Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Vermindcnmg und verbillign"", der Prozesse weisaufnahmen, die sich bei Gericht als notwendig ergeben, würden dem sach- So würden viele Streitigkeiten geringfügiger Art dnrch Vergleich beseitigt 2. Ähnlich verhält es sich mit der Gestaltung des Rechtsmittels gegen Vermindcnmg und verbillign»«, der Prozesse weisaufnahmen, die sich bei Gericht als notwendig ergeben, würden dem sach- So würden viele Streitigkeiten geringfügiger Art dnrch Vergleich beseitigt 2. Ähnlich verhält es sich mit der Gestaltung des Rechtsmittels gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235297"/> <fw type="header" place="top"> Vermindcnmg und verbillign»«, der Prozesse</fw><lb/> <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> weisaufnahmen, die sich bei Gericht als notwendig ergeben, würden dem sach-<lb/> und geschäftskundigen Gemeinderichter erspart werden, und es würde danach in<lb/> zahlreichen Füllen die bedauerliche Thatsache vermieden, daß man unter allen<lb/> Umstünden eine» Aufwand von 30 Mark Kosten wagen oder mehrere Reisen<lb/> und versäumte Arbeitstage in Aussicht nehmen muß, um einen Anspruch von<lb/> mehreren Mark durchzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_511"> So würden viele Streitigkeiten geringfügiger Art dnrch Vergleich beseitigt<lb/> oder dnrch eine schleunige Entscheidung unter geringen Kosten erledigt, ohne<lb/> daß hiermit dem, der nach Iherings Rat den Kampf uns Recht bis zum<lb/> äußersten verfolgen will, zu nahe getreten würde; denn gegen die Entscheidung<lb/> des Gemeindegerichts erfolgt die Berufung anf den Rechtsweg, die Umgebung<lb/> des Gerichts durch Erhebung der Klage; und mit dieser mag die Einstellung<lb/> der ans der Entscheidung des Gemeiudegerichts beantragten Zlvangsvollstrecknng<lb/> verbunden werden. Ein irgendwie wesentlicher Grund gegen die Einführung<lb/> dieser „sozialpolitischen" Einrichtung Badens und Württembergs durch die<lb/> Reichs- oder Landesgesetzgcbnng besteht also thatsächlich nicht; selbstverständlich<lb/> wird die Gemeiudegerichtsbarkcit in großen und größern Städten anch nicht<lb/> durch die Oberlmrgermeister, sondern dnrch geeignete Stellvertreter ausgeübt.<lb/> Bei der Beratung der Reichsjustizgesctze war jedoch die Aufmerksamkeit der<lb/> Juristeuwelt viel zu sehr gerichtet auf die neue Einrichtung der „Mündlichkeit"<lb/> des Verfahrens, diese „bewußte Lüge," wie Bähr es bezeichnet, die dein Richter<lb/> eine Aufgabe zumutet, der er unter keinen Umständen gewachsen ist, und die<lb/> in Verbindung mit dem Parteibetriebe das materielle Recht allen Schwächen<lb/> des Juristenstandes aussetzt. Darum hatte man damals keine Zeit, die Ein¬<lb/> richtung süddeutscher Staaten zu verallgemeinern, durch die eine starke Ver¬<lb/> minderung und Verbillignng der Prozesse des armen Mannes erreicht würde.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 2. </head> <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Ähnlich verhält es sich mit der Gestaltung des Rechtsmittels gegen<lb/> die Entscheidungen des Gerichts in geringfügigen Streitigkeiten. In Preußen<lb/> und vielen andern Staaten erfolgte gegen die Entscheidungen des Einzelrichters<lb/> nicht die Berufung, sondern nur die Rckursbeschwerde, die nnr darauf gestützt<lb/> werden konnte, daß die angefochtnc Entscheidung auf Verletzung einer Rechts¬<lb/> norm beruhe. Sie war beim Einzelrichter einzureichen und von ihm dem<lb/> Appellationsgericht vorzulegen; erachtete dieses die behauptete Gesetzesverletzung<lb/> nicht als vorliegend, so wurde ohne Termin und Verhandlung die Beschwerde<lb/> einfach durch Beschluß verworfen. Der gänzliche Ausschluß der Berufung,<lb/> insbesondre also neuer Anführungen und Beweismittel gegen Entscheidungen<lb/> des Einzclrichters war nun freilich ein offenbarer Mangel. Immerhin hatte<lb/> das geschilderte Verfahren den Vorzug, daß, soweit ster die zweite Instanz<lb/> lediglich eine nochmalige rechtliche Aburteilung in Frage kam, und die in dieser<lb/> Richtung erhobnen Angriffe sich als offenbar unbegründet ergaben, die Kosten<lb/> des zweiten Rechtszuges in geringfügigen Streitigkeiten vermieden wurden.<lb/> Es hätte min nahe gelegen, daß auf Grund der letzten Erwägung die Zivil¬<lb/> prozeßordnung das Rechtsmittel gegen Urteile des Einzelrichters in ähnlicher</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0125]
Vermindcnmg und verbillign»«, der Prozesse
weisaufnahmen, die sich bei Gericht als notwendig ergeben, würden dem sach-
und geschäftskundigen Gemeinderichter erspart werden, und es würde danach in
zahlreichen Füllen die bedauerliche Thatsache vermieden, daß man unter allen
Umstünden eine» Aufwand von 30 Mark Kosten wagen oder mehrere Reisen
und versäumte Arbeitstage in Aussicht nehmen muß, um einen Anspruch von
mehreren Mark durchzusetzen.
So würden viele Streitigkeiten geringfügiger Art dnrch Vergleich beseitigt
oder dnrch eine schleunige Entscheidung unter geringen Kosten erledigt, ohne
daß hiermit dem, der nach Iherings Rat den Kampf uns Recht bis zum
äußersten verfolgen will, zu nahe getreten würde; denn gegen die Entscheidung
des Gemeindegerichts erfolgt die Berufung anf den Rechtsweg, die Umgebung
des Gerichts durch Erhebung der Klage; und mit dieser mag die Einstellung
der ans der Entscheidung des Gemeiudegerichts beantragten Zlvangsvollstrecknng
verbunden werden. Ein irgendwie wesentlicher Grund gegen die Einführung
dieser „sozialpolitischen" Einrichtung Badens und Württembergs durch die
Reichs- oder Landesgesetzgcbnng besteht also thatsächlich nicht; selbstverständlich
wird die Gemeiudegerichtsbarkcit in großen und größern Städten anch nicht
durch die Oberlmrgermeister, sondern dnrch geeignete Stellvertreter ausgeübt.
Bei der Beratung der Reichsjustizgesctze war jedoch die Aufmerksamkeit der
Juristeuwelt viel zu sehr gerichtet auf die neue Einrichtung der „Mündlichkeit"
des Verfahrens, diese „bewußte Lüge," wie Bähr es bezeichnet, die dein Richter
eine Aufgabe zumutet, der er unter keinen Umständen gewachsen ist, und die
in Verbindung mit dem Parteibetriebe das materielle Recht allen Schwächen
des Juristenstandes aussetzt. Darum hatte man damals keine Zeit, die Ein¬
richtung süddeutscher Staaten zu verallgemeinern, durch die eine starke Ver¬
minderung und Verbillignng der Prozesse des armen Mannes erreicht würde.
2. Ähnlich verhält es sich mit der Gestaltung des Rechtsmittels gegen
die Entscheidungen des Gerichts in geringfügigen Streitigkeiten. In Preußen
und vielen andern Staaten erfolgte gegen die Entscheidungen des Einzelrichters
nicht die Berufung, sondern nur die Rckursbeschwerde, die nnr darauf gestützt
werden konnte, daß die angefochtnc Entscheidung auf Verletzung einer Rechts¬
norm beruhe. Sie war beim Einzelrichter einzureichen und von ihm dem
Appellationsgericht vorzulegen; erachtete dieses die behauptete Gesetzesverletzung
nicht als vorliegend, so wurde ohne Termin und Verhandlung die Beschwerde
einfach durch Beschluß verworfen. Der gänzliche Ausschluß der Berufung,
insbesondre also neuer Anführungen und Beweismittel gegen Entscheidungen
des Einzclrichters war nun freilich ein offenbarer Mangel. Immerhin hatte
das geschilderte Verfahren den Vorzug, daß, soweit ster die zweite Instanz
lediglich eine nochmalige rechtliche Aburteilung in Frage kam, und die in dieser
Richtung erhobnen Angriffe sich als offenbar unbegründet ergaben, die Kosten
des zweiten Rechtszuges in geringfügigen Streitigkeiten vermieden wurden.
Es hätte min nahe gelegen, daß auf Grund der letzten Erwägung die Zivil¬
prozeßordnung das Rechtsmittel gegen Urteile des Einzelrichters in ähnlicher
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