Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Unpolitische Briefe aus Wien.

Zum Vaterlande, zum Staate stellt sich der Dichter in das beste Verhältnis;
er hat es sich ja selber gewählt:


Ich bin nicht dein dnrch Zufall, ich hab' dich selbst erwählt.
Bevor ich von der Mutter hier geboren ward,
Ersah ich deine Schönheit, deine hohe Art.
Mit deinen guten Söhnen wollt' ich beisammen stehn,
Nur unter deinem Zeichen wollt' ich zum Siege gehn.

Aber noch mehr, auch dies sein Vaterland muß er aneifern zu kämpfen, auf
Kosten andrer sich zu erweitern:


Behagt dir nicht der Boden, ist dir zu eng das Land,
Wohlan denn, Straßen gehen bis an den Meeresstrand. , . .

Aus einem transcendentalen Märchen, das man immerhin reizend finden wird
-- wenn man auch das Aufbauschen seines Inhalts zu einer erlösenden neuen
Lehre lächelnd abwehren muß -- löst sich so zuletzt eine politische Idee. Vou
kosmopolitische" Friedensträumereien weit entfernt, entpuppt sich Kraut als ein
Dichter, der vor Blut und Eisen nicht zurückschreckt, ja in diesen Stoffen die
Elemente des historischen Werdens erblickt, eine Anschauung, die durch die Er¬
eignisse der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts hervorgerufen worden sein mag
und die unsers Wissens in poetischer Gestalt noch nicht vor uns erschienen ist.

Wir können hier schließen. Daß es um die Kunst in Österreich so schlimm
stehe, wie uns der etwas grämliche Verfasser der jüngst ausgegebenen Flugschrift
"Nur nicht österreichisch"^) glauben machen will, können wir nicht zugeben, aber
freilich daß der Lvkalton in ihren Schöpfungen allmählich zurücktritt, läßt sich
nicht leugnen. Namentlich aber haben jene Produkte sowohl der dichtenden wie
der darstellenden Kunst, welche den meisten Effekt machen und aus welche die
Kritik so gern deu geistigen Kredit Österreichs basirt, eigentlich garnichts spezifisch
Österreichisches an sich. Die "parfümirte Stickluft," die in Hamerlings "Ahas-
ver in Rom," in Wilbrandts "Arria und Messalina" oder "Nero" und in
vielen andern modernen Erzeugnissen weht und deren Hauch wir ja auch em¬
pfinden, weiln wir vor den berühmtesten der Malartschen Bilder stehen, ist
nicht dem österreichischen Boden entstiegen.





-) Sie bildet das erste Heft einer in Aussicht gestellten Reihe von Publikationen, die deu
^tel "Gegen deu Strom" führt.
Grenzboten I. 1835,"7
Unpolitische Briefe aus Wien.

Zum Vaterlande, zum Staate stellt sich der Dichter in das beste Verhältnis;
er hat es sich ja selber gewählt:


Ich bin nicht dein dnrch Zufall, ich hab' dich selbst erwählt.
Bevor ich von der Mutter hier geboren ward,
Ersah ich deine Schönheit, deine hohe Art.
Mit deinen guten Söhnen wollt' ich beisammen stehn,
Nur unter deinem Zeichen wollt' ich zum Siege gehn.

Aber noch mehr, auch dies sein Vaterland muß er aneifern zu kämpfen, auf
Kosten andrer sich zu erweitern:


Behagt dir nicht der Boden, ist dir zu eng das Land,
Wohlan denn, Straßen gehen bis an den Meeresstrand. , . .

Aus einem transcendentalen Märchen, das man immerhin reizend finden wird
— wenn man auch das Aufbauschen seines Inhalts zu einer erlösenden neuen
Lehre lächelnd abwehren muß — löst sich so zuletzt eine politische Idee. Vou
kosmopolitische« Friedensträumereien weit entfernt, entpuppt sich Kraut als ein
Dichter, der vor Blut und Eisen nicht zurückschreckt, ja in diesen Stoffen die
Elemente des historischen Werdens erblickt, eine Anschauung, die durch die Er¬
eignisse der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts hervorgerufen worden sein mag
und die unsers Wissens in poetischer Gestalt noch nicht vor uns erschienen ist.

Wir können hier schließen. Daß es um die Kunst in Österreich so schlimm
stehe, wie uns der etwas grämliche Verfasser der jüngst ausgegebenen Flugschrift
„Nur nicht österreichisch"^) glauben machen will, können wir nicht zugeben, aber
freilich daß der Lvkalton in ihren Schöpfungen allmählich zurücktritt, läßt sich
nicht leugnen. Namentlich aber haben jene Produkte sowohl der dichtenden wie
der darstellenden Kunst, welche den meisten Effekt machen und aus welche die
Kritik so gern deu geistigen Kredit Österreichs basirt, eigentlich garnichts spezifisch
Österreichisches an sich. Die „parfümirte Stickluft," die in Hamerlings „Ahas-
ver in Rom," in Wilbrandts „Arria und Messalina" oder „Nero" und in
vielen andern modernen Erzeugnissen weht und deren Hauch wir ja auch em¬
pfinden, weiln wir vor den berühmtesten der Malartschen Bilder stehen, ist
nicht dem österreichischen Boden entstiegen.





-) Sie bildet das erste Heft einer in Aussicht gestellten Reihe von Publikationen, die deu
^tel „Gegen deu Strom" führt.
Grenzboten I. 1835,«7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195217"/>
          <fw type="header" place="top"> Unpolitische Briefe aus Wien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1990" prev="#ID_1989"> Zum Vaterlande, zum Staate stellt sich der Dichter in das beste Verhältnis;<lb/>
er hat es sich ja selber gewählt:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_17" type="poem">
              <l> Ich bin nicht dein dnrch Zufall, ich hab' dich selbst erwählt.<lb/>
Bevor ich von der Mutter hier geboren ward,<lb/>
Ersah ich deine Schönheit, deine hohe Art.<lb/>
Mit deinen guten Söhnen wollt' ich beisammen stehn,<lb/>
Nur unter deinem Zeichen wollt' ich zum Siege gehn.<lb/></l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1991"> Aber noch mehr, auch dies sein Vaterland muß er aneifern zu kämpfen, auf<lb/>
Kosten andrer sich zu erweitern:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_18" type="poem">
              <l> Behagt dir nicht der Boden, ist dir zu eng das Land,<lb/>
Wohlan denn, Straßen gehen bis an den Meeresstrand. , . .</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1992"> Aus einem transcendentalen Märchen, das man immerhin reizend finden wird<lb/>
&#x2014; wenn man auch das Aufbauschen seines Inhalts zu einer erlösenden neuen<lb/>
Lehre lächelnd abwehren muß &#x2014; löst sich so zuletzt eine politische Idee. Vou<lb/>
kosmopolitische« Friedensträumereien weit entfernt, entpuppt sich Kraut als ein<lb/>
Dichter, der vor Blut und Eisen nicht zurückschreckt, ja in diesen Stoffen die<lb/>
Elemente des historischen Werdens erblickt, eine Anschauung, die durch die Er¬<lb/>
eignisse der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts hervorgerufen worden sein mag<lb/>
und die unsers Wissens in poetischer Gestalt noch nicht vor uns erschienen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1993"> Wir können hier schließen. Daß es um die Kunst in Österreich so schlimm<lb/>
stehe, wie uns der etwas grämliche Verfasser der jüngst ausgegebenen Flugschrift<lb/>
&#x201E;Nur nicht österreichisch"^) glauben machen will, können wir nicht zugeben, aber<lb/>
freilich daß der Lvkalton in ihren Schöpfungen allmählich zurücktritt, läßt sich<lb/>
nicht leugnen. Namentlich aber haben jene Produkte sowohl der dichtenden wie<lb/>
der darstellenden Kunst, welche den meisten Effekt machen und aus welche die<lb/>
Kritik so gern deu geistigen Kredit Österreichs basirt, eigentlich garnichts spezifisch<lb/>
Österreichisches an sich. Die &#x201E;parfümirte Stickluft," die in Hamerlings &#x201E;Ahas-<lb/>
ver in Rom," in Wilbrandts &#x201E;Arria und Messalina" oder &#x201E;Nero" und in<lb/>
vielen andern modernen Erzeugnissen weht und deren Hauch wir ja auch em¬<lb/>
pfinden, weiln wir vor den berühmtesten der Malartschen Bilder stehen, ist<lb/>
nicht dem österreichischen Boden entstiegen.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_108" place="foot"> -) Sie bildet das erste Heft einer in Aussicht gestellten Reihe von Publikationen, die deu<lb/>
^tel &#x201E;Gegen deu Strom" führt.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1835,«7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] Unpolitische Briefe aus Wien. Zum Vaterlande, zum Staate stellt sich der Dichter in das beste Verhältnis; er hat es sich ja selber gewählt: Ich bin nicht dein dnrch Zufall, ich hab' dich selbst erwählt. Bevor ich von der Mutter hier geboren ward, Ersah ich deine Schönheit, deine hohe Art. Mit deinen guten Söhnen wollt' ich beisammen stehn, Nur unter deinem Zeichen wollt' ich zum Siege gehn. Aber noch mehr, auch dies sein Vaterland muß er aneifern zu kämpfen, auf Kosten andrer sich zu erweitern: Behagt dir nicht der Boden, ist dir zu eng das Land, Wohlan denn, Straßen gehen bis an den Meeresstrand. , . . Aus einem transcendentalen Märchen, das man immerhin reizend finden wird — wenn man auch das Aufbauschen seines Inhalts zu einer erlösenden neuen Lehre lächelnd abwehren muß — löst sich so zuletzt eine politische Idee. Vou kosmopolitische« Friedensträumereien weit entfernt, entpuppt sich Kraut als ein Dichter, der vor Blut und Eisen nicht zurückschreckt, ja in diesen Stoffen die Elemente des historischen Werdens erblickt, eine Anschauung, die durch die Er¬ eignisse der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts hervorgerufen worden sein mag und die unsers Wissens in poetischer Gestalt noch nicht vor uns erschienen ist. Wir können hier schließen. Daß es um die Kunst in Österreich so schlimm stehe, wie uns der etwas grämliche Verfasser der jüngst ausgegebenen Flugschrift „Nur nicht österreichisch"^) glauben machen will, können wir nicht zugeben, aber freilich daß der Lvkalton in ihren Schöpfungen allmählich zurücktritt, läßt sich nicht leugnen. Namentlich aber haben jene Produkte sowohl der dichtenden wie der darstellenden Kunst, welche den meisten Effekt machen und aus welche die Kritik so gern deu geistigen Kredit Österreichs basirt, eigentlich garnichts spezifisch Österreichisches an sich. Die „parfümirte Stickluft," die in Hamerlings „Ahas- ver in Rom," in Wilbrandts „Arria und Messalina" oder „Nero" und in vielen andern modernen Erzeugnissen weht und deren Hauch wir ja auch em¬ pfinden, weiln wir vor den berühmtesten der Malartschen Bilder stehen, ist nicht dem österreichischen Boden entstiegen. -) Sie bildet das erste Heft einer in Aussicht gestellten Reihe von Publikationen, die deu ^tel „Gegen deu Strom" führt. Grenzboten I. 1835,«7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/541>, abgerufen am 31.10.2024.