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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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unterliegt. Ein Hessen, ein Hannover, das wegen feindseliger Haltung von
Preußen occupirt werden müßte, würde niemals wieder herausgegeben. Der
Krieg wirft die morsche Bundesverfassung über den Haufen und schafft, was
die Annexionisten wünschen: erobertes Land.

Wie anders, wenn man sich klug zurückhält! In diesen Tagen ist ein ver¬
trauliches Memoire der preußischen an die andern deutschen Regierungen er"
gangen, die Bundesreform betreffend. Es heißt darin: "Es ist nicht die Masse
der unberechtigten Forderungen, welche den revolutionären Bewegungen Kraft
verleiht, sondern gewöhnlich ist es der geringe Antheil der berechtigten Forder¬
ungen, welcher die wirksamsten Vorwände zur Revolution bietet und den Be¬
wegungen'nachhaltige und gefährliche Kraft gewährt. Unbestreitbar ist eine An¬
zahl berechtigter Bedürfnisse des deutschen Volkes nicht in dem Maße sicher ge¬
stellt, wie es jede große Nation beansprucht." Es werden dann die maßvollen
preußischen Reformvorschläge empfohlen, da sie eine Befriedigung der dringendsten
Volkswünsche in geordnetem Wege ermöglichen. Was sie der Nation annehmbar
und den meisten Regierenden verhaßt macht, ist freilich die Schaffung eines
deutschen Parlaments, unter dessen Mitwirkung ihre weitere Ausbildung der
Zeit und vernunftgemäßer Entwicklung überlassen werden kann. Aber man
beantworte sich doch selbst die Frage, wie lange man noch deS so häufig schon
l'n Stunden der Noth verheißenen Parlaments thatsächlich wird entrathen
können. Und man frage sich, ob man gegen die vermeintliche Ländergier
Preußens immer so schützende Garantieen haben wird, wie die preußische Re¬
gierung sie jetzt bietet, wenn sie in jenem Memoire fortfährt: "Was Se. Majestät
den König persönlich anbetrifft, so liegt Allerhöchstdemselben nichts ferner, als
Seine Bundesgenossen, die deutschen Fürsten, beeinträchtigen oder unterdrücken
zu wollen. Allerhöchstderselbe will mit ihnen als Einer Jhres-Gleichen gemein¬
sam für die gemeinsame Sicherheit nach innen und außen sorgen, aber besser
als bisher. Wer diesen ernsten Willen und das längst auf jenes Ziel ge¬
richtete Bestreben Sr. Majestät als Ergebniß persönlichen Ehrgeizes schildert,
der entstellt die Thatsachen, welche von Allerhöchstdessen Handlungs- und Sinnes¬
weise offenes Zeugniß ablegen. Se. Majestät der König sind stets weit davon
entfernt gewesen, einen Ehrgeiz zu hegen, der auf Kosten der Nachbarn und
Bundesgenossen Befriedigung gesucht hätte, wenn Allerhöchstdieselben auch nach
Mannigfachen Erfahrungen darauf verzichten müssen, die Verläumdungen zum
Schweigen zu bringen. Se. Majestät beabsichtigen auch jetzt mit der Bundes-
reform nicht, den deutschen Fürsten Opfer anzusinnen, welche Preußen nicht
ebenso im Interesse der Gesammtheit zu bringen bereit wäre." Und nun ver-
gegenwärtige man sich, diesen Garantien gegenüber, an denen zu deuteln nicht
erlaubt ist, was im Falle der Verwerfung und Abkehr von Preußen zu er-
Warten steht. Der Schluß des Memoire lautet nämlich: "Erst wenn Preußen


unterliegt. Ein Hessen, ein Hannover, das wegen feindseliger Haltung von
Preußen occupirt werden müßte, würde niemals wieder herausgegeben. Der
Krieg wirft die morsche Bundesverfassung über den Haufen und schafft, was
die Annexionisten wünschen: erobertes Land.

Wie anders, wenn man sich klug zurückhält! In diesen Tagen ist ein ver¬
trauliches Memoire der preußischen an die andern deutschen Regierungen er«
gangen, die Bundesreform betreffend. Es heißt darin: „Es ist nicht die Masse
der unberechtigten Forderungen, welche den revolutionären Bewegungen Kraft
verleiht, sondern gewöhnlich ist es der geringe Antheil der berechtigten Forder¬
ungen, welcher die wirksamsten Vorwände zur Revolution bietet und den Be¬
wegungen'nachhaltige und gefährliche Kraft gewährt. Unbestreitbar ist eine An¬
zahl berechtigter Bedürfnisse des deutschen Volkes nicht in dem Maße sicher ge¬
stellt, wie es jede große Nation beansprucht." Es werden dann die maßvollen
preußischen Reformvorschläge empfohlen, da sie eine Befriedigung der dringendsten
Volkswünsche in geordnetem Wege ermöglichen. Was sie der Nation annehmbar
und den meisten Regierenden verhaßt macht, ist freilich die Schaffung eines
deutschen Parlaments, unter dessen Mitwirkung ihre weitere Ausbildung der
Zeit und vernunftgemäßer Entwicklung überlassen werden kann. Aber man
beantworte sich doch selbst die Frage, wie lange man noch deS so häufig schon
l'n Stunden der Noth verheißenen Parlaments thatsächlich wird entrathen
können. Und man frage sich, ob man gegen die vermeintliche Ländergier
Preußens immer so schützende Garantieen haben wird, wie die preußische Re¬
gierung sie jetzt bietet, wenn sie in jenem Memoire fortfährt: „Was Se. Majestät
den König persönlich anbetrifft, so liegt Allerhöchstdemselben nichts ferner, als
Seine Bundesgenossen, die deutschen Fürsten, beeinträchtigen oder unterdrücken
zu wollen. Allerhöchstderselbe will mit ihnen als Einer Jhres-Gleichen gemein¬
sam für die gemeinsame Sicherheit nach innen und außen sorgen, aber besser
als bisher. Wer diesen ernsten Willen und das längst auf jenes Ziel ge¬
richtete Bestreben Sr. Majestät als Ergebniß persönlichen Ehrgeizes schildert,
der entstellt die Thatsachen, welche von Allerhöchstdessen Handlungs- und Sinnes¬
weise offenes Zeugniß ablegen. Se. Majestät der König sind stets weit davon
entfernt gewesen, einen Ehrgeiz zu hegen, der auf Kosten der Nachbarn und
Bundesgenossen Befriedigung gesucht hätte, wenn Allerhöchstdieselben auch nach
Mannigfachen Erfahrungen darauf verzichten müssen, die Verläumdungen zum
Schweigen zu bringen. Se. Majestät beabsichtigen auch jetzt mit der Bundes-
reform nicht, den deutschen Fürsten Opfer anzusinnen, welche Preußen nicht
ebenso im Interesse der Gesammtheit zu bringen bereit wäre." Und nun ver-
gegenwärtige man sich, diesen Garantien gegenüber, an denen zu deuteln nicht
erlaubt ist, was im Falle der Verwerfung und Abkehr von Preußen zu er-
Warten steht. Der Schluß des Memoire lautet nämlich: „Erst wenn Preußen


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[0437] unterliegt. Ein Hessen, ein Hannover, das wegen feindseliger Haltung von Preußen occupirt werden müßte, würde niemals wieder herausgegeben. Der Krieg wirft die morsche Bundesverfassung über den Haufen und schafft, was die Annexionisten wünschen: erobertes Land. Wie anders, wenn man sich klug zurückhält! In diesen Tagen ist ein ver¬ trauliches Memoire der preußischen an die andern deutschen Regierungen er« gangen, die Bundesreform betreffend. Es heißt darin: „Es ist nicht die Masse der unberechtigten Forderungen, welche den revolutionären Bewegungen Kraft verleiht, sondern gewöhnlich ist es der geringe Antheil der berechtigten Forder¬ ungen, welcher die wirksamsten Vorwände zur Revolution bietet und den Be¬ wegungen'nachhaltige und gefährliche Kraft gewährt. Unbestreitbar ist eine An¬ zahl berechtigter Bedürfnisse des deutschen Volkes nicht in dem Maße sicher ge¬ stellt, wie es jede große Nation beansprucht." Es werden dann die maßvollen preußischen Reformvorschläge empfohlen, da sie eine Befriedigung der dringendsten Volkswünsche in geordnetem Wege ermöglichen. Was sie der Nation annehmbar und den meisten Regierenden verhaßt macht, ist freilich die Schaffung eines deutschen Parlaments, unter dessen Mitwirkung ihre weitere Ausbildung der Zeit und vernunftgemäßer Entwicklung überlassen werden kann. Aber man beantworte sich doch selbst die Frage, wie lange man noch deS so häufig schon l'n Stunden der Noth verheißenen Parlaments thatsächlich wird entrathen können. Und man frage sich, ob man gegen die vermeintliche Ländergier Preußens immer so schützende Garantieen haben wird, wie die preußische Re¬ gierung sie jetzt bietet, wenn sie in jenem Memoire fortfährt: „Was Se. Majestät den König persönlich anbetrifft, so liegt Allerhöchstdemselben nichts ferner, als Seine Bundesgenossen, die deutschen Fürsten, beeinträchtigen oder unterdrücken zu wollen. Allerhöchstderselbe will mit ihnen als Einer Jhres-Gleichen gemein¬ sam für die gemeinsame Sicherheit nach innen und außen sorgen, aber besser als bisher. Wer diesen ernsten Willen und das längst auf jenes Ziel ge¬ richtete Bestreben Sr. Majestät als Ergebniß persönlichen Ehrgeizes schildert, der entstellt die Thatsachen, welche von Allerhöchstdessen Handlungs- und Sinnes¬ weise offenes Zeugniß ablegen. Se. Majestät der König sind stets weit davon entfernt gewesen, einen Ehrgeiz zu hegen, der auf Kosten der Nachbarn und Bundesgenossen Befriedigung gesucht hätte, wenn Allerhöchstdieselben auch nach Mannigfachen Erfahrungen darauf verzichten müssen, die Verläumdungen zum Schweigen zu bringen. Se. Majestät beabsichtigen auch jetzt mit der Bundes- reform nicht, den deutschen Fürsten Opfer anzusinnen, welche Preußen nicht ebenso im Interesse der Gesammtheit zu bringen bereit wäre." Und nun ver- gegenwärtige man sich, diesen Garantien gegenüber, an denen zu deuteln nicht erlaubt ist, was im Falle der Verwerfung und Abkehr von Preußen zu er- Warten steht. Der Schluß des Memoire lautet nämlich: „Erst wenn Preußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/437>, abgerufen am 31.10.2024.