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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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und gesteigert hätte. Sicher liegt es im Wesen seines Stoffes begründet, daß man
den ersten Band am wenigsten von gewissen kleinen Mängeln freisprechen konnte,
die ihren Grund in dem Bestreben hatten, auch da ein möglichst lcbcnswarmcs und
abgerundetes Bild zu geben, wo die Quellen theils ganz schweigen, theils sehr spär¬
liche oder sogar widersprechende Notizen bringen, Wenn schon der zweite Band
diesen Fehler fast ganz zu vermeiden wußte, so gilt dies in noch Höheren Grade vom
dritten, welcher freilich aus einem in reichster Fülle der Denkmäler und Monumente
vorhandenen Material herausgearbeitet ist.

In drei Büchern behandelt er Spartas Herrschaft in Griechenland, Theben als
griechische Großmacht, und Macedonien und Griechenland, indem er mit der Schlacht
von Chäroncia und dem unmittelbar darauf folgenden Vertrag von Korinth schließt.
Wir können ein Bedenken gegen diesen Anschluß an die herkömmliche Pcriodcngliedc-
rung der griechischen Geschichte nicht unterdrücken. Seit dem Auftreten des mace-
donischen Philippos concentrirt sich die griechische Geschichte in dem Kampfezwischen
der neu erwachsenden macedonischen Macht und Athen als der eigentlichen Trägerin
der nationalgriechischen Selbständigkeit. Ungern vermißt man bei einer zusammen¬
hängenden Darstellung dieses Entschcidungstampfcs die letzten Versuche, zu denen sich
Athen auch nach der Schlacht bei Chäroneia aufrafft, und wir meinen, daß dieser
Abschnitt der griechischen Geschichte nicht besser und sachgemäßer geschlossen werden
kann, als mit dem Tode des Demosthenes, der ja ohnehin mit vollem Recht als
Vertreter der damals unterliegenden Idee angesehen werden muß. Der Nachtheil,
daß hierbei allerdings in die Zeit Alexanders des Großen übergegriffen wird, welcher
ohne Frage mit demselben Rechte eine zusammenhängende Behandlung fordert, ist
einmal nicht fo groß als es scheinen möchte, und würde andererseits durch den Vor¬
theil aufgewogen, daß dann nicht in dem einen Bande so zu sagen das Sterben
Griechenlands und erst im folgenden seine letzten Zuckungen und sein Begräbniß
dargestellt würden, während noch außerdem das Leben des größten Bürgers von
Athen bis zu seinem Ende im Zusammenhange dargestellt werden könnte.

Druck und Ausstattung sind gut, zu den Berichtigungen ans S. IV tragen
wir nach, daß S. 85 die Nummer der Anmerkung nicht 45, sondern <is lauten muß.




Geschichte des deutschen Volks und seiner Cultur von den ersten Anfängen
historischer Kunde bis zur Gegenwart von S. Sugcnheim. Band 1--3. Leipzig,
Engelmann, 1860 und 1867..

Dem Unternehmen, deutsche Gesammtgeschichte zu schreiben, ist unsere Gegen¬
wart wissenschaftlich ebenso abhold wie praktisch günstig. Mit eifriger Ausschließ-
lichkeit begrenzen sich die Historiker von Fach ihr Terrain immer mehr, intensiv ist
die herrschende Richtung der Schulen; wer auf umfassende Darstellung ausgeht, hat
die guten Voraussetzungen der Fachmänner nicht für sich. Von der Art und Weise
der Forschung beeinflußt, verlangt auch das populäre Wisscnsbedürfniß nach Detail;
gewiß ein sehr respectabler Zug, aber es ist Gefahr, daß die heute in besonderen
Flor stehende literarische Mittclgattung, der sogenannte historische Roman sich dieser
Neigung zum Schaden echter Bildung bemächtigt. Dem gegenüber kann der Werth


und gesteigert hätte. Sicher liegt es im Wesen seines Stoffes begründet, daß man
den ersten Band am wenigsten von gewissen kleinen Mängeln freisprechen konnte,
die ihren Grund in dem Bestreben hatten, auch da ein möglichst lcbcnswarmcs und
abgerundetes Bild zu geben, wo die Quellen theils ganz schweigen, theils sehr spär¬
liche oder sogar widersprechende Notizen bringen, Wenn schon der zweite Band
diesen Fehler fast ganz zu vermeiden wußte, so gilt dies in noch Höheren Grade vom
dritten, welcher freilich aus einem in reichster Fülle der Denkmäler und Monumente
vorhandenen Material herausgearbeitet ist.

In drei Büchern behandelt er Spartas Herrschaft in Griechenland, Theben als
griechische Großmacht, und Macedonien und Griechenland, indem er mit der Schlacht
von Chäroncia und dem unmittelbar darauf folgenden Vertrag von Korinth schließt.
Wir können ein Bedenken gegen diesen Anschluß an die herkömmliche Pcriodcngliedc-
rung der griechischen Geschichte nicht unterdrücken. Seit dem Auftreten des mace-
donischen Philippos concentrirt sich die griechische Geschichte in dem Kampfezwischen
der neu erwachsenden macedonischen Macht und Athen als der eigentlichen Trägerin
der nationalgriechischen Selbständigkeit. Ungern vermißt man bei einer zusammen¬
hängenden Darstellung dieses Entschcidungstampfcs die letzten Versuche, zu denen sich
Athen auch nach der Schlacht bei Chäroneia aufrafft, und wir meinen, daß dieser
Abschnitt der griechischen Geschichte nicht besser und sachgemäßer geschlossen werden
kann, als mit dem Tode des Demosthenes, der ja ohnehin mit vollem Recht als
Vertreter der damals unterliegenden Idee angesehen werden muß. Der Nachtheil,
daß hierbei allerdings in die Zeit Alexanders des Großen übergegriffen wird, welcher
ohne Frage mit demselben Rechte eine zusammenhängende Behandlung fordert, ist
einmal nicht fo groß als es scheinen möchte, und würde andererseits durch den Vor¬
theil aufgewogen, daß dann nicht in dem einen Bande so zu sagen das Sterben
Griechenlands und erst im folgenden seine letzten Zuckungen und sein Begräbniß
dargestellt würden, während noch außerdem das Leben des größten Bürgers von
Athen bis zu seinem Ende im Zusammenhange dargestellt werden könnte.

Druck und Ausstattung sind gut, zu den Berichtigungen ans S. IV tragen
wir nach, daß S. 85 die Nummer der Anmerkung nicht 45, sondern <is lauten muß.




Geschichte des deutschen Volks und seiner Cultur von den ersten Anfängen
historischer Kunde bis zur Gegenwart von S. Sugcnheim. Band 1—3. Leipzig,
Engelmann, 1860 und 1867..

Dem Unternehmen, deutsche Gesammtgeschichte zu schreiben, ist unsere Gegen¬
wart wissenschaftlich ebenso abhold wie praktisch günstig. Mit eifriger Ausschließ-
lichkeit begrenzen sich die Historiker von Fach ihr Terrain immer mehr, intensiv ist
die herrschende Richtung der Schulen; wer auf umfassende Darstellung ausgeht, hat
die guten Voraussetzungen der Fachmänner nicht für sich. Von der Art und Weise
der Forschung beeinflußt, verlangt auch das populäre Wisscnsbedürfniß nach Detail;
gewiß ein sehr respectabler Zug, aber es ist Gefahr, daß die heute in besonderen
Flor stehende literarische Mittclgattung, der sogenannte historische Roman sich dieser
Neigung zum Schaden echter Bildung bemächtigt. Dem gegenüber kann der Werth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/326>, abgerufen am 30.04.2024.