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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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übertrug. Des nähern geschah dies so, daß man zu den Gemeinderäten und
dem Ortsvorsteher (Schultheißen) die oder den Geistlichen hinzufügte und so
aus dem weltlichen Gemeinderate den kirchlichen Stiftungsrat bildete, welcher die
kirchlichen Gelder (auf dem Lande der "Heilige" genannt) verwaltete.

Diese Ordnung hatte nun freilich ihre unleugbaren Schattenseiten. Es
liegt auf der Hand, daß bei den Gemeindewahlen nicht religiöse, sondern poli¬
tische oder kommunale Gesichtspunkte den Ausschlag gebe", daß die Wähler
mehr daran denken, daß sie den Gemeinderat zusammenzusetzen im Begriff sind,
als den Stiftungsrat. Ferner kommen wohl in allen größeren Orten natürlich
auch Vertreter der in der Minderheit befindlichen Konfession in den Gemeinde¬
rat, und so verfügen oft genug Katholiken mit über protestantische Gelder und
Protestanten mit über katholische; in vereinzelten Fällen können so auch Juden
in die Lage kommen, über die Mittel der christlichen Gemeinschaften mit zu
bestimmen. Endlich aber ist es wohl ziemlich naheliegend, daß die Gemeinde¬
räte allemal, wenn die Gemeinde eine kostspielige Aufgabe zu lösen hat und der
"Heilige" über eine wohlgespickte Börse verfügt, der Versuchung unterliegen, sich
zu fragen: Hat die betreffende Sache nicht von weitem einen Zusammenhang
mit der Kirche, sodaß man den "Heiligen" für sie in Anspruch nehmen kann?
Diese Frage wurde oft genug auch dann bejaht, wenn sie schlechtweg zu ver¬
neinen gewesen wäre, und so ist von der Regierung aktenmäßig nachgewiesen
worden, daß mit kirchlichen Geldern die Kosten für Feuerspritzen, für Monturen
von Polizeidienern, für Hebammen, für Vereinsfahnen und dergleichen bestritten
worden sind. In einem Dorfe auf der schwäbischen Alb war die Kirche in
baufälligen Zustande; aber statt sie herzustellen, entnahm man dem Kirchenfonds
zehntausend Mark für die Herstellung -- einer Wasserleitung, die freilich in
das System der großartigen Albwasserversorgung gehört, aber doch zur evan¬
gelischen Kirche gewiß in einem noch entfernteren Verhältnis steht als der geistig
avancirteste Universttätsprvfcssor zum Affen.

Schon lange hatte man in kirchlichen Kreisen diese Übelstände schwer und
schmerzlich empfunden; die kirchlichen Stiftungen liefen vielfach Gefahr, zu kom¬
munalen Zwecken aufgezehrt zu werden; dem katholischen Bischof von Rotten¬
burg stand überdies ein verfassungsmäßiger Anspruch auf die Oberleitung der
katholischen Stiftungen zu, der in langen Jahren nicht zu gesetzlicher Fest¬
stellung gekommen war. Alle diese Gründe bewogen die Regierung, den
Ständen zwei Gesetzesvorlagen zu unterbreiten, welche für beide christliche Kirchen
die Anordnung trafen, daß besondre Kirchcngemeinderäte für die Verwaltung des
Kirchenvermögens gebildet werden und die Ortsvorsteher diesen kirchlichen Kol¬
legien nicht ohne weiteres angehören sollten, um deren Selbständigkeit von der
Politischen Gemeinde möglichst zu sichern; im Notfall sollte von der evangelischen
Kirche auch eine Kirchensteuer erhoben werden dürfen. Man konnte anfänglich an¬
nehmen, daß diese Vorlagen, welche in der Kommission der Abgeordnetenkammer


übertrug. Des nähern geschah dies so, daß man zu den Gemeinderäten und
dem Ortsvorsteher (Schultheißen) die oder den Geistlichen hinzufügte und so
aus dem weltlichen Gemeinderate den kirchlichen Stiftungsrat bildete, welcher die
kirchlichen Gelder (auf dem Lande der „Heilige" genannt) verwaltete.

Diese Ordnung hatte nun freilich ihre unleugbaren Schattenseiten. Es
liegt auf der Hand, daß bei den Gemeindewahlen nicht religiöse, sondern poli¬
tische oder kommunale Gesichtspunkte den Ausschlag gebe», daß die Wähler
mehr daran denken, daß sie den Gemeinderat zusammenzusetzen im Begriff sind,
als den Stiftungsrat. Ferner kommen wohl in allen größeren Orten natürlich
auch Vertreter der in der Minderheit befindlichen Konfession in den Gemeinde¬
rat, und so verfügen oft genug Katholiken mit über protestantische Gelder und
Protestanten mit über katholische; in vereinzelten Fällen können so auch Juden
in die Lage kommen, über die Mittel der christlichen Gemeinschaften mit zu
bestimmen. Endlich aber ist es wohl ziemlich naheliegend, daß die Gemeinde¬
räte allemal, wenn die Gemeinde eine kostspielige Aufgabe zu lösen hat und der
„Heilige" über eine wohlgespickte Börse verfügt, der Versuchung unterliegen, sich
zu fragen: Hat die betreffende Sache nicht von weitem einen Zusammenhang
mit der Kirche, sodaß man den „Heiligen" für sie in Anspruch nehmen kann?
Diese Frage wurde oft genug auch dann bejaht, wenn sie schlechtweg zu ver¬
neinen gewesen wäre, und so ist von der Regierung aktenmäßig nachgewiesen
worden, daß mit kirchlichen Geldern die Kosten für Feuerspritzen, für Monturen
von Polizeidienern, für Hebammen, für Vereinsfahnen und dergleichen bestritten
worden sind. In einem Dorfe auf der schwäbischen Alb war die Kirche in
baufälligen Zustande; aber statt sie herzustellen, entnahm man dem Kirchenfonds
zehntausend Mark für die Herstellung — einer Wasserleitung, die freilich in
das System der großartigen Albwasserversorgung gehört, aber doch zur evan¬
gelischen Kirche gewiß in einem noch entfernteren Verhältnis steht als der geistig
avancirteste Universttätsprvfcssor zum Affen.

Schon lange hatte man in kirchlichen Kreisen diese Übelstände schwer und
schmerzlich empfunden; die kirchlichen Stiftungen liefen vielfach Gefahr, zu kom¬
munalen Zwecken aufgezehrt zu werden; dem katholischen Bischof von Rotten¬
burg stand überdies ein verfassungsmäßiger Anspruch auf die Oberleitung der
katholischen Stiftungen zu, der in langen Jahren nicht zu gesetzlicher Fest¬
stellung gekommen war. Alle diese Gründe bewogen die Regierung, den
Ständen zwei Gesetzesvorlagen zu unterbreiten, welche für beide christliche Kirchen
die Anordnung trafen, daß besondre Kirchcngemeinderäte für die Verwaltung des
Kirchenvermögens gebildet werden und die Ortsvorsteher diesen kirchlichen Kol¬
legien nicht ohne weiteres angehören sollten, um deren Selbständigkeit von der
Politischen Gemeinde möglichst zu sichern; im Notfall sollte von der evangelischen
Kirche auch eine Kirchensteuer erhoben werden dürfen. Man konnte anfänglich an¬
nehmen, daß diese Vorlagen, welche in der Kommission der Abgeordnetenkammer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/334>, abgerufen am 01.11.2024.