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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Mäuler. Ueber unsre Literatur ein andermal. Für heute noch die Nachricht,
daß das Odeonthcater auf sein Privilegium, in Frankreich so langweilig sein zu
dürfen, als die Verhandlungen über die Flotte in Deutschland, verzichtet hat.




Bücherschau.
Svmnolismus und Psycheismus, oder die Erscheinungen und Gesetze des
LebensmagnetismnS oder MesmcrismuS. Nach eigenen Beobachtungen und Versuchen
von Joseph Haddock. Nach dem Englischen von Kr, Merkel. Leipzig, Adel. --

Das Buch unterscheidet sich von vielen ähnlichen, die denselben Gegenstand behandeln,
dadurch, daß es einen wissenschaftlichen Anstrich hat. und nicht blos sogenannte Er¬
fahrungen znsammenhäuft, sondern sich wenigstens die Mühe giebt, sie an die bekannte
Natur der Dinge anzuknüpfen. Daß es krankhafte Zustände des Menschenlebens giebt,
in denen Kräfte, die sonst latent bleiben, zur Erscheinung kommen, ist an sich nicht
unmöglich, und wird sogar durch verschiedene, aller Welt bekannte medicinische Erfah¬
rungen bestätigt. Allein die Beobachtung solcher anomalen Erscheinungen, die schon
darum eine ganz besondere Vorsicht erfordert, weil sie vom Augenblick abhängig sind,
und daher nicht immer vor den Augen eines competenten Publicums vor sich gehe"
können, ist auch darum so bedenklich, weil sie unvermeidlich in der Seele des Kranke",
wie in der Seele des Arztes Voraussetzungen erzeugt, durch welche die Klarheit u"d
Unbefangenheit der Beobachtung getrübt wird. Solcher Voraussetzungen hat sich auch
der Verfasser dieses Buchs nicht erwehren können, und gleich in der Einleitung werde"
wir trotz der Ueberzeugung, daß wir es mit einem wissenschaftlich gebildeten Mann z"
thun haben, durch einzelne leitende Gesichtspunkte der Beobachtung bedenklich gemacht-
Dieses Bedeuten wird keineswegs geschwächt, wenn wir nachher auf die Thatsache"
übergehen. Im Anfang scheinen sich diese wenigstens noch in einigen Schranken Z"
halten, obgleich auch hier z. B. die Einwirkung der Phantasie des Arztes ans
Phantasie der Kranken bisweilen schon allen Glauben übersteigt. So überreicht er ihr
z. B. ein leeres Glas mit der Angabe, eS sei heißer Grog darin, und sie glaubt auch
wirklich sich den Mund daran zu verbrennen; dann verwandelt er den Grog in kaltes
Wasser, und sie hat die Vorstellung von Zahnschmerz und Erkältung. So weit ist ^
noch sehr plausibel. Aber nnn sängt er an, die Verwandlungen fortzusetzen, ohne daß
er ihr darüber eine Mittheilung macht. Wir lassen ihn selber sprechen. "Als ich el"'
mal von einer zahlreichen Versammlung aufgefordert wurde, ein recht besonderes
tränk zu reichen, präsentirte ich ein leeres Glas mit dem stillschweigenden Willen, da?
es für Ricinusöl gehalten werden sollte. Kaum hatte die Person das Glas an es"
Lippen gesetzt, als sie dasselbe wegwarf und in tausend Stücke zerbrach, zur nicht g^
ringen Gefahr der Umstehenden, und zugleich mit Entrüstung ausrief: "Pfui, ^
schmierig!" Nach dieser Einleitung können freilich die später berichteten wunderbare"
Begebenheiten nicht weiter befremden, ' und wenn man noch etwas Vertrauen deha -
so wird auch dieses aufgehoben durch die fortwährende" Ausfälle auf die stepM
Philosophie des Zeitalters, die in der Regel auf den senderbarsten Mißverständnisse"


Mäuler. Ueber unsre Literatur ein andermal. Für heute noch die Nachricht,
daß das Odeonthcater auf sein Privilegium, in Frankreich so langweilig sein zu
dürfen, als die Verhandlungen über die Flotte in Deutschland, verzichtet hat.




Bücherschau.
Svmnolismus und Psycheismus, oder die Erscheinungen und Gesetze des
LebensmagnetismnS oder MesmcrismuS. Nach eigenen Beobachtungen und Versuchen
von Joseph Haddock. Nach dem Englischen von Kr, Merkel. Leipzig, Adel. —

Das Buch unterscheidet sich von vielen ähnlichen, die denselben Gegenstand behandeln,
dadurch, daß es einen wissenschaftlichen Anstrich hat. und nicht blos sogenannte Er¬
fahrungen znsammenhäuft, sondern sich wenigstens die Mühe giebt, sie an die bekannte
Natur der Dinge anzuknüpfen. Daß es krankhafte Zustände des Menschenlebens giebt,
in denen Kräfte, die sonst latent bleiben, zur Erscheinung kommen, ist an sich nicht
unmöglich, und wird sogar durch verschiedene, aller Welt bekannte medicinische Erfah¬
rungen bestätigt. Allein die Beobachtung solcher anomalen Erscheinungen, die schon
darum eine ganz besondere Vorsicht erfordert, weil sie vom Augenblick abhängig sind,
und daher nicht immer vor den Augen eines competenten Publicums vor sich gehe»
können, ist auch darum so bedenklich, weil sie unvermeidlich in der Seele des Kranke»,
wie in der Seele des Arztes Voraussetzungen erzeugt, durch welche die Klarheit u»d
Unbefangenheit der Beobachtung getrübt wird. Solcher Voraussetzungen hat sich auch
der Verfasser dieses Buchs nicht erwehren können, und gleich in der Einleitung werde»
wir trotz der Ueberzeugung, daß wir es mit einem wissenschaftlich gebildeten Mann z»
thun haben, durch einzelne leitende Gesichtspunkte der Beobachtung bedenklich gemacht-
Dieses Bedeuten wird keineswegs geschwächt, wenn wir nachher auf die Thatsache»
übergehen. Im Anfang scheinen sich diese wenigstens noch in einigen Schranken Z»
halten, obgleich auch hier z. B. die Einwirkung der Phantasie des Arztes ans
Phantasie der Kranken bisweilen schon allen Glauben übersteigt. So überreicht er ihr
z. B. ein leeres Glas mit der Angabe, eS sei heißer Grog darin, und sie glaubt auch
wirklich sich den Mund daran zu verbrennen; dann verwandelt er den Grog in kaltes
Wasser, und sie hat die Vorstellung von Zahnschmerz und Erkältung. So weit ist ^
noch sehr plausibel. Aber nnn sängt er an, die Verwandlungen fortzusetzen, ohne daß
er ihr darüber eine Mittheilung macht. Wir lassen ihn selber sprechen. „Als ich el»'
mal von einer zahlreichen Versammlung aufgefordert wurde, ein recht besonderes
tränk zu reichen, präsentirte ich ein leeres Glas mit dem stillschweigenden Willen, da?
es für Ricinusöl gehalten werden sollte. Kaum hatte die Person das Glas an es"
Lippen gesetzt, als sie dasselbe wegwarf und in tausend Stücke zerbrach, zur nicht g^
ringen Gefahr der Umstehenden, und zugleich mit Entrüstung ausrief: „Pfui, ^
schmierig!" Nach dieser Einleitung können freilich die später berichteten wunderbare»
Begebenheiten nicht weiter befremden, ' und wenn man noch etwas Vertrauen deha -
so wird auch dieses aufgehoben durch die fortwährende» Ausfälle auf die stepM
Philosophie des Zeitalters, die in der Regel auf den senderbarsten Mißverständnisse"


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[0322] Mäuler. Ueber unsre Literatur ein andermal. Für heute noch die Nachricht, daß das Odeonthcater auf sein Privilegium, in Frankreich so langweilig sein zu dürfen, als die Verhandlungen über die Flotte in Deutschland, verzichtet hat. Bücherschau. Svmnolismus und Psycheismus, oder die Erscheinungen und Gesetze des LebensmagnetismnS oder MesmcrismuS. Nach eigenen Beobachtungen und Versuchen von Joseph Haddock. Nach dem Englischen von Kr, Merkel. Leipzig, Adel. — Das Buch unterscheidet sich von vielen ähnlichen, die denselben Gegenstand behandeln, dadurch, daß es einen wissenschaftlichen Anstrich hat. und nicht blos sogenannte Er¬ fahrungen znsammenhäuft, sondern sich wenigstens die Mühe giebt, sie an die bekannte Natur der Dinge anzuknüpfen. Daß es krankhafte Zustände des Menschenlebens giebt, in denen Kräfte, die sonst latent bleiben, zur Erscheinung kommen, ist an sich nicht unmöglich, und wird sogar durch verschiedene, aller Welt bekannte medicinische Erfah¬ rungen bestätigt. Allein die Beobachtung solcher anomalen Erscheinungen, die schon darum eine ganz besondere Vorsicht erfordert, weil sie vom Augenblick abhängig sind, und daher nicht immer vor den Augen eines competenten Publicums vor sich gehe» können, ist auch darum so bedenklich, weil sie unvermeidlich in der Seele des Kranke», wie in der Seele des Arztes Voraussetzungen erzeugt, durch welche die Klarheit u»d Unbefangenheit der Beobachtung getrübt wird. Solcher Voraussetzungen hat sich auch der Verfasser dieses Buchs nicht erwehren können, und gleich in der Einleitung werde» wir trotz der Ueberzeugung, daß wir es mit einem wissenschaftlich gebildeten Mann z» thun haben, durch einzelne leitende Gesichtspunkte der Beobachtung bedenklich gemacht- Dieses Bedeuten wird keineswegs geschwächt, wenn wir nachher auf die Thatsache» übergehen. Im Anfang scheinen sich diese wenigstens noch in einigen Schranken Z» halten, obgleich auch hier z. B. die Einwirkung der Phantasie des Arztes ans Phantasie der Kranken bisweilen schon allen Glauben übersteigt. So überreicht er ihr z. B. ein leeres Glas mit der Angabe, eS sei heißer Grog darin, und sie glaubt auch wirklich sich den Mund daran zu verbrennen; dann verwandelt er den Grog in kaltes Wasser, und sie hat die Vorstellung von Zahnschmerz und Erkältung. So weit ist ^ noch sehr plausibel. Aber nnn sängt er an, die Verwandlungen fortzusetzen, ohne daß er ihr darüber eine Mittheilung macht. Wir lassen ihn selber sprechen. „Als ich el»' mal von einer zahlreichen Versammlung aufgefordert wurde, ein recht besonderes tränk zu reichen, präsentirte ich ein leeres Glas mit dem stillschweigenden Willen, da? es für Ricinusöl gehalten werden sollte. Kaum hatte die Person das Glas an es" Lippen gesetzt, als sie dasselbe wegwarf und in tausend Stücke zerbrach, zur nicht g^ ringen Gefahr der Umstehenden, und zugleich mit Entrüstung ausrief: „Pfui, ^ schmierig!" Nach dieser Einleitung können freilich die später berichteten wunderbare» Begebenheiten nicht weiter befremden, ' und wenn man noch etwas Vertrauen deha - so wird auch dieses aufgehoben durch die fortwährende» Ausfälle auf die stepM Philosophie des Zeitalters, die in der Regel auf den senderbarsten Mißverständnisse"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/322>, abgerufen am 30.04.2024.