Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.deutschen Wesens, die ohne die gefährlichen politischen Folgen sogar als ein Aber wir brauchen nicht dahin zu schweifen, was heute Fremde für uns deutschen Wesens, die ohne die gefährlichen politischen Folgen sogar als ein Aber wir brauchen nicht dahin zu schweifen, was heute Fremde für uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229467"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1539" prev="#ID_1538"> deutschen Wesens, die ohne die gefährlichen politischen Folgen sogar als ein<lb/> wesentlicher Vorzug des deutschen Lebens angesehen werden müßten. Aber ebenso,<lb/> wie die Vielgestaltigkeit der Lebensäußerungen dadurch beeinflußt und gefördert<lb/> wird, so ist sie auch die Ursache des verhängnisvollen deutschen Sondergeistes.<lb/> Dieser Maugel an Gemeinsinn und an der Freude am Einheitsstaate, der das<lb/> gesamte Deutschtum von der Nord- und Ostsee bis an das Adriatische Meer<lb/> umfaßt, ist der Fluch unsrer Geschichte, ja des ganzen Germanentums geworden.<lb/> Nur der Deutsche hat den Deutschen mit dauerndem Erfolg in der Geschichte<lb/> bekämpft. Die deutsche Langobardenherrschaft in Oberitalien stürzten Pippin<lb/> und Karl der Große. Die Hohenstaufen, die Blüte des Kaisertums, fanden<lb/> ihren Untergang an den Mauern der lombardischen Städte; denn das deutsche<lb/> Bürgertum auf italienischen Boden vernichtete die ritterlichen Trüger der<lb/> deutschen Krone. Die alte Lombardei umfaßte in der ältern Zeit übrigens<lb/> günz Norditalien. Erst am Ende des Mittelalters nßeu Savoyen von seiner<lb/> kaiserlichen Lehnsgrafschaft Piemont aus und Venedig vom Küstensaume aus<lb/> die Außenblätter der lombardischen Artischocke, wie die italienischen Geschicht¬<lb/> schreiber mit treffendem Gleichnis berichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1540" next="#ID_1541"> Aber wir brauchen nicht dahin zu schweifen, was heute Fremde für uns<lb/> ist. Auch auf noch deutschem Volksboden bietet sich dasselbe Schauspiel, ja<lb/> innerhalb der neuen Reichsgrenze selbst. Bayern spricht von angestammter<lb/> Staatsgestnnnng im Gegensatze zum Reiche, das für den Süden noch immer<lb/> das vergrößerte Preußen ist. Und doch hat erst Napoleon das moderne<lb/> Bayern geschaffen! Schwaben und Franken sind dort die Mehrheit gegenüber<lb/> den Bayern, die auch nie sämtlich dem Hause Wittelsbach Unterthan waren.<lb/> Es giebt also gar keine bayrische Sonderart im geschichtlichen und nationalen<lb/> Sinne. Trotzdem läßt sich thatsächlich der Unterschied nicht leugne», und die<lb/> Abstimmung im Reichstage über die Flottenvorlage hat gezeigt, daß der Süden<lb/> (bayrisches Zentrum und süddeutsche Volkspartei, also die größten Gegner<lb/> unter einander) fest geschlossen und einträchtig gegen das Wohl des Reiches<lb/> gestimmt hat. Bayern hat noch nicht Bismarcks Erwartung erfüllt, daß es<lb/> freiwillig auf seine Reservatrechte verzichten werde, die ihm bloß unter dieser<lb/> Boraussetzung zugestanden worden waren. Bismarck wollte den Druck bei den<lb/> Novemberverträgen des Jahres 1870 vermeiden, dem sich Bayern wohl oder<lb/> übel hatte fügen müssen. Jetzt ist Bayern sogar ohne staatsrechtlichen Anhalt<lb/> das Haupthindernis zur Ausführung und Ausgestaltung der Reichsverfassung.<lb/> I" Gemeinschaft mit Sachsen hat es die Übertragung der Staatsbahnen auf<lb/> das Reich verhindert. Gegenwärtig will es eine ungerechtfertigte Sonder¬<lb/> stellung bei der Kriegsgerichtsbarkeit. Das süddeutsche Postregal ist ein Hohn<lb/> "uf die Verkehrseinheit des Reiches. Auch nachdem das Bürgerliche Gesetz¬<lb/> buch rechtskräftig geworden ist, versucht Bayern verfassungswidrig seinen bis¬<lb/> herigen obersten Gerichtshof zu verewigen, während Preußen schon jetzt die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
deutschen Wesens, die ohne die gefährlichen politischen Folgen sogar als ein
wesentlicher Vorzug des deutschen Lebens angesehen werden müßten. Aber ebenso,
wie die Vielgestaltigkeit der Lebensäußerungen dadurch beeinflußt und gefördert
wird, so ist sie auch die Ursache des verhängnisvollen deutschen Sondergeistes.
Dieser Maugel an Gemeinsinn und an der Freude am Einheitsstaate, der das
gesamte Deutschtum von der Nord- und Ostsee bis an das Adriatische Meer
umfaßt, ist der Fluch unsrer Geschichte, ja des ganzen Germanentums geworden.
Nur der Deutsche hat den Deutschen mit dauerndem Erfolg in der Geschichte
bekämpft. Die deutsche Langobardenherrschaft in Oberitalien stürzten Pippin
und Karl der Große. Die Hohenstaufen, die Blüte des Kaisertums, fanden
ihren Untergang an den Mauern der lombardischen Städte; denn das deutsche
Bürgertum auf italienischen Boden vernichtete die ritterlichen Trüger der
deutschen Krone. Die alte Lombardei umfaßte in der ältern Zeit übrigens
günz Norditalien. Erst am Ende des Mittelalters nßeu Savoyen von seiner
kaiserlichen Lehnsgrafschaft Piemont aus und Venedig vom Küstensaume aus
die Außenblätter der lombardischen Artischocke, wie die italienischen Geschicht¬
schreiber mit treffendem Gleichnis berichten.
Aber wir brauchen nicht dahin zu schweifen, was heute Fremde für uns
ist. Auch auf noch deutschem Volksboden bietet sich dasselbe Schauspiel, ja
innerhalb der neuen Reichsgrenze selbst. Bayern spricht von angestammter
Staatsgestnnnng im Gegensatze zum Reiche, das für den Süden noch immer
das vergrößerte Preußen ist. Und doch hat erst Napoleon das moderne
Bayern geschaffen! Schwaben und Franken sind dort die Mehrheit gegenüber
den Bayern, die auch nie sämtlich dem Hause Wittelsbach Unterthan waren.
Es giebt also gar keine bayrische Sonderart im geschichtlichen und nationalen
Sinne. Trotzdem läßt sich thatsächlich der Unterschied nicht leugne», und die
Abstimmung im Reichstage über die Flottenvorlage hat gezeigt, daß der Süden
(bayrisches Zentrum und süddeutsche Volkspartei, also die größten Gegner
unter einander) fest geschlossen und einträchtig gegen das Wohl des Reiches
gestimmt hat. Bayern hat noch nicht Bismarcks Erwartung erfüllt, daß es
freiwillig auf seine Reservatrechte verzichten werde, die ihm bloß unter dieser
Boraussetzung zugestanden worden waren. Bismarck wollte den Druck bei den
Novemberverträgen des Jahres 1870 vermeiden, dem sich Bayern wohl oder
übel hatte fügen müssen. Jetzt ist Bayern sogar ohne staatsrechtlichen Anhalt
das Haupthindernis zur Ausführung und Ausgestaltung der Reichsverfassung.
I" Gemeinschaft mit Sachsen hat es die Übertragung der Staatsbahnen auf
das Reich verhindert. Gegenwärtig will es eine ungerechtfertigte Sonder¬
stellung bei der Kriegsgerichtsbarkeit. Das süddeutsche Postregal ist ein Hohn
"uf die Verkehrseinheit des Reiches. Auch nachdem das Bürgerliche Gesetz¬
buch rechtskräftig geworden ist, versucht Bayern verfassungswidrig seinen bis¬
herigen obersten Gerichtshof zu verewigen, während Preußen schon jetzt die
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