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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

In den ersten Tagen nach dem Einmarsch bedürfte es keiner Depeschen.
Am 27. (Mittwoch) verbreitete sich die Nachricht von einem scharfen Gefecht
in der Nähe von Niemes (bei Hühnerwasser am 26. Juni), das sehr verlustvoll
gewesen sein sollte, und als ich gegen neun Uhr Abends von meinem Dienst
auf dem Rathause nach Hause ging, machte sich eben ein Feldlazarett, dessen
Wagenkolonne auf dem Markte stand, zum Aufbruch nach dem Schlachtfelde
fertig; singend marschierten die Leute in die Nacht hinaus. Am nächsten
Morgen (28.) hatten wir die lebendigen Beweise des Sieges vor Augen: die
ersten österreichischen Gefangnen, 103 Mann, trafen mit Fußmarsch ein, von
einer wohl überflüssig starken Eskorte, 12 Landwehrhusaren und 36 Füsilieren
begleitet, zu einem Viertel Jäger, der Mehrzahl nach Italiener vom Regiment
Haugwitz, die mit dem Rufe IZvviva 1a?russa! übergelaufen waren. Das
tröstete viele Zuschauer über die Niederlage; aber wie konnte man auch Italiener
gleich bei diesem ersten Gefecht ins Feuer schicken und den Preußen somit ihren
Sieg erleichtern, der nach der Versicherung der Offiziere die Truppen geradezu
elektrisierte, weil ihnen dabei die Überlegenheit ihres Zündnadelgewehrs gegen¬
über der törichten Stoßtaktik der Österreicher, die ihnen seit 1859, trotz der
Erfahrungen des dänischen Feldzuges von 1864, als die höchste militärische
Weisheit galt, zum erstenmal klar geworden war. Aber an demselben Tage
noch wurde uns klar, daß sich in größerer Entfernung ein ernster Kampf
entsponnen habe, wie man denn die österreichische Hauptarmee, angeblich
300000 Mann, an der Jser vermutete und mit Genugtuung angebliche
Äußerungen preußischer Offiziere erzählte, dagegen sei die preußische Armee
zu schwach. Seit dem frühen Morgen war in der freien Umgebung der
Stadt ferner Kanonendonner hörbar, kurze, dumpfe Schläge in wechselnden
Pausen; gegen zehn Uhr wurde er so stark, daß die Leute von den Bleichen
im Süden der Stadt hereinkamen, weil sie glaubten, die Schlacht nähere sich.
Um Mittag trat eine Pause ein, nach zwei Uhr wurde das Feuer wieder
deutlich vernehmbar. Es war das blutige Gefecht von Münchengrütz und Podol
an der Jser, das sich hier sozusagen vor unsern Ohren abspielte, in einer Ent¬
fernung von durchschnittlich 40 Kilometern. Am nächsten Tage berichteten
ein paar Pioniere, die zurückkamen, einige Einzelheiten von dem Kampfe;
zugleich ging das dritte schwere Feldlazarett des achten Armeekorps durch die
Stadt, und achthundert Verwundete wurden angemeldet, einzelne Wagen mit
solchen trafen auch schon im Laufe des Tages vor dem Hauptlazarett ein.
Da war es in der Tat an der Zeit, daß zur Bildung eines Vereins für die
Pflege der Verwundeten und der Kranken im Felde aufgefordert wurde; an so
etwas hatte man bis dahin in Sachsen überhaupt noch gar nicht gedacht. Ein
Zittauer Spediteur, der mit der preußischen Feldpost bis Münchengrütz ge¬
kommen war und unmittelbar von dort zurückkehrte, hatte noch überall die Leichen
der Gefallnen und zahllose Uniformstücke, Waffen und dergleichen liegen sehen
und war über die Bohlen der abgebrannten Brücke nur mit Mühe kriechend


vor vierzig Jahren

In den ersten Tagen nach dem Einmarsch bedürfte es keiner Depeschen.
Am 27. (Mittwoch) verbreitete sich die Nachricht von einem scharfen Gefecht
in der Nähe von Niemes (bei Hühnerwasser am 26. Juni), das sehr verlustvoll
gewesen sein sollte, und als ich gegen neun Uhr Abends von meinem Dienst
auf dem Rathause nach Hause ging, machte sich eben ein Feldlazarett, dessen
Wagenkolonne auf dem Markte stand, zum Aufbruch nach dem Schlachtfelde
fertig; singend marschierten die Leute in die Nacht hinaus. Am nächsten
Morgen (28.) hatten wir die lebendigen Beweise des Sieges vor Augen: die
ersten österreichischen Gefangnen, 103 Mann, trafen mit Fußmarsch ein, von
einer wohl überflüssig starken Eskorte, 12 Landwehrhusaren und 36 Füsilieren
begleitet, zu einem Viertel Jäger, der Mehrzahl nach Italiener vom Regiment
Haugwitz, die mit dem Rufe IZvviva 1a?russa! übergelaufen waren. Das
tröstete viele Zuschauer über die Niederlage; aber wie konnte man auch Italiener
gleich bei diesem ersten Gefecht ins Feuer schicken und den Preußen somit ihren
Sieg erleichtern, der nach der Versicherung der Offiziere die Truppen geradezu
elektrisierte, weil ihnen dabei die Überlegenheit ihres Zündnadelgewehrs gegen¬
über der törichten Stoßtaktik der Österreicher, die ihnen seit 1859, trotz der
Erfahrungen des dänischen Feldzuges von 1864, als die höchste militärische
Weisheit galt, zum erstenmal klar geworden war. Aber an demselben Tage
noch wurde uns klar, daß sich in größerer Entfernung ein ernster Kampf
entsponnen habe, wie man denn die österreichische Hauptarmee, angeblich
300000 Mann, an der Jser vermutete und mit Genugtuung angebliche
Äußerungen preußischer Offiziere erzählte, dagegen sei die preußische Armee
zu schwach. Seit dem frühen Morgen war in der freien Umgebung der
Stadt ferner Kanonendonner hörbar, kurze, dumpfe Schläge in wechselnden
Pausen; gegen zehn Uhr wurde er so stark, daß die Leute von den Bleichen
im Süden der Stadt hereinkamen, weil sie glaubten, die Schlacht nähere sich.
Um Mittag trat eine Pause ein, nach zwei Uhr wurde das Feuer wieder
deutlich vernehmbar. Es war das blutige Gefecht von Münchengrütz und Podol
an der Jser, das sich hier sozusagen vor unsern Ohren abspielte, in einer Ent¬
fernung von durchschnittlich 40 Kilometern. Am nächsten Tage berichteten
ein paar Pioniere, die zurückkamen, einige Einzelheiten von dem Kampfe;
zugleich ging das dritte schwere Feldlazarett des achten Armeekorps durch die
Stadt, und achthundert Verwundete wurden angemeldet, einzelne Wagen mit
solchen trafen auch schon im Laufe des Tages vor dem Hauptlazarett ein.
Da war es in der Tat an der Zeit, daß zur Bildung eines Vereins für die
Pflege der Verwundeten und der Kranken im Felde aufgefordert wurde; an so
etwas hatte man bis dahin in Sachsen überhaupt noch gar nicht gedacht. Ein
Zittauer Spediteur, der mit der preußischen Feldpost bis Münchengrütz ge¬
kommen war und unmittelbar von dort zurückkehrte, hatte noch überall die Leichen
der Gefallnen und zahllose Uniformstücke, Waffen und dergleichen liegen sehen
und war über die Bohlen der abgebrannten Brücke nur mit Mühe kriechend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/590>, abgerufen am 31.10.2024.