Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Die britische Regierung und sein Wasser floß in der gewohnten Rinne weiter; nur entstammte sein Die Regierungsnmter blieben also der Form nach, wie sie waren, und sind Einer Änderung im Wesen unterlag schon zu Anfang des neuen Zeitraums Der erste Lord des Schatzamts steht den Finanzen genau so fern wie Eigentlich kann es in England einen Premierminister so wenig wie ein Die britische Regierung und sein Wasser floß in der gewohnten Rinne weiter; nur entstammte sein Die Regierungsnmter blieben also der Form nach, wie sie waren, und sind Einer Änderung im Wesen unterlag schon zu Anfang des neuen Zeitraums Der erste Lord des Schatzamts steht den Finanzen genau so fern wie Eigentlich kann es in England einen Premierminister so wenig wie ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237420"/> <fw type="header" place="top"> Die britische Regierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_693" prev="#ID_692"> und sein Wasser floß in der gewohnten Rinne weiter; nur entstammte sein<lb/> Wasser nicht mehr der königlichen Quelle, sondern der parlamentarischen.</p><lb/> <p xml:id="ID_694"> Die Regierungsnmter blieben also der Form nach, wie sie waren, und sind<lb/> bloß nach und nach dem Bedürfnis gemäß weiter ausgebaut und neugestaltet<lb/> worden. Unter den jetzt bestehenden lassen sich drei ziemlich scharf getrennte<lb/> Gruppen erkennen, erstens die alten aus der Tudorzeit herübergenommnen<lb/> Ämter, zweitens solche, die ihr Dasein ans Ausschüsse des Geheimen Rats<lb/> zurückführen, und drittens solche, die für sich allein und abseits von der Ver¬<lb/> waltung des eigentlichen englischen Königreichs stehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_695"> Einer Änderung im Wesen unterlag schon zu Anfang des neuen Zeitraums<lb/> das Amt des Lordschatzmeistcrs, der, unbeschadet des höhern Ranges des Lord¬<lb/> kanzlers, der wichtigste und mächtigste Beamte und der Leiter des Ganzen war.<lb/> Um nun nicht so viel Gewalt in der Hand eines Mannes zu lassen, wurden<lb/> bald nach der Thronbesteigung Georgs I. die Befugnisse des Lordschatzmeisters<lb/> einer Kommission von fünf Mitgliedern übertragen, dem ersten Lord, dem<lb/> Schatzkanzler und den drei jüngern Lords des Schatzamts. Nach dem Patente<lb/> sollten sie einander gleichstehn und gemeinsam das Schatzamt verwalten. Doch<lb/> das Schatzamt hat längst aufgehört, eine kollegialische Behörde zu sein. Was<lb/> die Verwaltung des Staatsschatzes angeht, ist der Schatzkanzler der wirkliche<lb/> und alleinige Finanzminister, verantwortlich für Einnahmen und Ausgaben und<lb/> die Aufstellung des Budgets. Um die Stetigkeit der Geschäftsführung zu be¬<lb/> wahren, steht unter ihm ein ständiger Sekretär, der nicht dem Parlament ent¬<lb/> nommen ist und darum von einem Negicruiugswechsel nicht berührt wird. Da<lb/> das Unterhaus alle Fragen der Finanz für sich allein beansprucht, so ent¬<lb/> stammen der Schntzkanzler und die jüngern Lords des Schatzamts immer den<lb/> Gemeinen. Eine selbständige Thätigkeit fällt den jüngern Lords nicht zu. Ihre<lb/> Arbeit beschränkt sich auf die Unterzeichnung gewisser Schriftstücke. Zu sagen<lb/> haben sie wenig, und gegen den Schatzkanzler gilt ihre Stimme nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_696"> Der erste Lord des Schatzamts steht den Finanzen genau so fern wie<lb/> der Lordschatzmeister. Er hat mit dem Schntznmte nicht mehr als den Namen<lb/> gemein. Als die kollegialische Behandlung der Geschäfte mit dem Überwiegen<lb/> des Schatzkanzlers in Finanzsachen schwand, siel dem ersten Lord billigerweise<lb/> alles übrige anheim. Er wurde, der Absicht zuwider, die bei der Einsetzung<lb/> der Kommission obwaltete, der Nachfolger des Lordschatzmeisters als Leiter der<lb/> Regierung. Er entwickelte sich zum Premierminister.</p><lb/> <p xml:id="ID_697" next="#ID_698"> Eigentlich kann es in England einen Premierminister so wenig wie ein<lb/> Kabinett geben. Der Theorie nach stehn alle Minister als Diener des Königs<lb/> und als Mitglieder des Geheimen Rats einander gleich. Es hat auch lange<lb/> gedauert, bevor einem Minister ein Borrang vor seinen Amtsgenossen einge¬<lb/> räumt wurde. Walpole war erster Minister rein durch das Gewicht seiner<lb/> Persönlichkeit und erfuhr deswegen bittre Anfeindung. Nach ihm ragte unter<lb/> den Ministern keiner vor den andern hervor, bis der ältere Pitt ans Nuder<lb/> kam, von dem an ein Premierminister allgemein als höher stehend anerkannt<lb/> wurde. Da nun aber ein Premierminister keinen Platz in der englischen Ver¬<lb/> fassung hat, so wurde es Gebrauch, die Würde des ersten Lords des Schatz-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
Die britische Regierung
und sein Wasser floß in der gewohnten Rinne weiter; nur entstammte sein
Wasser nicht mehr der königlichen Quelle, sondern der parlamentarischen.
Die Regierungsnmter blieben also der Form nach, wie sie waren, und sind
bloß nach und nach dem Bedürfnis gemäß weiter ausgebaut und neugestaltet
worden. Unter den jetzt bestehenden lassen sich drei ziemlich scharf getrennte
Gruppen erkennen, erstens die alten aus der Tudorzeit herübergenommnen
Ämter, zweitens solche, die ihr Dasein ans Ausschüsse des Geheimen Rats
zurückführen, und drittens solche, die für sich allein und abseits von der Ver¬
waltung des eigentlichen englischen Königreichs stehn.
Einer Änderung im Wesen unterlag schon zu Anfang des neuen Zeitraums
das Amt des Lordschatzmeistcrs, der, unbeschadet des höhern Ranges des Lord¬
kanzlers, der wichtigste und mächtigste Beamte und der Leiter des Ganzen war.
Um nun nicht so viel Gewalt in der Hand eines Mannes zu lassen, wurden
bald nach der Thronbesteigung Georgs I. die Befugnisse des Lordschatzmeisters
einer Kommission von fünf Mitgliedern übertragen, dem ersten Lord, dem
Schatzkanzler und den drei jüngern Lords des Schatzamts. Nach dem Patente
sollten sie einander gleichstehn und gemeinsam das Schatzamt verwalten. Doch
das Schatzamt hat längst aufgehört, eine kollegialische Behörde zu sein. Was
die Verwaltung des Staatsschatzes angeht, ist der Schatzkanzler der wirkliche
und alleinige Finanzminister, verantwortlich für Einnahmen und Ausgaben und
die Aufstellung des Budgets. Um die Stetigkeit der Geschäftsführung zu be¬
wahren, steht unter ihm ein ständiger Sekretär, der nicht dem Parlament ent¬
nommen ist und darum von einem Negicruiugswechsel nicht berührt wird. Da
das Unterhaus alle Fragen der Finanz für sich allein beansprucht, so ent¬
stammen der Schntzkanzler und die jüngern Lords des Schatzamts immer den
Gemeinen. Eine selbständige Thätigkeit fällt den jüngern Lords nicht zu. Ihre
Arbeit beschränkt sich auf die Unterzeichnung gewisser Schriftstücke. Zu sagen
haben sie wenig, und gegen den Schatzkanzler gilt ihre Stimme nichts.
Der erste Lord des Schatzamts steht den Finanzen genau so fern wie
der Lordschatzmeister. Er hat mit dem Schntznmte nicht mehr als den Namen
gemein. Als die kollegialische Behandlung der Geschäfte mit dem Überwiegen
des Schatzkanzlers in Finanzsachen schwand, siel dem ersten Lord billigerweise
alles übrige anheim. Er wurde, der Absicht zuwider, die bei der Einsetzung
der Kommission obwaltete, der Nachfolger des Lordschatzmeisters als Leiter der
Regierung. Er entwickelte sich zum Premierminister.
Eigentlich kann es in England einen Premierminister so wenig wie ein
Kabinett geben. Der Theorie nach stehn alle Minister als Diener des Königs
und als Mitglieder des Geheimen Rats einander gleich. Es hat auch lange
gedauert, bevor einem Minister ein Borrang vor seinen Amtsgenossen einge¬
räumt wurde. Walpole war erster Minister rein durch das Gewicht seiner
Persönlichkeit und erfuhr deswegen bittre Anfeindung. Nach ihm ragte unter
den Ministern keiner vor den andern hervor, bis der ältere Pitt ans Nuder
kam, von dem an ein Premierminister allgemein als höher stehend anerkannt
wurde. Da nun aber ein Premierminister keinen Platz in der englischen Ver¬
fassung hat, so wurde es Gebrauch, die Würde des ersten Lords des Schatz-
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