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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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hen als unter Lied. Nicht weniger mangelhaft ist die andere
aus Lais, Leisen, wegen des fehlenden s. Jedermann sieht,
daß in der uns nöthigen Wurzel das k oder ch die Characte-
ristik gibt und die einzig richtige Etymologie ist in laikan,
schwed. leka, isländ. leika, dän. leege = spielen, wie denn
auch das im Deutschen üblich gewesene Verbum laichen, lei-
chen nichts anders heißt und schon alle Gedanken an Lied hätte
entfernen müssen, aus dessen Wurzel sich schwerlich ein solches
Activum bilden kann 46). Mit leichen ist ganz überein das
leccare der romanischen Sprachen, nur daß hier die später
auch in den deutschen Mundarten hinzutretende Nebenbedeu-
tung von betriegen und schmeicheln vordrang 47), weil die Spiel-
leute ein gemeines, kriechendes und verachtetes Leben zu füh-
ren anfingen. Leccator und lecheour heißt erst ein Spiel-
mann (wie lekar oder leikar auf isl.) und dann ein nichts-
nutziger Mensch, ein Lecker. Aus allem dem folgt: Leich ist
ein in Deutschland längst übliches Wort, nicht dem Französi-
schen nach übersetzt, und hat, wenn man sich darunter einen
Gesang denkt, durchaus die Nebenidee eines Spiels oder In-
struments 48). Spielen kann nicht: bloß Singen bedeuten.

Große Hülfe gewährt uns ferner das Verständniß der
Form. In der maneßischen Sammlung stehen mehrere Ge-
dichte, in denen etwas Unregelmäßiges vorherrscht, und die
sich nicht immer in wiederkehrende Strophen eintheilen lassen,

46) Wie könnte auch Gottfried (im Tristan) sagen: einen
Leich thun" wenn das Lied hieße. (v. 3490.)
47) Ich erinnere an die analoge Verwandtschaft von ludere und
illudere.
48) Zur Bestätigung des Gesagten vergl. man eine interessante Stelle
im König Rother, der aus einer frühern Zeit ist, v. 171 --
175 und 2510 -- 2526. Die Beziehung auf die Harfe ist ganz
deutlich, und Liet in den Versen 1826. 1907 etc. gewiß was
anderes als Leich. Auch die Nibelungen unterscheiden das Liet-
Singen (v. 6835.) vom Leich-Spielen (8085. 8115.)

hen als unter Lied. Nicht weniger mangelhaft iſt die andere
aus Lais, Leiſen, wegen des fehlenden ſ. Jedermann ſieht,
daß in der uns noͤthigen Wurzel das k oder ch die Characte-
riſtik gibt und die einzig richtige Etymologie iſt in laikan,
ſchwed. leka, islaͤnd. leika, daͤn. leege = ſpielen, wie denn
auch das im Deutſchen uͤblich geweſene Verbum laichen, lei-
chen nichts anders heißt und ſchon alle Gedanken an Lied haͤtte
entfernen muͤſſen, aus deſſen Wurzel ſich ſchwerlich ein ſolches
Activum bilden kann 46). Mit leichen iſt ganz uͤberein das
leccare der romaniſchen Sprachen, nur daß hier die ſpaͤter
auch in den deutſchen Mundarten hinzutretende Nebenbedeu-
tung von betriegen und ſchmeicheln vordrang 47), weil die Spiel-
leute ein gemeines, kriechendes und verachtetes Leben zu fuͤh-
ren anfingen. Leccator und lecheour heißt erſt ein Spiel-
mann (wie lekar oder leikar auf isl.) und dann ein nichts-
nutziger Menſch, ein Lecker. Aus allem dem folgt: Leich iſt
ein in Deutſchland laͤngſt uͤbliches Wort, nicht dem Franzoͤſi-
ſchen nach uͤberſetzt, und hat, wenn man ſich darunter einen
Geſang denkt, durchaus die Nebenidee eines Spiels oder In-
ſtruments 48). Spielen kann nicht: bloß Singen bedeuten.

Große Huͤlfe gewaͤhrt uns ferner das Verſtaͤndniß der
Form. In der maneßiſchen Sammlung ſtehen mehrere Ge-
dichte, in denen etwas Unregelmaͤßiges vorherrſcht, und die
ſich nicht immer in wiederkehrende Strophen eintheilen laſſen,

46) Wie koͤnnte auch Gottfried (im Triſtan) ſagen: einen
Leich thun“ wenn das Lied hieße. (v. 3490.)
47) Ich erinnere an die analoge Verwandtſchaft von ludere und
illudere.
48) Zur Beſtaͤtigung des Geſagten vergl. man eine intereſſante Stelle
im Koͤnig Rother, der aus einer fruͤhern Zeit iſt, v. 171 —
175 und 2510 — 2526. Die Beziehung auf die Harfe iſt ganz
deutlich, und Liet in den Verſen 1826. 1907 ꝛc. gewiß was
anderes als Leich. Auch die Nibelungen unterſcheiden das Liet-
Singen (v. 6835.) vom Leich-Spielen (8085. 8115.)
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[64/0074] hen als unter Lied. Nicht weniger mangelhaft iſt die andere aus Lais, Leiſen, wegen des fehlenden ſ. Jedermann ſieht, daß in der uns noͤthigen Wurzel das k oder ch die Characte- riſtik gibt und die einzig richtige Etymologie iſt in laikan, ſchwed. leka, islaͤnd. leika, daͤn. leege = ſpielen, wie denn auch das im Deutſchen uͤblich geweſene Verbum laichen, lei- chen nichts anders heißt und ſchon alle Gedanken an Lied haͤtte entfernen muͤſſen, aus deſſen Wurzel ſich ſchwerlich ein ſolches Activum bilden kann 46). Mit leichen iſt ganz uͤberein das leccare der romaniſchen Sprachen, nur daß hier die ſpaͤter auch in den deutſchen Mundarten hinzutretende Nebenbedeu- tung von betriegen und ſchmeicheln vordrang 47), weil die Spiel- leute ein gemeines, kriechendes und verachtetes Leben zu fuͤh- ren anfingen. Leccator und lecheour heißt erſt ein Spiel- mann (wie lekar oder leikar auf isl.) und dann ein nichts- nutziger Menſch, ein Lecker. Aus allem dem folgt: Leich iſt ein in Deutſchland laͤngſt uͤbliches Wort, nicht dem Franzoͤſi- ſchen nach uͤberſetzt, und hat, wenn man ſich darunter einen Geſang denkt, durchaus die Nebenidee eines Spiels oder In- ſtruments 48). Spielen kann nicht: bloß Singen bedeuten. Große Huͤlfe gewaͤhrt uns ferner das Verſtaͤndniß der Form. In der maneßiſchen Sammlung ſtehen mehrere Ge- dichte, in denen etwas Unregelmaͤßiges vorherrſcht, und die ſich nicht immer in wiederkehrende Strophen eintheilen laſſen, 46) Wie koͤnnte auch Gottfried (im Triſtan) ſagen: einen Leich thun“ wenn das Lied hieße. (v. 3490.) 47) Ich erinnere an die analoge Verwandtſchaft von ludere und illudere. 48) Zur Beſtaͤtigung des Geſagten vergl. man eine intereſſante Stelle im Koͤnig Rother, der aus einer fruͤhern Zeit iſt, v. 171 — 175 und 2510 — 2526. Die Beziehung auf die Harfe iſt ganz deutlich, und Liet in den Verſen 1826. 1907 ꝛc. gewiß was anderes als Leich. Auch die Nibelungen unterſcheiden das Liet- Singen (v. 6835.) vom Leich-Spielen (8085. 8115.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/74>, abgerufen am 27.04.2024.