Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite
Loth. Nur, wer mich zum Verräther meiner selbst
machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.
Helene. Das will ich gewiß nicht -- aber ich
werde halt das Gefühl nicht los.
Loth. Was für ein Gefühl, Liebste?
Helene Es kommt vielleicht daher: ich bin so
dumm! -- Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht
mal, was das ist, Grundsätze. -- Gelt? das ist doch
schrecklich. Ich lieb Dich nur so einfach! -- aber Du
bist so gut, so groß -- und hast so viel in Dir. Ich
habe solche Angst, Du könntest doch noch mal merken --
wenn ich was Dummes sage -- oder mache -- daß es
doch nicht geht,....daß ich doch viel zu einfältig für
Dich bin...........Ich bin wirklich schlecht und
dumm wie Bohnenstroh.
Loth. Was soll ich dazu sagen?! Du bist mir
Alles in Allem! Alles in Allem bist Du mir! Mehr
weiß ich nicht.
Helene. Und gesund bin ich ja auch.....
Loth. Sag mal! sind Deine Eltern gesund?
Helene. Ja, das wohl! das heißt: die Mutter
ist am Kindbettfieber gestorben. Vater ist noch gesund;
er muß sogar eine sehr starke Natur haben. Aber....
Loth. Na! -- siehst Du! also...
Helene. Und wenn die Eltern nun nicht gesund
wären --?
Loth (küßt Helene). Sie sind's ja doch, Lenchen.
Helene. Aber wenn sie es nicht wären --?
(Frau Krause stößt ein Wohnhausfenster auf und ruft in den Hof.)
Frau Krause. Ihr Madel! Ihr Maa..del!!
Liese (aus dem Kuhstall). Frau Krausen!?
Frau Krause. Renn' zur Müllern! 's giht luus!
Liese. Wa--a, zur Hebomme Millern, meen' Se?
Frau Krause. Na? lei'st uff a Uhr'n? (sie schlägt
das Fenster zu.)

(Liese rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf
zum Hofe hinaus. Frau Spiller erscheint in der Hausthür.)

Loth. Nur, wer mich zum Verräther meiner ſelbſt
machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.
Helene. Das will ich gewiß nicht — aber ich
werde halt das Gefühl nicht los.
Loth. Was für ein Gefühl, Liebſte?
Helene Es kommt vielleicht daher: ich bin ſo
dumm! — Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht
mal, was das iſt, Grundſätze. — Gelt? das iſt doch
ſchrecklich. Ich lieb Dich nur ſo einfach! — aber Du
biſt ſo gut, ſo groß — und haſt ſo viel in Dir. Ich
habe ſolche Angſt, Du könnteſt doch noch mal merken —
wenn ich was Dummes ſage — oder mache — daß es
doch nicht geht,....daß ich doch viel zu einfältig für
Dich bin...........Ich bin wirklich ſchlecht und
dumm wie Bohnenſtroh.
Loth. Was ſoll ich dazu ſagen?! Du biſt mir
Alles in Allem! Alles in Allem biſt Du mir! Mehr
weiß ich nicht.
Helene. Und geſund bin ich ja auch.....
Loth. Sag mal! ſind Deine Eltern geſund?
Helene. Ja, das wohl! das heißt: die Mutter
iſt am Kindbettfieber geſtorben. Vater iſt noch geſund;
er muß ſogar eine ſehr ſtarke Natur haben. Aber....
Loth. Na! — ſiehſt Du! alſo...
Helene. Und wenn die Eltern nun nicht geſund
wären —?
Loth (küßt Helene). Sie ſind's ja doch, Lenchen.
Helene. Aber wenn ſie es nicht wären —?
(Frau Krauſe ſtößt ein Wohnhausfenſter auf und ruft in den Hof.)
Frau Krauſe. Ihr Madel! Ihr Maa..del!!
Lieſe (aus dem Kuhſtall). Frau Krauſen!?
Frau Krauſe. Renn' zur Müllern! 's giht luus!
Lieſe. Wa—a, zur Hebomme Millern, meen' Se?
Frau Krauſe. Na? lei'ſt uff a Uhr'n? (ſie ſchlägt
das Fenſter zu.)

(Lieſe rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf
zum Hofe hinaus. Frau Spiller erſcheint in der Hausthür.)

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0091" n="85"/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker>
          <p>Nur, wer mich zum Verräther meiner &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker>
          <p>Das will ich gewiß nicht &#x2014; aber ich<lb/>
werde halt das Gefühl nicht los.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker>
          <p>Was für ein Gefühl, Lieb&#x017F;te?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker>
          <p>Es kommt vielleicht daher: ich bin &#x017F;o<lb/>
dumm! &#x2014; Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht<lb/>
mal, was das i&#x017F;t, Grund&#x017F;ätze. &#x2014; Gelt? das i&#x017F;t doch<lb/>
&#x017F;chrecklich. Ich lieb Dich nur &#x017F;o einfach! &#x2014; aber Du<lb/>
bi&#x017F;t &#x017F;o gut, &#x017F;o groß &#x2014; und ha&#x017F;t &#x017F;o viel in Dir. Ich<lb/>
habe &#x017F;olche Ang&#x017F;t, Du könnte&#x017F;t doch noch mal merken &#x2014;<lb/>
wenn ich was Dummes &#x017F;age &#x2014; oder mache &#x2014; daß es<lb/>
doch nicht geht,....daß ich doch viel zu einfältig für<lb/>
Dich bin...........Ich bin wirklich &#x017F;chlecht und<lb/>
dumm wie Bohnen&#x017F;troh.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker>
          <p>Was &#x017F;oll ich dazu &#x017F;agen?! Du bi&#x017F;t mir<lb/>
Alles in Allem! Alles in Allem bi&#x017F;t Du mir! Mehr<lb/>
weiß ich nicht.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker>
          <p>Und ge&#x017F;und bin ich ja auch.....</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker>
          <p>Sag mal! &#x017F;ind Deine Eltern ge&#x017F;und?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker>
          <p>Ja, das wohl! das heißt: die Mutter<lb/>
i&#x017F;t am Kindbettfieber ge&#x017F;torben. Vater i&#x017F;t noch ge&#x017F;und;<lb/>
er muß &#x017F;ogar eine &#x017F;ehr &#x017F;tarke Natur haben. Aber....</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker>
          <p>Na! &#x2014; &#x017F;ieh&#x017F;t Du! al&#x017F;o...</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker>
          <p>Und wenn die Eltern nun nicht ge&#x017F;und<lb/>
wären &#x2014;?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LOT">
          <speaker> <hi rendition="#g">Loth</hi> </speaker>
          <p><stage>(küßt Helene).</stage> Sie &#x017F;ind's ja doch, Lenchen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HEL">
          <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker>
          <p>Aber wenn &#x017F;ie es nicht wären &#x2014;?<lb/><stage>(<hi rendition="#g">Frau Krau&#x017F;e</hi> &#x017F;tößt ein Wohnhausfen&#x017F;ter auf und ruft in den Hof.)</stage></p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FKR">
          <speaker><hi rendition="#g">Frau Krau&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Ihr Madel! Ihr Maa..del!!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LIE">
          <speaker> <hi rendition="#g">Lie&#x017F;e</hi> </speaker>
          <p><stage>(aus dem Kuh&#x017F;tall).</stage> Frau Krau&#x017F;en!?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FKR">
          <speaker><hi rendition="#g">Frau Krau&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Renn' zur Müllern! 's giht luus!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#LIE">
          <speaker><hi rendition="#g">Lie&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Wa&#x2014;a, zur Hebomme Millern, meen' Se?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FKR">
          <speaker><hi rendition="#g">Frau Krau&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Na? lei'&#x017F;t uff a Uhr'n? <stage>(&#x017F;ie &#x017F;chlägt<lb/>
das Fen&#x017F;ter zu.)</stage></p>
        </sp><lb/>
        <p>
          <stage>(Lie&#x017F;e rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf<lb/>
zum Hofe hinaus. Frau Spiller er&#x017F;cheint in der Hausthür.)</stage>
        </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0091] Loth. Nur, wer mich zum Verräther meiner ſelbſt machen wollte, über den müßte ich hinweggehen. Helene. Das will ich gewiß nicht — aber ich werde halt das Gefühl nicht los. Loth. Was für ein Gefühl, Liebſte? Helene Es kommt vielleicht daher: ich bin ſo dumm! — Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht mal, was das iſt, Grundſätze. — Gelt? das iſt doch ſchrecklich. Ich lieb Dich nur ſo einfach! — aber Du biſt ſo gut, ſo groß — und haſt ſo viel in Dir. Ich habe ſolche Angſt, Du könnteſt doch noch mal merken — wenn ich was Dummes ſage — oder mache — daß es doch nicht geht,....daß ich doch viel zu einfältig für Dich bin...........Ich bin wirklich ſchlecht und dumm wie Bohnenſtroh. Loth. Was ſoll ich dazu ſagen?! Du biſt mir Alles in Allem! Alles in Allem biſt Du mir! Mehr weiß ich nicht. Helene. Und geſund bin ich ja auch..... Loth. Sag mal! ſind Deine Eltern geſund? Helene. Ja, das wohl! das heißt: die Mutter iſt am Kindbettfieber geſtorben. Vater iſt noch geſund; er muß ſogar eine ſehr ſtarke Natur haben. Aber.... Loth. Na! — ſiehſt Du! alſo... Helene. Und wenn die Eltern nun nicht geſund wären —? Loth (küßt Helene). Sie ſind's ja doch, Lenchen. Helene. Aber wenn ſie es nicht wären —? (Frau Krauſe ſtößt ein Wohnhausfenſter auf und ruft in den Hof.) Frau Krauſe. Ihr Madel! Ihr Maa..del!! Lieſe (aus dem Kuhſtall). Frau Krauſen!? Frau Krauſe. Renn' zur Müllern! 's giht luus! Lieſe. Wa—a, zur Hebomme Millern, meen' Se? Frau Krauſe. Na? lei'ſt uff a Uhr'n? (ſie ſchlägt das Fenſter zu.) (Lieſe rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf zum Hofe hinaus. Frau Spiller erſcheint in der Hausthür.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_sonnenaufgang_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_sonnenaufgang_1889/91
Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_sonnenaufgang_1889/91>, abgerufen am 30.04.2024.