sich im Walde birgt, will Chilperich die Friedloslegung erst dann aussprechen, wenn es weder dem Beamten noch den Verwandten (des Verletzten) gelungen ist, ihn dingfest zu machen. Der Zugriff auf die Person setzt aber voraus, dass ihr vor- her der Genuss des vollen Friedens, wie das altdänische Recht sagen würde, die Mannheiligkeit, genommen worden war. Nach alledem kann nur die strenge Ungehorsamsacht, jene, welche die Volksgenossen zur Tötung aufforderte, ausschliessliches Vorrecht des merowingischen Königs gewesen sein.
12 Abgesehen von der Gestaltung der Reichsacht in nachfränkischer Zeit, lässt die Jahresfrist bei der missio in bannum regis darauf zurückschliessen.
13 Erst seit diese Fälle aus dem Rechtsleben verschwunden sind, ist die Ver- hängung der eigentlichen Acht, d. h. die Friedloslegung, die den Ächter der Tötung durch jedermann aus dem Volke preisgiebt, ein Vorrecht des Königs. Vgl. oben I 171 f. Über das Verhältnis der Ungehorsamsacht zum Todesurteil siehe unten § 132 f.
§ 113. Ungehorsamsverfahren, Acht und Vorbann.
Acht ist eine sühnbare Acht. Sie dauert nur so lange, bis der Ächter leistet was Rechtens ist, donec omnia, quae ei legibus inpotatur, con- ponat. Damit ist die Lösung des verwirkten Lebens und die Befriedi- gung des Klägers gemeint. Der Ächter kann sich also nicht etwa da- durch aus der Acht ziehen, daſs er sich erbietet, vor Gericht Rede zu stehen, wie er auf die Ladung hin gesollt hätte, oder daſs er den Beweis gelobt und antritt, auf welchen das Urteil gelautet hatte, dessen Nichterfüllung ihm die Acht eintrug. Über die Frage, ob das Recht des Ächters, sich aus der Acht herauszuziehen, ein zeitlich unbe- schränktes war, geben die fränkischen Quellen keinen Aufschluſs. Immerhin darf es für wahrscheinlich gelten, daſs schon in merowin- gischer Zeit eine Frist von Jahr und Tag bestand 12.
Soweit die Acht noch als Folge des Verbrechens eintrat und nicht wegen Contumaz verhängt wurde, blieb die Verhängung auch nach salischem Rechte Sache der Volksgerichte 13. Ebenso das Neh- men des Friedens, das mit der Verurteilung zu Lebens- und Leibes- strafen verbunden war, sofern nicht der König sich in vereinzelten Fällen oder für bestimmte Personenklassen das Strafurteil vorbehalten hatte. Aber abgesehen davon, muſs schon in merowingischer Zeit den Volksgerichten die Verhängung einer provisorischen Acht mit ab- geschwächten Wirkungen zugestanden haben. Das Edikt Chilperichs gestattet dem Grafen, sich nach ergebnisloser Auspfändung der Person des säumigen Schuldners zu bemächtigen, der dann dreimal den Ver- wandten zur Auslösung angeboten wird, während der König sich nur die schlieſsliche Überantwortung der Person des Schuldners in die Gewalt des Verletzten vorbehält. Gegen den flüchtigen Verbrecher, der kein Vermögen hat und sich im Walde birgt, will Chilperich die Friedloslegung erst dann aussprechen, wenn es weder dem Beamten noch den Verwandten (des Verletzten) gelungen ist, ihn dingfest zu machen. Der Zugriff auf die Person setzt aber voraus, daſs ihr vor- her der Genuſs des vollen Friedens, wie das altdänische Recht sagen würde, die Mannheiligkeit, genommen worden war. Nach alledem kann nur die strenge Ungehorsamsacht, jene, welche die Volksgenossen zur Tötung aufforderte, ausschlieſsliches Vorrecht des merowingischen Königs gewesen sein.
12 Abgesehen von der Gestaltung der Reichsacht in nachfränkischer Zeit, läſst die Jahresfrist bei der missio in bannum regis darauf zurückschlieſsen.
13 Erst seit diese Fälle aus dem Rechtsleben verschwunden sind, ist die Ver- hängung der eigentlichen Acht, d. h. die Friedloslegung, die den Ächter der Tötung durch jedermann aus dem Volke preisgiebt, ein Vorrecht des Königs. Vgl. oben I 171 f. Über das Verhältnis der Ungehorsamsacht zum Todesurteil siehe unten § 132 f.
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Acht ist eine sühnbare Acht. Sie dauert nur so lange, bis der Ächter
leistet was Rechtens ist, donec omnia, quae ei legibus inpotatur, con-
ponat. Damit ist die Lösung des verwirkten Lebens und die Befriedi-
gung des Klägers gemeint. Der Ächter kann sich also nicht etwa da-
durch aus der Acht ziehen, daſs er sich erbietet, vor Gericht Rede
zu stehen, wie er auf die Ladung hin gesollt hätte, oder daſs er den
Beweis gelobt und antritt, auf welchen das Urteil gelautet hatte, dessen
Nichterfüllung ihm die Acht eintrug. Über die Frage, ob das Recht
des Ächters, sich aus der Acht herauszuziehen, ein zeitlich unbe-
schränktes war, geben die fränkischen Quellen keinen Aufschluſs.
Immerhin darf es für wahrscheinlich gelten, daſs schon in merowin-
gischer Zeit eine Frist von Jahr und Tag bestand 12.
Soweit die Acht noch als Folge des Verbrechens eintrat und
nicht wegen Contumaz verhängt wurde, blieb die Verhängung auch
nach salischem Rechte Sache der Volksgerichte 13. Ebenso das Neh-
men des Friedens, das mit der Verurteilung zu Lebens- und Leibes-
strafen verbunden war, sofern nicht der König sich in vereinzelten
Fällen oder für bestimmte Personenklassen das Strafurteil vorbehalten
hatte. Aber abgesehen davon, muſs schon in merowingischer Zeit den
Volksgerichten die Verhängung einer provisorischen Acht mit ab-
geschwächten Wirkungen zugestanden haben. Das Edikt Chilperichs
gestattet dem Grafen, sich nach ergebnisloser Auspfändung der Person
des säumigen Schuldners zu bemächtigen, der dann dreimal den Ver-
wandten zur Auslösung angeboten wird, während der König sich nur
die schlieſsliche Überantwortung der Person des Schuldners in die
Gewalt des Verletzten vorbehält. Gegen den flüchtigen Verbrecher,
der kein Vermögen hat und sich im Walde birgt, will Chilperich die
Friedloslegung erst dann aussprechen, wenn es weder dem Beamten
noch den Verwandten (des Verletzten) gelungen ist, ihn dingfest zu
machen. Der Zugriff auf die Person setzt aber voraus, daſs ihr vor-
her der Genuſs des vollen Friedens, wie das altdänische Recht sagen
würde, die Mannheiligkeit, genommen worden war. Nach alledem kann
nur die strenge Ungehorsamsacht, jene, welche die Volksgenossen zur
Tötung aufforderte, ausschlieſsliches Vorrecht des merowingischen
Königs gewesen sein.
12 Abgesehen von der Gestaltung der Reichsacht in nachfränkischer Zeit, läſst
die Jahresfrist bei der missio in bannum regis darauf zurückschlieſsen.
13 Erst seit diese Fälle aus dem Rechtsleben verschwunden sind, ist die Ver-
hängung der eigentlichen Acht, d. h. die Friedloslegung, die den Ächter der Tötung
durch jedermann aus dem Volke preisgiebt, ein Vorrecht des Königs. Vgl. oben I 171 f.
Über das Verhältnis der Ungehorsamsacht zum Todesurteil siehe unten § 132 f.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/482>, abgerufen am 17.06.2024.
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