Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Die Handelspolitik im Jahre 1.901. sein Tarifschema -- in der Hauptsache noch das altpreußische -- veraltet ist; die Unsre volkswirtschaftliche wie die gesamte weltwirtschaftliche Lage hat sich Die Handelspolitik im Jahre 1.901. sein Tarifschema — in der Hauptsache noch das altpreußische — veraltet ist; die Unsre volkswirtschaftliche wie die gesamte weltwirtschaftliche Lage hat sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233901"/> <fw type="header" place="top"> Die Handelspolitik im Jahre 1.901.</fw><lb/> <p xml:id="ID_31" prev="#ID_30"> sein Tarifschema — in der Hauptsache noch das altpreußische — veraltet ist; die<lb/> technischen Fortschritte in der Warenproduktion und die ganze Entwicklung<lb/> unsers internationalen .Handels verlangen eine Neueinteilung, die Zerlegung<lb/> alter, die Aufnahme neuer Warengattungen in das Schema. Wird aber das<lb/> Tarifschema in dieser Weise ergänzt, so müssen auch die Zollsätze ergänzt, also<lb/> überhaupt ein neuer Zolltarif' festgesetzt werden. Das würde freilich immer<lb/> nur auf eine mehr oder weniger formelle Reform hinauslaufen, die keine Ver¬<lb/> anlassung zu ernsthaften handelspolitischen Kämpfen geben konnte, wenn man<lb/> entschlossen wäre, an der Ausmessung der bisherigen Schutzzollschranken nichts<lb/> wesentliches zu ändern, namentlich keine Verschärfung des Schutzzollsystems im<lb/> allgemeinen zuzulassen. An sich braucht eine Erhöhung gewisser Zölle in dem<lb/> neuen Tarif nicht darauf abzuzielen. Sie könnte auch den Zweck haben, sich<lb/> zugkräftige Kompensationsobjekte und Retorsionshandhaben zu schaffen, um<lb/> bei den bevorstehenden Vertragsverhandlungen günstigere Bedingungen vom<lb/> Auslande für unsern Export zu erlangen. Aber darum allein handelt es sich<lb/> nicht. Dem Verlangen der organisierten Landwirte nach höhern Agrarzöllen<lb/> ist von mehreren Regierungen schon ausdrücklich im Grundsatz nachgegeben<lb/> worden, und wiederholt haben sich auch hohe Reichsbeamte, so namentlich der<lb/> Staatssekretär des Innern, in diesem Sinne geäußert. Im Reichstage sind<lb/> die agrarischen Forderungen der Mehrheit sicher, und vom Bundesrat hat<lb/> diese Mehrheit eine zwar sehr vorsichtige, aber immerhin als Zustimmung be¬<lb/> trachtete Erklärung herauszudrücken verstanden. Auch die einflußreichste Gruppe<lb/> der Großindustrie hat sich den agrarischen Wünschen geneigt gezeigt und sogar<lb/> auf dem Gebiete der Jndnftriezölle eine Erhöhung des Schutzzolls grundsätzlich<lb/> und allgemein befürwortet, freilich unter scharfer Betonung der Notwendigkeit<lb/> langläufiger Verträge. Eine Verschärfung des Schutzzollsystems ist damit in<lb/> Aussicht genommen morden. Wenn die Jndustrieschutzzöllner behaupten, da¬<lb/> durch zugleich die wirtschaftliche Expansion, vor allem unsern Ausfuhrhandel<lb/> fördern zu wollen, so kann wohl nur ein besondrer Aufwand von So¬<lb/> phismen darüber täuschen, daß das für das Ganze unsrer Volkswirtschaft nicht<lb/> richtig ist. Nur einzelne Industriezweige können mit Recht von der Stei¬<lb/> gerung der Inlandspreise die Möglichkeit erwarten, nach dem Auslande mit<lb/> Nutzen umso billiger verkaufen zu können. Im ganzen bedeutet zweifellos die<lb/> Verschärfung des' Schutzzollsystems im Deutschen Reiche zugleich die Ver¬<lb/> schärfung der Absperrungstendenz im Auslande und damit eine Beengung<lb/> unsrer Erwerbssphnre, eine Beeinträchtigung unsers Ausfuhrhandels und unsers<lb/> friedlichen Anteils an der Weltwirtschaft. Übrigens soll damit nicht die Neu¬<lb/> einführung oder Erhöhung gewisser Erziehungszölle abgelehnt und die Berech¬<lb/> tigung gewisser Notstandszölle bestritten werden, sofern nur die Notwendigkeit<lb/> erwiesen ist. Aber der Aufbau und die Erhöhung der künstlichen Zollschranken<lb/> ohne Not ist ebenso unkonservativ wie der rücksichtslose Abbau.</p><lb/> <p xml:id="ID_32" next="#ID_33"> Unsre volkswirtschaftliche wie die gesamte weltwirtschaftliche Lage hat sich<lb/> seit 1879 so sehr verändert, daß eine Nachprüfung der damals für angebracht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
Die Handelspolitik im Jahre 1.901.
sein Tarifschema — in der Hauptsache noch das altpreußische — veraltet ist; die
technischen Fortschritte in der Warenproduktion und die ganze Entwicklung
unsers internationalen .Handels verlangen eine Neueinteilung, die Zerlegung
alter, die Aufnahme neuer Warengattungen in das Schema. Wird aber das
Tarifschema in dieser Weise ergänzt, so müssen auch die Zollsätze ergänzt, also
überhaupt ein neuer Zolltarif' festgesetzt werden. Das würde freilich immer
nur auf eine mehr oder weniger formelle Reform hinauslaufen, die keine Ver¬
anlassung zu ernsthaften handelspolitischen Kämpfen geben konnte, wenn man
entschlossen wäre, an der Ausmessung der bisherigen Schutzzollschranken nichts
wesentliches zu ändern, namentlich keine Verschärfung des Schutzzollsystems im
allgemeinen zuzulassen. An sich braucht eine Erhöhung gewisser Zölle in dem
neuen Tarif nicht darauf abzuzielen. Sie könnte auch den Zweck haben, sich
zugkräftige Kompensationsobjekte und Retorsionshandhaben zu schaffen, um
bei den bevorstehenden Vertragsverhandlungen günstigere Bedingungen vom
Auslande für unsern Export zu erlangen. Aber darum allein handelt es sich
nicht. Dem Verlangen der organisierten Landwirte nach höhern Agrarzöllen
ist von mehreren Regierungen schon ausdrücklich im Grundsatz nachgegeben
worden, und wiederholt haben sich auch hohe Reichsbeamte, so namentlich der
Staatssekretär des Innern, in diesem Sinne geäußert. Im Reichstage sind
die agrarischen Forderungen der Mehrheit sicher, und vom Bundesrat hat
diese Mehrheit eine zwar sehr vorsichtige, aber immerhin als Zustimmung be¬
trachtete Erklärung herauszudrücken verstanden. Auch die einflußreichste Gruppe
der Großindustrie hat sich den agrarischen Wünschen geneigt gezeigt und sogar
auf dem Gebiete der Jndnftriezölle eine Erhöhung des Schutzzolls grundsätzlich
und allgemein befürwortet, freilich unter scharfer Betonung der Notwendigkeit
langläufiger Verträge. Eine Verschärfung des Schutzzollsystems ist damit in
Aussicht genommen morden. Wenn die Jndustrieschutzzöllner behaupten, da¬
durch zugleich die wirtschaftliche Expansion, vor allem unsern Ausfuhrhandel
fördern zu wollen, so kann wohl nur ein besondrer Aufwand von So¬
phismen darüber täuschen, daß das für das Ganze unsrer Volkswirtschaft nicht
richtig ist. Nur einzelne Industriezweige können mit Recht von der Stei¬
gerung der Inlandspreise die Möglichkeit erwarten, nach dem Auslande mit
Nutzen umso billiger verkaufen zu können. Im ganzen bedeutet zweifellos die
Verschärfung des' Schutzzollsystems im Deutschen Reiche zugleich die Ver¬
schärfung der Absperrungstendenz im Auslande und damit eine Beengung
unsrer Erwerbssphnre, eine Beeinträchtigung unsers Ausfuhrhandels und unsers
friedlichen Anteils an der Weltwirtschaft. Übrigens soll damit nicht die Neu¬
einführung oder Erhöhung gewisser Erziehungszölle abgelehnt und die Berech¬
tigung gewisser Notstandszölle bestritten werden, sofern nur die Notwendigkeit
erwiesen ist. Aber der Aufbau und die Erhöhung der künstlichen Zollschranken
ohne Not ist ebenso unkonservativ wie der rücksichtslose Abbau.
Unsre volkswirtschaftliche wie die gesamte weltwirtschaftliche Lage hat sich
seit 1879 so sehr verändert, daß eine Nachprüfung der damals für angebracht
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