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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Konkurrenz.

auch rechts und links die Eisenbahnzüge an sich vorübersauscn sah, der begreift,
daß manche Leute den Satz "Verkehrsmittel erzeugen den Verkehr" für einen
unwiderleglicher halten; und wer sich darüber klar geworden ist, daß jede Er¬
weiterung und Verbesserung der Verkehrsgelegenheiten nach den Berliner Vor¬
orten in kurzer Zeit durch das gestiegene Bedürfnis ausgefüllt sein würde,
der weiß die Stärke der Eindrücke über die Macht der Konkurrenz zu würdigen,
von denen manche Leute durch solche und ähnliche Beispiele erfüllt worden sind.
In Wahrheit haben wir es in beiden geschilderten Fällen gar nicht mit einer
Wirkung der Konkurrenz, sondern nur mit dem Vorhandensein eines ungeheuern
Verkehrsbedürfnisses zu thun, zu dessen steigender Befriedigung die Konkurrenz
das ihrige beigetragen, welches sie aber ganz und gar nicht hervorgerufen hat;
und wenn der gewaltige Zug des Fremden- und des Güterverkehrs, welcher
gegenwärtig den Rhein hinauf geht, einmal abgelenkt werden sollte, oder wenn
durch irgend welche Verkettung von Ereignissen der Wunsch, in nächster Nähe
von Berlin angenehm zu wohnen, nicht mehr von vielen Tausenden gehegt
würde, so könnte alle Thatkraft konkurrirender Verkehrsanstalten zwar vielleicht
den Verödungsprozcß verlangsamen, ihn aber auf die Dauer nicht abwenden.
Mit andern Worten: die Konkurrenz hat überall nur da Sinn, wo die Nach¬
frage von Hause aus vorhanden ist, oder doch aus natürlichen, an sich mit der
Konkurrenz nicht zusammenhängenden Gründen in absehbarer Zeit kommen wird.
Um bei Fragen des Verkehrs zu bleiben: wo eine bestimmte Menge zu er¬
zeugender Artikel in einer bestimmten Richtung befördert, oder eine bestimmte
Menge von Stoffen zu irgend einem Verbrauche herangeschafft werden sollen,
da kann alle Anlage zwei- und dreifacher Transportgelegenheitcn an dieser
Menge nichts ändern, und was die eine dieser Gelegenheiten gewinnt, das muß
einer andern genommen werden. Gewiß kann die neue Beförderungsart billiger,
schneller oder aus andern Gründen zweckmäßiger sein als die alte; aber es ist
auch möglich, daß irgend ein einseitiger Vorteil den Ausschlag giebt und infolge
dessen eine andre, an sich vom allgemeinen Standpunkte aus zweckmäßigere
Beförderungsanstalt zurückstehen muß, oder daß die bisherige Beförderungs-
gclegenheit zugleich gewisse Vorteile oder Annehmlichkeiten für die unmittelbar
berührten Orte bot, die nun wegfallen, wobei es doch keineswegs ohne weiteres
feststeht, daß die ausschlaggebende Rücksicht größer gewesen sei, als derjenige
Kreis von Vorteilen, der durch sie in den Hintergrund gedrängt worden ist.
Ebenso kann es ja vorkommen, daß infolge der vermehrten Verkehrsgelegenheiten
ganz neue Interessen für diesen Verkehr sich ausbilden, z. B. neue Industrien
entstehen, oder eine Verkehrsader aus andern Gebieten hierher abgelenkt wird;
aber die Konkurrenz an und für sich wird hiermit nichts zu thun haben, und
es bleibt vollkommen eben so möglich, daß alle Verhältnisse im übrigen un¬
verändert bleiben.

Wie mit dem Verkehr, so verhält es sich aber auch mit allen andern


Die sogenannte Konkurrenz.

auch rechts und links die Eisenbahnzüge an sich vorübersauscn sah, der begreift,
daß manche Leute den Satz „Verkehrsmittel erzeugen den Verkehr" für einen
unwiderleglicher halten; und wer sich darüber klar geworden ist, daß jede Er¬
weiterung und Verbesserung der Verkehrsgelegenheiten nach den Berliner Vor¬
orten in kurzer Zeit durch das gestiegene Bedürfnis ausgefüllt sein würde,
der weiß die Stärke der Eindrücke über die Macht der Konkurrenz zu würdigen,
von denen manche Leute durch solche und ähnliche Beispiele erfüllt worden sind.
In Wahrheit haben wir es in beiden geschilderten Fällen gar nicht mit einer
Wirkung der Konkurrenz, sondern nur mit dem Vorhandensein eines ungeheuern
Verkehrsbedürfnisses zu thun, zu dessen steigender Befriedigung die Konkurrenz
das ihrige beigetragen, welches sie aber ganz und gar nicht hervorgerufen hat;
und wenn der gewaltige Zug des Fremden- und des Güterverkehrs, welcher
gegenwärtig den Rhein hinauf geht, einmal abgelenkt werden sollte, oder wenn
durch irgend welche Verkettung von Ereignissen der Wunsch, in nächster Nähe
von Berlin angenehm zu wohnen, nicht mehr von vielen Tausenden gehegt
würde, so könnte alle Thatkraft konkurrirender Verkehrsanstalten zwar vielleicht
den Verödungsprozcß verlangsamen, ihn aber auf die Dauer nicht abwenden.
Mit andern Worten: die Konkurrenz hat überall nur da Sinn, wo die Nach¬
frage von Hause aus vorhanden ist, oder doch aus natürlichen, an sich mit der
Konkurrenz nicht zusammenhängenden Gründen in absehbarer Zeit kommen wird.
Um bei Fragen des Verkehrs zu bleiben: wo eine bestimmte Menge zu er¬
zeugender Artikel in einer bestimmten Richtung befördert, oder eine bestimmte
Menge von Stoffen zu irgend einem Verbrauche herangeschafft werden sollen,
da kann alle Anlage zwei- und dreifacher Transportgelegenheitcn an dieser
Menge nichts ändern, und was die eine dieser Gelegenheiten gewinnt, das muß
einer andern genommen werden. Gewiß kann die neue Beförderungsart billiger,
schneller oder aus andern Gründen zweckmäßiger sein als die alte; aber es ist
auch möglich, daß irgend ein einseitiger Vorteil den Ausschlag giebt und infolge
dessen eine andre, an sich vom allgemeinen Standpunkte aus zweckmäßigere
Beförderungsanstalt zurückstehen muß, oder daß die bisherige Beförderungs-
gclegenheit zugleich gewisse Vorteile oder Annehmlichkeiten für die unmittelbar
berührten Orte bot, die nun wegfallen, wobei es doch keineswegs ohne weiteres
feststeht, daß die ausschlaggebende Rücksicht größer gewesen sei, als derjenige
Kreis von Vorteilen, der durch sie in den Hintergrund gedrängt worden ist.
Ebenso kann es ja vorkommen, daß infolge der vermehrten Verkehrsgelegenheiten
ganz neue Interessen für diesen Verkehr sich ausbilden, z. B. neue Industrien
entstehen, oder eine Verkehrsader aus andern Gebieten hierher abgelenkt wird;
aber die Konkurrenz an und für sich wird hiermit nichts zu thun haben, und
es bleibt vollkommen eben so möglich, daß alle Verhältnisse im übrigen un¬
verändert bleiben.

Wie mit dem Verkehr, so verhält es sich aber auch mit allen andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/50>, abgerufen am 31.10.2024.