Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.Das Eindringen Englands in Aeg^pten Lord Granville hatte in Konstantinopel wiederholt erklären lassen, England Der französische Ministerpräsident hatte zur Beruhigung der Abgeordneten Das Eindringen Englands in Aeg^pten Lord Granville hatte in Konstantinopel wiederholt erklären lassen, England Der französische Ministerpräsident hatte zur Beruhigung der Abgeordneten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323569"/> <fw type="header" place="top"> Das Eindringen Englands in Aeg^pten</fw><lb/> <p xml:id="ID_59"> Lord Granville hatte in Konstantinopel wiederholt erklären lassen, England<lb/> beabsichtige in Ägypten nichts weiter, als die Hohheitsrechte der Türkei und die<lb/> Autorität des Khedive aufrecht zu erhalten. Als aber der Sultan auf den durch<lb/> Arabis Vorgehen verursachten Lärm hin seinerseits Kriegsschiffe nach Alexandrien<lb/> schicken wollte, trat ihm auf Frankreichs Wunsch England entgegen und<lb/> richtete die Aufforderung an die Pforte, sich jeder Einmischung zu enthalten. Die<lb/> schon unter Segel gegangene türkische Flotte mußte unfreiwilligen Aufenthalt in<lb/> Creta nehmen. Um so mehr waren nun die ägyptischen nationalen zum Wider¬<lb/> stande entschlossen. Die Generalkonsuls von England und Frankreich hatten am<lb/> W. Mai 1882 in Kairo das Verlangen gestellt, daß Arabi und zwei andere<lb/> Minister von der Regierung entfernt und auf unbestimmte Zeit in das Innere<lb/> des Landes verschickt wurden. Der Khedive hatte die Note angenommen. Da<lb/> jedoch daraufhin sämtliche Minister ihre Entlassung nahmen und die Armee<lb/> unzweideutig zu erkennen gab, daß sie auf Arabis Seite stand, so mußte Tewsik<lb/> diesen sofort zurückrufen und ihm eine Art Diktatur übertragen. Arabi wollte<lb/> den Spieß nun umkehren; er forderte offen die Absetzung des Khedive. Darob<lb/> großes Entsetzen und „legitime" Entrüstung bei den Briten und ihren französischen<lb/> Trabanten. Um den „Einfluß der Zivilisation zu retten", sollte jetzt sogar die<lb/> soeben noch lahm gelegte Türkei gegen die Anhänger der Militärpartei vorgehen.<lb/> Am 81. Mai trat auf Einladung der Westmächte eine Gesandtenkonferenz in<lb/> Konstantinopel zusammen. Mit Rücksicht auf diese, das heißt, um sie möglichst<lb/> bald wieder los zu werden, ließ sich der Sultan zur Entsendung eines neuen<lb/> Kommissars nach Kairo bestimmen. Ja, er sandte sogar zwei, den einen offen,<lb/> den anderen heimlich, und beide hatten entgegengesetzte Instruktionen. Derwisch<lb/> Pascha, dem der Befehl geworden war, den Arabi-Bey und die wichtigsten<lb/> seiner Anhänger zu verhaften und nach Konstantinopel zu schicken, kam in Kairo<lb/> am 7. Juni an. Vier Tage später brach die Revolution in Alexandrien aus.<lb/> Ein halbes Hundert Europäer wurden ermordet, viele andere verwundet, unter<lb/> den letzteren auch der englische und der griechische Konsul. Das französisch -<lb/> englische Geschwader hätte das Massakre verhindern können und, man sollte<lb/> meinen, auch verhindern müssen. Da England aber darauf sann, die französische<lb/> Konkurrenz abzuschütteln, zauderte es vor einer gemeinsamen Handlung, Frank¬<lb/> reich aber war gleichzeitig mit englischer Erlaubnis, richtiger Ermunterung, auch<lb/> in Tunis engagiert und hatte dadurch schon Italien vor den Kopf gestoßen,<lb/> Italien, das soeben, am 20. Mai 1882, Mitglied des Dreibunds geworden war;<lb/> deshalb wagte Frankreich nicht, allein vorzugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_60" next="#ID_61"> Der französische Ministerpräsident hatte zur Beruhigung der Abgeordneten<lb/> noch am 1. Juni das Zusammengehen Frankreichs mit England gefeiert; dieses<lb/> Zusammenarbeiten werde große Folgen zeitigen. Gerade vierzehn Tage später<lb/> ertönte aber nun von London her ein anderes Lied. England hielt es im Ver¬<lb/> trauen auf die Lähmung Frankreichs nicht mehr für nötig, seine wahre Gesinnung<lb/> zu verbergen. Bei Besprechung der ägyptischen Vorgänge im Unterhause wurde<lb/> die Untätigkeit der englischen Flotte getadelt und von Lord Salisbury die Freiheit<lb/> zu handeln gefordert. England müsse das Recht haben, das Ziel seiner Politik<lb/> allein zu erreichen. Lord Granville versicherte, daß diese Freiheit bestehe; der<lb/> Admiral Seymour könne handeln, wann es ihm beliebe. — Demgemäß verfuhr</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Das Eindringen Englands in Aeg^pten
Lord Granville hatte in Konstantinopel wiederholt erklären lassen, England
beabsichtige in Ägypten nichts weiter, als die Hohheitsrechte der Türkei und die
Autorität des Khedive aufrecht zu erhalten. Als aber der Sultan auf den durch
Arabis Vorgehen verursachten Lärm hin seinerseits Kriegsschiffe nach Alexandrien
schicken wollte, trat ihm auf Frankreichs Wunsch England entgegen und
richtete die Aufforderung an die Pforte, sich jeder Einmischung zu enthalten. Die
schon unter Segel gegangene türkische Flotte mußte unfreiwilligen Aufenthalt in
Creta nehmen. Um so mehr waren nun die ägyptischen nationalen zum Wider¬
stande entschlossen. Die Generalkonsuls von England und Frankreich hatten am
W. Mai 1882 in Kairo das Verlangen gestellt, daß Arabi und zwei andere
Minister von der Regierung entfernt und auf unbestimmte Zeit in das Innere
des Landes verschickt wurden. Der Khedive hatte die Note angenommen. Da
jedoch daraufhin sämtliche Minister ihre Entlassung nahmen und die Armee
unzweideutig zu erkennen gab, daß sie auf Arabis Seite stand, so mußte Tewsik
diesen sofort zurückrufen und ihm eine Art Diktatur übertragen. Arabi wollte
den Spieß nun umkehren; er forderte offen die Absetzung des Khedive. Darob
großes Entsetzen und „legitime" Entrüstung bei den Briten und ihren französischen
Trabanten. Um den „Einfluß der Zivilisation zu retten", sollte jetzt sogar die
soeben noch lahm gelegte Türkei gegen die Anhänger der Militärpartei vorgehen.
Am 81. Mai trat auf Einladung der Westmächte eine Gesandtenkonferenz in
Konstantinopel zusammen. Mit Rücksicht auf diese, das heißt, um sie möglichst
bald wieder los zu werden, ließ sich der Sultan zur Entsendung eines neuen
Kommissars nach Kairo bestimmen. Ja, er sandte sogar zwei, den einen offen,
den anderen heimlich, und beide hatten entgegengesetzte Instruktionen. Derwisch
Pascha, dem der Befehl geworden war, den Arabi-Bey und die wichtigsten
seiner Anhänger zu verhaften und nach Konstantinopel zu schicken, kam in Kairo
am 7. Juni an. Vier Tage später brach die Revolution in Alexandrien aus.
Ein halbes Hundert Europäer wurden ermordet, viele andere verwundet, unter
den letzteren auch der englische und der griechische Konsul. Das französisch -
englische Geschwader hätte das Massakre verhindern können und, man sollte
meinen, auch verhindern müssen. Da England aber darauf sann, die französische
Konkurrenz abzuschütteln, zauderte es vor einer gemeinsamen Handlung, Frank¬
reich aber war gleichzeitig mit englischer Erlaubnis, richtiger Ermunterung, auch
in Tunis engagiert und hatte dadurch schon Italien vor den Kopf gestoßen,
Italien, das soeben, am 20. Mai 1882, Mitglied des Dreibunds geworden war;
deshalb wagte Frankreich nicht, allein vorzugehen.
Der französische Ministerpräsident hatte zur Beruhigung der Abgeordneten
noch am 1. Juni das Zusammengehen Frankreichs mit England gefeiert; dieses
Zusammenarbeiten werde große Folgen zeitigen. Gerade vierzehn Tage später
ertönte aber nun von London her ein anderes Lied. England hielt es im Ver¬
trauen auf die Lähmung Frankreichs nicht mehr für nötig, seine wahre Gesinnung
zu verbergen. Bei Besprechung der ägyptischen Vorgänge im Unterhause wurde
die Untätigkeit der englischen Flotte getadelt und von Lord Salisbury die Freiheit
zu handeln gefordert. England müsse das Recht haben, das Ziel seiner Politik
allein zu erreichen. Lord Granville versicherte, daß diese Freiheit bestehe; der
Admiral Seymour könne handeln, wann es ihm beliebe. — Demgemäß verfuhr
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