Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Lombardischer Kirchenbau.
entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des
Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg
bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen-
nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus-
dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und
seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge-
führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: den
Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern
, ungleich consequen-
ter und edler. -- In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen
originell: im Fassadenbau. Die romanische Architektur des Nor-
dens hatte von frühe an die Thürme, zu zweien, zu vieren, als
wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem
Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun-
derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern
Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache
auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere
Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung
des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir-
ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus-
druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben-
schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als
ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin-
gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe
gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie-
der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der
Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne
allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist
oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg
einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle
von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven
zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich
eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des
Nordens. -- Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich
eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt.

Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige
Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die

Lombardischer Kirchenbau.
entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des
Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg
bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen-
nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus-
dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und
seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge-
führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: den
Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern
, ungleich consequen-
ter und edler. — In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen
originell: im Fassadenbau. Die romanische Architektur des Nor-
dens hatte von frühe an die Thürme, zu zweien, zu vieren, als
wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem
Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun-
derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern
Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache
auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere
Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung
des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir-
ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus-
druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben-
schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als
ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin-
gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe
gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie-
der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der
Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne
allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist
oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg
einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle
von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven
zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich
eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des
Nordens. — Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich
eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt.

Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige
Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="119"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Lombardischer Kirchenbau.</hi></fw><lb/>
entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des<lb/>
Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg<lb/>
bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen-<lb/>
nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus-<lb/>
dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und<lb/>
seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge-<lb/>
führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: <hi rendition="#g">den<lb/>
Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern</hi>, ungleich consequen-<lb/>
ter und edler. &#x2014; In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen<lb/>
originell: <hi rendition="#g">im Fassadenbau</hi>. Die romanische Architektur des Nor-<lb/>
dens hatte von frühe an die <hi rendition="#g">Thürme</hi>, zu zweien, zu vieren, als<lb/>
wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem<lb/>
Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun-<lb/>
derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern<lb/>
Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache<lb/>
auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere<lb/>
Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung<lb/>
des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir-<lb/>
ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus-<lb/>
druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben-<lb/>
schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als<lb/>
ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin-<lb/>
gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe<lb/>
gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie-<lb/>
der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der<lb/>
Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne<lb/>
allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist<lb/>
oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg<lb/>
einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle<lb/>
von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven<lb/>
zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich<lb/>
eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des<lb/>
Nordens. &#x2014; Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich<lb/>
eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt.</p><lb/>
        <p>Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige<lb/>
Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0141] Lombardischer Kirchenbau. entwickelt sich, nicht ohne nordische Einwirkung, derjenige Styl des Kirchenbaues, welcher von Manchen als der lombardische schlechtweg bezeichnet wird. Mit grossem Unrecht würde man aber diese Benen- nung (wie schon geschehen) auf den romanischen Styl überhaupt aus- dehnen; der Norden hat hier gewiss eher gegeben als empfangen, und seine Bauten sind viel strenger in einem bestimmten Sinne durchge- führt als die lombardischen; sie geben gerade das Wesentliche: den Gewölbebau mit gegliederten Pfeilern, ungleich consequen- ter und edler. — In Einer Beziehung aber bleiben die italienischen originell: im Fassadenbau. Die romanische Architektur des Nor- dens hatte von frühe an die Thürme, zu zweien, zu vieren, als wesentliche Bauglieder an den Ecken der Kirche angebracht; seit dem Vorgang normannischer Baumeister nach der Mitte des XI. Jahrhun- derts wurden die Thürme sogar zum Hauptmotiv aller bedeutendern Kirchenfassaden. In Italien dagegen blieb der Thurm als Nebensache auf der Seite stehen, und die Fassade war auf irgend eine andere Weise zu decoriren. Wir sahen, wie die Toscaner durch Anwendung des Marmors, durch mehrere Stockwerke von Säulenstellungen zu wir- ken wussten; ihre Fassade ist immer der wenigstens annähernde Aus- druck der Kirche, d. h. eines hohen Mittelschiffes und niedrigerer Neben- schiffe. In Oberitalien dagegen wird die Frontwand nur allzu oft als ein Gegenstand beliebiger Bildung und Decoration vor die Kirche hin- gestellt; ohne Absatz steigt sie empor, als wären alle drei Schiffe gleich hoch; Galerien laufen querüber und am Dachrand auf und nie- der; als Strebepfeiler dienen vorgesetzte Säulen, deren Capitäle in der Regel nichts tragen; Bogenwerk, Wandsäulchen, Sculpturen oft ohne allen Sinn füllen den Raum wohl oder übel aus. (Der Portalbau ist oft von grosser Pracht, seine Gliederung theils nordisch mit schräg einwärts tretenden Säulenreihen, theils südlich mit vorgesetzter Halle von zwei Säulen, in der Regel auf Löwen, theils aus beiden Motiven zusammengesetzt.) Auch an den übrigen Aussenseiten macht sich eine willkürlichere Verzierung geltend als an den bessern Kirchen des Nordens. — Über der Kreuzung der beiden Arme wird wo möglich eine achteckige Kuppel angebracht, mit Galerien ringsum, flach gedeckt. Mehr als im Norden und in Toscana ist hier eine unbarmherzige Modernisirung über das Innere der Kirchen ergangen. Während die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/141
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/141>, abgerufen am 27.04.2024.