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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Über allen Gipfeln

Erstens ist trotz Heyses Ruhm die Voraussetzung auffällig, daß alle Welt so
mit seinen Worten bekannt sein müsse, daß sie daraus seine Stellung zu den
Kampfgesetzen der Regierung gegen den Umsturz entnehmen könne; zweitens
muß geradezu Staunen erregen die als selbstverständlich hingestellte Ansicht,
daß ein poetisches Kunstwerk die Tendenz ebenso deutlich erkennbar an der
Stirn tragen müsse, wie das Wirtshaus sein Schild. Freilich stimmt mit
dieser Theorie das künstlerische Verfahren des Dichters überein.

Ungefähr zu derselben Zeit, wo der "Merlin" erschien, hatten auch zwei
andre beliebte Romanschriftsteller neue Werke der Öffentlichkeit übergeben,
Friedrich Spielhageu sein "Sonntagskind" und Hans von Hopfen sein "Glän¬
zendes Elend." An allen drei Erzählungen hob die antinaturalistische und
antimoderne Kritik mit besondrer Genugthuung hervor, daß die Verfasser mit
lobenswerter Entschiedenheit Stellung gegen die umstürzlerischen Neigungen
der Gegenwart genommen hätten. Besonders über Paul Heyse hieß es, daß
"unter der Roheit der Angriffe," die gewisse Litteraturrevolutionüre gegen ihn
gerichtet hätten, es sein gutes Recht gewesen sei, "sei es mit Ironie oder dem
Pathos begeisterter Überzeugungstreue die Jrrgünge unsers modernen Geistes¬
lebens zu beleuchten und zu beurteilen."

Daß jeder Dichter das Recht hat, zu deu jeweiligen Äußerungen des
Zeitgeistes Stellung zu nehmen und,- wenn er persönlich in die litterarischen
Händel hineingezogen wird, sich mit aller Schärfe zu verteidigen, das ist so
wenig irgend einem Zweifel unterworfen, daß man darüber kein Wort zu ver¬
liere" braucht. In dem ganzen Vereich öffentlicher Thätigkeit giebt es nie¬
mand, der mehr als der Dichter von der Natur selber dazu gedrängt würde,
der Zeit an den Puls zu fühlen, sein Ohr an die Schwingungen der Volks¬
seele zu legen. Denn gerade seine Aufgabe ist es, in allen Tönen wieder
auszuklingen, was er in den Tiefen erlauscht hat. Aber nur das wenigste
zieht leise und in sausten Akkorden durch die Räume der Welt. Das meiste
schlägt lärmend, häufig beleidigend an das Ohr des Dichters. Nicht das ist
die Frage, ob er überhaupt dazu Stellung nehmen, sondern wie er sie dazu
nehmen soll.

Es mag überflüssig erscheinen, nachdem sowohl theoretisch wie praktisch
die Vergangenheit längst über die Sache entschieden hat, ihre Erörterung hier
noch einmal wieder aufzunehmen, aber die Verwirrung in litterarischen Dingen
ist stellenweise so groß, daß man Mühe hat, nicht bloß die augenscheinlichsten
Thorheiten aus dem Wege zu räumen, sondern auch den einfachsten von hohen,
anerkannten Wahrheiten Raum zu schaffen. Über die Art, wie sich der Dichter
in der Polemik zu verhalten habe, könnte man Beispiele aus allen Ländern und
Zeiten herbeiholen. Hier genügt es, an das von Lessing gegebne zu erinnern.
Jedermann weiß, wie er den Hanptpastor Goetze abgethan hat, und wenn anch
nicht alle Welt über das Wie im klaren ist, so unterläßt sie doch nicht, bei


Über allen Gipfeln

Erstens ist trotz Heyses Ruhm die Voraussetzung auffällig, daß alle Welt so
mit seinen Worten bekannt sein müsse, daß sie daraus seine Stellung zu den
Kampfgesetzen der Regierung gegen den Umsturz entnehmen könne; zweitens
muß geradezu Staunen erregen die als selbstverständlich hingestellte Ansicht,
daß ein poetisches Kunstwerk die Tendenz ebenso deutlich erkennbar an der
Stirn tragen müsse, wie das Wirtshaus sein Schild. Freilich stimmt mit
dieser Theorie das künstlerische Verfahren des Dichters überein.

Ungefähr zu derselben Zeit, wo der „Merlin" erschien, hatten auch zwei
andre beliebte Romanschriftsteller neue Werke der Öffentlichkeit übergeben,
Friedrich Spielhageu sein „Sonntagskind" und Hans von Hopfen sein „Glän¬
zendes Elend." An allen drei Erzählungen hob die antinaturalistische und
antimoderne Kritik mit besondrer Genugthuung hervor, daß die Verfasser mit
lobenswerter Entschiedenheit Stellung gegen die umstürzlerischen Neigungen
der Gegenwart genommen hätten. Besonders über Paul Heyse hieß es, daß
„unter der Roheit der Angriffe," die gewisse Litteraturrevolutionüre gegen ihn
gerichtet hätten, es sein gutes Recht gewesen sei, „sei es mit Ironie oder dem
Pathos begeisterter Überzeugungstreue die Jrrgünge unsers modernen Geistes¬
lebens zu beleuchten und zu beurteilen."

Daß jeder Dichter das Recht hat, zu deu jeweiligen Äußerungen des
Zeitgeistes Stellung zu nehmen und,- wenn er persönlich in die litterarischen
Händel hineingezogen wird, sich mit aller Schärfe zu verteidigen, das ist so
wenig irgend einem Zweifel unterworfen, daß man darüber kein Wort zu ver¬
liere» braucht. In dem ganzen Vereich öffentlicher Thätigkeit giebt es nie¬
mand, der mehr als der Dichter von der Natur selber dazu gedrängt würde,
der Zeit an den Puls zu fühlen, sein Ohr an die Schwingungen der Volks¬
seele zu legen. Denn gerade seine Aufgabe ist es, in allen Tönen wieder
auszuklingen, was er in den Tiefen erlauscht hat. Aber nur das wenigste
zieht leise und in sausten Akkorden durch die Räume der Welt. Das meiste
schlägt lärmend, häufig beleidigend an das Ohr des Dichters. Nicht das ist
die Frage, ob er überhaupt dazu Stellung nehmen, sondern wie er sie dazu
nehmen soll.

Es mag überflüssig erscheinen, nachdem sowohl theoretisch wie praktisch
die Vergangenheit längst über die Sache entschieden hat, ihre Erörterung hier
noch einmal wieder aufzunehmen, aber die Verwirrung in litterarischen Dingen
ist stellenweise so groß, daß man Mühe hat, nicht bloß die augenscheinlichsten
Thorheiten aus dem Wege zu räumen, sondern auch den einfachsten von hohen,
anerkannten Wahrheiten Raum zu schaffen. Über die Art, wie sich der Dichter
in der Polemik zu verhalten habe, könnte man Beispiele aus allen Ländern und
Zeiten herbeiholen. Hier genügt es, an das von Lessing gegebne zu erinnern.
Jedermann weiß, wie er den Hanptpastor Goetze abgethan hat, und wenn anch
nicht alle Welt über das Wie im klaren ist, so unterläßt sie doch nicht, bei


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[0143] Über allen Gipfeln Erstens ist trotz Heyses Ruhm die Voraussetzung auffällig, daß alle Welt so mit seinen Worten bekannt sein müsse, daß sie daraus seine Stellung zu den Kampfgesetzen der Regierung gegen den Umsturz entnehmen könne; zweitens muß geradezu Staunen erregen die als selbstverständlich hingestellte Ansicht, daß ein poetisches Kunstwerk die Tendenz ebenso deutlich erkennbar an der Stirn tragen müsse, wie das Wirtshaus sein Schild. Freilich stimmt mit dieser Theorie das künstlerische Verfahren des Dichters überein. Ungefähr zu derselben Zeit, wo der „Merlin" erschien, hatten auch zwei andre beliebte Romanschriftsteller neue Werke der Öffentlichkeit übergeben, Friedrich Spielhageu sein „Sonntagskind" und Hans von Hopfen sein „Glän¬ zendes Elend." An allen drei Erzählungen hob die antinaturalistische und antimoderne Kritik mit besondrer Genugthuung hervor, daß die Verfasser mit lobenswerter Entschiedenheit Stellung gegen die umstürzlerischen Neigungen der Gegenwart genommen hätten. Besonders über Paul Heyse hieß es, daß „unter der Roheit der Angriffe," die gewisse Litteraturrevolutionüre gegen ihn gerichtet hätten, es sein gutes Recht gewesen sei, „sei es mit Ironie oder dem Pathos begeisterter Überzeugungstreue die Jrrgünge unsers modernen Geistes¬ lebens zu beleuchten und zu beurteilen." Daß jeder Dichter das Recht hat, zu deu jeweiligen Äußerungen des Zeitgeistes Stellung zu nehmen und,- wenn er persönlich in die litterarischen Händel hineingezogen wird, sich mit aller Schärfe zu verteidigen, das ist so wenig irgend einem Zweifel unterworfen, daß man darüber kein Wort zu ver¬ liere» braucht. In dem ganzen Vereich öffentlicher Thätigkeit giebt es nie¬ mand, der mehr als der Dichter von der Natur selber dazu gedrängt würde, der Zeit an den Puls zu fühlen, sein Ohr an die Schwingungen der Volks¬ seele zu legen. Denn gerade seine Aufgabe ist es, in allen Tönen wieder auszuklingen, was er in den Tiefen erlauscht hat. Aber nur das wenigste zieht leise und in sausten Akkorden durch die Räume der Welt. Das meiste schlägt lärmend, häufig beleidigend an das Ohr des Dichters. Nicht das ist die Frage, ob er überhaupt dazu Stellung nehmen, sondern wie er sie dazu nehmen soll. Es mag überflüssig erscheinen, nachdem sowohl theoretisch wie praktisch die Vergangenheit längst über die Sache entschieden hat, ihre Erörterung hier noch einmal wieder aufzunehmen, aber die Verwirrung in litterarischen Dingen ist stellenweise so groß, daß man Mühe hat, nicht bloß die augenscheinlichsten Thorheiten aus dem Wege zu räumen, sondern auch den einfachsten von hohen, anerkannten Wahrheiten Raum zu schaffen. Über die Art, wie sich der Dichter in der Polemik zu verhalten habe, könnte man Beispiele aus allen Ländern und Zeiten herbeiholen. Hier genügt es, an das von Lessing gegebne zu erinnern. Jedermann weiß, wie er den Hanptpastor Goetze abgethan hat, und wenn anch nicht alle Welt über das Wie im klaren ist, so unterläßt sie doch nicht, bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/143>, abgerufen am 27.04.2024.